Lexikon der Geographie: arabische Geographie
arabische Geographie, bezeichnet die vor allem im Mittelalter vom 7. bis 16. Jh. durch arabische Gelehrte allmählich zur Wissenschaftsdisziplin ausgebauten erdkundlichen und astrologischen Forschungen. In ihren Ursprüngen lässt sich die arabische Geographie auf die Überlieferung antiker griechischer Forschungen zur Geodäsie und Kartographie, wie etwa der Geographie des Ptolemäus, zurückführen. Neben einer eigenen Forschungstätigkeit wurden später auch Erkenntnisse und Anregungen aus der geographischen Literatur Persiens und Indiens einbezogen. Die Motive der geographischen Arbeiten kamen vornehmlich aus dem politisch-administrativen Bereich und dienten neben geopolitischen Interessen des sich ausdehnenden arabischen Imperiums vor allem der Sicherung von Handels- und Pilgerrouten. Auftraggeber und Mentor vieler Geographen waren oft die arabischen Herrscher: Kalif Al-Mansur (753-775) gab die Übersetzung griechischer, indischer und persischer Literatur in Auftrag und Kalif Al-Ma'mun (813-833) veranlasste die exakte Berechnung eines Meridians. Anders als im Okzident dieser Zeit war die Auffassung von der Erde als Kugel mit einer vom Ozean umgebenen afroeurasischen Landmasse verbreitet. Neben einer allgemeinen Landeskunde beinhaltete die damalige Geographie hauptsächlich Astrologie und Geodäsie, zu denen auch Kartographie sowie die religiös motivierte Bestimmung der Gebetsrichtung und -zeiten gehörten.
Die geographische Disziplin erfuhr durch die islamische Religion (Islam) inhaltlich wie methodisch eine gewisse Beschränkung auf religionskonforme Bereiche. Besonders wird diese durch die Mekka zentrierte Geographiekonzeption der Gelehrten um Al-Balkhi (gest. 934) verdeutlicht. Daneben gab es mit der irakischen Schule um Al-Masudi (gest. 957) eine eher säkular orientierte Geographie, die Bagdad als den Weltmittelpunkt ansah.
In der klassischen Periode (7. bis 11. Jh.) etablierte Al-Mukaddasi (gest. 1000) für die arabische Geographie eine neue wissenschaftliche Basis auf der Grundlage empirischer Beobachtungen und einer eigenen geographischen Terminologie. Die Geographie wurde erstmals um eine ausschließlich naturräumliche Gliederung erweitert, die sich nicht mehr am weitgehend politisch-administrativen System griechischer Regionen oder persischer Kreiskategorien (kishwars) orientierte. In den Länderbeschreibungen wurden neben physisch-geographischen Faktoren oftmals anthropogeographische Sachverhalte wie Sprache, Religion und Gewohnheit, aber auch lokale Maßeinheiten und territoriale Gliederungen abgehandelt. Beispiel ist die von Al-Hamdani (gest. 946) verfasste Beschreibung der arabischen Halbinsel. Einen Höhepunkt erfuhr die arabische Geographie durch die kritische Zusammenfassung allen bisherigen geographischen Wissens durch Al-Biruni (nach 1050), der vergleichende Studien der griechischen, persischen und indischen Literatur anfertigte.
Eine Phase der Konsolidierung zwischen dem 12. und 16. Jh. brachte eine weite Verbreitung geographischer Literatur. Zusätzliche Impulse kamen aus der arabischen Seefahrt, die vor allem die Handelsrouten im Mittelmeer und im indischen Ozean bediente und eine große Anzahl an Reiseberichten, Länderkunden und Seekarten mit Längen- und Breitenangaben hervorbrachte. Ergänzt wurden diese hauptsächlich deskriptiven Arbeiten um geographische Enzyklopädien und Nachschlagewerke.
In der westlichen Welt erfuhren die Leistungen und Erkenntnisse der arabischen Geographen lange Zeit keine Beachtung und wurden erst Jahrhunderte später aufgegriffen. Bis auf wenige Ausnahmen okzidental-orientaler Anknüpfungspunkte, wie beispielsweise der Forschungen von Al-Idrisi (gest. 1166) unter König Roger II. in Sizilien, erfuhr die arabische Geographie zunächst nur in der osmanischen Literatur Beachtung und Fortführung. Die Entdeckung Amerikas und eine verstärkte Hinwendung zur Neuen Welt markierten den langsamen Abstieg der arabischen Geographie, die erst im 20. Jh., nicht zuletzt im Zuge der Orientalismusdebatte (Orientalismus), wieder verstärkt eigenständige Leistungen hervorgebracht hat.
HSc
Lit: WEITER, M. (1988): Geographie im Jemen. Bedeutungswandel einer Wissenschaft für ein Entwicklungsland. – Wiesbaden.
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