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Lexikon der Ernährung: Rinderwahnsinn

Rinderwahnsinn, bovine spongiforme Enzephalopathie, BSE, Ebovine spongiform encephalopathia, BSE, mad cow disease, Prionenkrankheit, übertragbare neurodegenerative Erkankung bei Rindern, zählt aufgrund von typischen schwammartigen Veränderungen im Gehirn zur Krankheitsgruppe der Transmissiblen Spongiformen Enzephalopathien (TSE; Prionen-Krankheiten). 1985 in Großbritannien erstmals beobachtete, stets tödlich verlaufende Infektionskrankheit des Rinds mit Proteinablagerungen im Gehirn. Die Verhaltensanomalien (s. u. Abschnitt: Krankheitsverlauf) der erkrankten Tiere führten zur Bezeichnung R. Ein hohes Auftreten von R. wurde in Portugal, der Schweiz und Frankreich festgestellt, wenn auch nicht in dem Ausmaße wie in Großbritannien. Im Jahre 1992 erreichte die Epidemie dort mit knapp 36.680 Fällen / Jahr ihren Höhepunkt. Weitere Länder mit bestätigten BSE-Fällen sind die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Irland, Italien, Spanien und Dänemark. Bis zum November 2000, als das erste deutsche BSE-Rind aktenkundig wurde, stufte der wissenschafltiche Lenkungsausschuss der EU (Report vom 6. Juli 2000) Deutschland als ein Land mit „niedrigem BSE-Risiko“ in die Statusklasse III ein. Mittlerweile sind in Deutschland 177 BSE-Fälle gemeldet (Stand 14/5 / 2002).
Auslöser: Verursacht wird die Rinderseuche durch krankhaft veränderte Prionen. Auf welche Weise das erste krankhafte Prion entstand, ist ungewiss. Zunächst wurde angenommen, dass die Infizierung der Rinder über die Verfütterung von Tierkörpermehl erfolgte, welches Kadaver von Scrapie-infizierten Schafen enthielt. Für diese Hypothese spricht, dass die Schafpopulation in Großbritannien stark angestiegen war und somit zwangsläufig auch die Scrapie-Abfälle, welche vermehrt der Verwertung zu Tiermehl zugeführt wurden. Gleichzeitig wurden die Herstellungsverfahren für Tierkörpermehl in Großbritannien Ende der 70er Jahre auf niedrigere Temperaturen umgestellt und es wurde auf zusätzliche Extraktionsverfahren verzichtet. Dadurch wurde der Scrapie-Erreger nicht mehr hinreichend inaktiviert. Zudem gelang es, Rinder experimentell mit Scrapie zu infizieren. Inzwischen sind sich die Experten jedoch nicht mehr so sicher. Denn BSE gehört nicht zum gleichen Prionenstamm der TSE wie Scrapie. Kühe, die mit Scrapie infziert wurden, litten an einer anderen Krankheit. BSE hat zudem ein anderes Wirtsspektrum als Scrapie. Zusatzlich ist das pathologisch veränderte Prion sehr viel widerstandsfähiger als ursprünglich angenommen. Eine andere Hypothese besagt, dass BSE sich in den Rindern selbst entwickelt haben könnte, ähnlich wie auch beim Menschen sporadisch CJK spontan auftritt. Auf welche Weise auch immer das erste krankhafte Prion entstand, dass die erkrankten Rinder bis 1988 ebenfalls zur Futtermittelherstellung verwendet wurden, erhöhte den Infektionsdruck ganz erheblich und führte dem zufolge erst zu den epidemischen Ausmaßen der Rinderseuche.
Übertragungsweg: Die Übertragung geschieht vermutlich durch die Aufnahme des BSE-Erregers über das Futter. Unklar ist bislang, ob das Rind den Erreger ausscheidet, oder ob eine horizontale und / oder vertikale Übertragung vorkommt. Die horizontale Verbreitung scheint jedoch keine große Rolle zu spielen, da nur einzelne Tiere in betroffenen Herden erkranken.
Krankheitsverlauf: Erkrankte Rinder zeigen Gewichtsverluste und geringe Milchleistung, sie fallen zunächst durch ihre besondere Aggressivität und Ängstlichkeit auf. Ferner kann vermehrte Schmerzempfindlichkeit auftreten. Die Tiere verlieren schließlich die Kontrolle über ihre Gliedmaßen. Sie torkeln, knicken ein, bis sie zu Boden stürzen. Die ersten Krankheitszeichen sind somit nicht unbedingt BSE-spezifisch, sodass sie oft übersehen werden. Die Inkubationszeit für BSE beträgt im Schnitt 3–7 Jahre. Rinder erkranken frühestens im Alter von etwa zwei Jahren, meist zwischen dem vierten und fünften Lebensjahr. Innerhalb von ein bis fünf Monaten versterben die Tiere.
BSE und nCJK: Nachdem zahlreiche BSE-infizierte Rinder in die menschliche Nahrungskette gelangt sind, wird nun eine weitere menschliche Krankheit ursächlich mit dem Auftreten von BSE in Zusammenhang gebracht. 1996 wurde eine neue Variante der menschlichen Creutzfeld-Jakob-Krankheit (nvCJK) beschrieben. Eine Reihe von histopathologischen und biochemischen Befunden unterstreichen, dass die nvCJK eher Eigenschaften des BSE-Erregers, als von sporadischer CJK zeigt, z. B. ein ähnliches Läsionsmuster im Gehirn. Charakteristische, massive, floride Plaques, die von einem Kranz schwamm-artiger Strukturen umgeben werden. Darüber hinaus sind die Glycosylierungsmuster der Erreger von BSE und nvCJK identisch. BSE- und nvCJK-Prionen verursachen bei infizierten Mäusen gleiche Symptome; Inkubationszeit und Krankheitsverlauf sind identisch. Diese Indizien lassen den Schluss zu, dass die beiden Prionenkrankheiten eine gemeinsame Ursache haben. Zu diesem Schluss kommt auch ein Ende Oktober 2000 veröffentlichter Untersuchungsbericht der britischen Regierung, wonach es „jetzt ausreichend Beweise gibt, um sicher sein zu können, dass nvCJD durch die Übertragung von BSE auf den Menschen verursacht wird“. Aus den bisherigen Erkenntnissen ist anzunehmen, dass das Übertragungsrisiko auf den Menschen mit zunehmender Infektiosität der Rinder steigt.
Risikomaterialien: Als sog. Risikomaterialien werden bestimmte Körperteile und Organe von Rindern, Schafen und Ziegen bezeichnet. Dort treten bei infizierten Tieren die BSE-Erreger hauptsächlich auf. Grundsätzlich sind insbesondere diejenigen Teile des Rindes mit BSE verseucht, die eine große Dichte an Nervenzellen und Lymphe besitzen. Nach einer Entscheidung der EU werden bei Rindern Schädel, inklusive Augen, Tonsillen, Rückenmark und Ileum von Tieren, die älter als 12 Monate sind als „spezifiziertes Risikomaterial“ definiert. Bei reinem Muskelfleisch ist das Ansteckungsrisiko gering, eine 100%ige Sicherheit besteht jedoch nicht, da durch unsterile Verarbeitungsweise das Fleisch infiziert sein kann. In Milch ist der BSE-Erreger bisher nicht nachweisbar. Ebenso ist die Infektiösität von Blut noch nicht abschließend geklärt. Im Tierexperiment mit Schafen gelang der Nachweis der BSE-Infektiösität von Blutbestandteilen (v. a. Leukocyten). Eine Übertragung durch Blut gelang jedoch weder von natürlicherweise Scrapie-infizierten Schafen und Ziegen auf Mäuse noch von CJK-Patienten auf Primaten.
BSE-Tests: Eine sichere Diagnose ist bis heute erst nach dem Tod der Tiere möglich und dann erst, wenn sich das Rind in einer späten Phase der Krankheit befunden hat. Sie beruht auf histologischen Gehirnuntersuchungen. Dabei handelt es sich um Vakuolen in den Nervenzellen, wie auch im Zellleib um den Kern herum und in den Nervenfortsätzen. Alle derzeit in Anwendung befindlichen BSE-„Schnelltests“ beruhen auf dem Post-mortem-Nachweis des proteaseresistenten Prion-Proteins in Hirngewebe von Rindern. Untersucht wird Gewebe aus dem Stammhirn von toten Rindern, weil dort die höchste Prionenkonzentration vorzufinden ist. Die derzeitigen Teste gelten erst sechs Monate, bevor die ersten Symptome auftreten, als zuverlässig. Erst dann ist die Prionenkonzentration im Nervengewebe hoch genug, um von den Tests detektiert zu werden. Ein negatives Testergebnis bedeutet jedoch nicht, dass Tiere BSE-frei sind. Testverfahren am lebenden Tier befinden sich noch in der Entwicklungsphase. Ein möglicher Ansatz zur Entwicklung eines Bluttests könnte ein Plasminogen genanntes Blutprotein bilden, das nur mit defekten Prionen eine Verbindung eingeht.

  • Die Autoren

Albus, Christian, Dr., Köln
Alexy, Ute, Dr., Witten
Anastassiades, Alkistis, Ravensburg
Biesalski, Hans Konrad, Prof. Dr., Stuttgart-Hohenheim
Brombach, Christine, Dr., Gießen
Bub, Achim, Dr., Karlsruhe
Daniel, Hannelore, Prof. Dr., Weihenstephan
Dorn, Prof. Dr., Jena
Empen, Klaus, Dr., München
Falkenburg, Patricia, Dr., Pulheim
Finkewirth-Zoller, Uta, Kerpen-Buir
Fresemann, Anne Georga, Dr., Biebertal-Frankenbach
Frenz, Renate, Ratingen
Gehrmann-Gödde, Susanne, Bonn
Geiss, Christian, Dr., München
Glei, Michael, Dr., Jena (auch BA)
Greiner, Ralf, Dr., Karlsruhe
Heine, Willi, Prof. Dr., Rostock
Hiller, Karl, Prof. Dr., Berlin (BA)
Jäger, Lothar, Prof. Dr., Jena
Just, Margit, Wolfenbüttel
Kersting, Mathilde, Dr., Dortmund
Kirchner, Vanessa, Reiskirchen
Kluthe, Bertil, Dr., Bad Rippoldsau
Kohlenberg-Müller, Kathrin, Prof. Dr., Fulda
Kohnhorst, Marie-Luise, Bonn
Köpp, Werner, Dr., Berlin
Krück, Elke, Gießen
Kulzer, Bernd, Bad Mergentheim
Küpper, Claudia, Dr., Köln
Laubach, Ester, Dr., München
Lehmkühler, Stephanie, Gießen
Leitzmann, Claus, Prof. Dr., Gießen
Leonhäuser, Ingrid-Ute, Prof. Dr., Gießen
Lück, Erich, Dr., Bad Soden am Taunus
Lutz, Thomas A., Dr., Zürich
Maid-Kohnert, Udo, Dr., Pohlheim
Maier, Hans Gerhard, Prof. Dr., Braunschweig
Matheis, Günter, Dr., Holzminden (auch BA)
Moch, Klaus-Jürgen, Dr., Gießen
Neuß, Britta, Erftstadt
Niedenthal, Renate, Hannover
Noack, Rudolf, Prof. Dr., Potsdam-Rehbrücke
Oberritter, Helmut, Dr., Bonn
Öhrig, Edith, Dr., München
Otto, Carsten, Dr., München
Parhofer, K., Dr., München
Petutschnig, Karl, Oberhaching
Pfau, Cornelie, Dr., Karlsruhe
Pfitzner, Inka, Stuttgart-Hohenheim
Pool-Zobel, Beatrice, Prof. Dr., Jena
Raatz, Ulrich, Prof. Dr., Düsseldorf
Rauh, Michael, Bad Rippoldsau
Rebscher, Kerstin, Karlsruhe
Roser, Silvia, Karlsruhe
Schek, Alexandra, Dr., Gießen
Schemann, Michael, Prof. Dr., Hannover (auch BA)
Schiele, Karin, Dr., Heilbronn
Schmid, Almut, Dr., Paderborn
Schmidt, Sabine, Dr., Gießen
Scholz, Vera, Dr., Langenfeld
Schorr-Neufing, Ulrike, Dr., Berlin
Schwandt, Peter, Prof. Dr., München
Sendtko, Andreas, Dr., Gundelfingen
Stangl, Gabriele, Dr. Dr., Weihenstephan
Stehle, Peter, Prof. Dr., Bonn
Stein, Jürgen, Prof. Dr. Dr., Frankfurt
Steinmüller, Rolf, Dr., Biebertal
Stremmel, Helga, Bad Rippoldsau
Ulbricht, Gottfried, Dr., Potsdam-Rehbrücke
Vieths, Stephan, Dr., Langen
Wächtershäuser, Astrid, Frankfurt
Wahrburg, Ursel, Prof. Dr., Münster
Weiß, Claudia, Karlsruhe
Wienken, Elisabeth, Neuss
Wisker, Elisabeth, Dr., Kiel
Wolter, Freya, Frankfurt
Zunft, Hans-Joachim F., Prof. Dr., Potsdam-Rehbrücke

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