Lexikon der Geographie: Arealkunde
Arealkunde, Chorologie, Phytochorologie, floristische Vegetationsgeographie, floristische Geobotanik, Lehre von der Verbreitung der Pflanzensippen auf der Erdoberfläche. Innerhalb der Pflanzengeographie stellt die Arealkunde eine besonders traditionsreiche und gut abgrenzbare Teildisziplin dar. Gegenstand sind Sippen auf verschiedener pflanzensystematischer Stufe (z.B. Arten, Gattungen, Familien). Das Areal ist eine Fläche oder eine Gruppe von Einzelflächen, die die Gesamtheit aller geographischen Orte umschreibt, an denen Populationen der Sippe vorkommen (Fundorte). Die Arealkunde befasst sich mit der Methodik der Erfassung und mit der Analyse von Arealen und deren Veränderungen. Weiterhin wird der Arealkunde auch die Feststellung und Analyse von Floren bestimmter Erdräume zugerechnet.
Sippenareale können sehr unterschiedliche Größen haben; den Arten, die nur von einigen wenigen Fundorten bekannt sind, stehen die weltweit vorkommenden Kosmopoliten gegenüber. Neben diesen Extremen gibt es fast alle Zwischenstufen. Sippen mit kleinflächigen Arealen lassen sich oft als Relikte deuten. Hinsichtlich ihrer räumlichen Kontinuität lassen sich Areale in zwei Gruppen unterteilen, wobei in der Realität vielfältige Übergänge auftreten ( Abb. 1). Bei kontinuierlichen Arealen (geschlossenen Arealen) können alle Wuchsorte der Sippe mit einer einzigen Linie umfahren werden; innerhalb solcher zusammenhängender Areale sind die Lücken zwischen den Wuchsorten so klein, dass sie durch die Diasporen der Sippe noch überwindbar scheinen. (Auf der Ebene größerer Maßstäbe haben Studien über Biotopverinselung und Biotopverbund hierzu einige kritische Fragen aufgeworfen, jedoch behält für eine kleinmaßstäbige arealkundliche Betrachtung die etablierte Definition ihre Gültigkeit.) Bei disjunkten Arealen sind mehrere Teilareale durch Lücken getrennt, die für die Diasporen der Sippe unter aktuellen Bedingungen nicht überwindbar sind. Es gibt sowohl Fälle, in denen die Teilareale ungefähr gleich groß sind, als auch Fälle mit einem relativ großen Kernareal und einer oder mehreren relativ kleinflächigen Exklaven. Von den unregelmäßig geformten, mehr oder weniger flächenhaften Arealen der meisten Sippen können als Spezialfälle linienhafte Areale unterschieden werden, wie sie beispielsweise bei Pflanzen von Küstenbiotopen oder bei Salzpflanzen auf Autobahn-Mittelstreifen auftreten.
Wesentliche Grundlage der Arealkunde ist einerseits ein hinreichender Forschungsstand der Pflanzensystematik und andererseits eine hinreichend gründliche floristische Durchforschung verschiedener Räume der Erdoberfläche. Die Arealkunde bezieht die ihr zugrunde liegenden Informationen aus Herbarien, aus Florenwerken und anderen wissenschaftlichen Literaturquellen oder aus speziellen Kartierungsprojekten. Die kartographische Darstellung von Arealen kann in mehreren Formen erfolgen. In Punktverbreitungskarten werden alle bekannten Wuchsorte lagegenau eingetragen; bei großer Punktdichte ersetzen Flächenschraffuren die Einzelpunkte, die Arealgrenzen sind als Linien erkennbar (Umrissverbreitungskarte; Abb. 2). Für Rasterverbreitungskarten ( Abb. 3) wird der Untersuchungsraum durch ein regelmäßiges Raster in (annähernd) gleich große Grundfelder unterteilt; in jedem Grundfeld wird das Vorkommen oder Nicht-Vorkommen der Sippen dargestellt. Den meist kleinmaßstäbigen Karten, die das jeweilige Gesamtareal von Sippen darstellen, stehen eher großmaßstäbige Karten gegenüber, die die Verbreitung von Sippen lediglich in einem Ausschnitt ihres Areals zeigen; Letztere werden häufig als Verbreitungskarten bezeichnet. Einen Informationsgehalt, der dem von kleinmaßstäbigen Arealkarten ähnlich ist, können auch formelmäßige Darstellungen haben. Diese Arealdiagnosen verbinden Angaben zu drei Aspekten: zonale Lage (präzisiert durch Zuordnung zu Kontinenten oder Kontinentteilen), Lage im Ozeanitätsgefälle und Höhenstufenbindung. Für die Rotbuche (Fagus sylvatica) lautet die Formel:
(m)/mo-sm/mo-temp.oz1-2EUR.
Die Art kommt demnach in der submeridionalen Zone [sm] und ausklingend auch in der meridionalen Zone [(m)] jeweils in der montanen Stufe [mo] vor, sie ist in der temperaten Zone [temp] nicht an eine bestimmte Höhenstufe gebunden und bevorzugt ozeanisch-subozeanisches Klima [oz1-2]; dabei ist die Rotbuche auf Europa [EUR] beschränkt ( Abb. 3).
Die Erklärung der Gestalt von Arealen und die Analyse der Ursachen von Arealgrenzen setzt in der Regel bei den gegenwärtigen klimatischen oder edaphischen Bedingungen an. In vielen Fällen sind Areale jedoch auch stark von erdgeschichtlichen Vorgängen geprägt. Evolutive Vorgänge spielen für die Gestalt mancher Areale ebenfalls eine wichtige Rolle. Viele Arealgrenzen lassen sich mithilfe von klimatischen Grenzfaktoren deuten ( Abb. 2); beispielsweise gedeihen tropische Pflanzen nur in frostfreien Gebieten, und Hochmoorpflanzen benötigen stark humide Verhältnisse. Klimatische Extremjahre sind für den Verlauf vieler Arealgrenzen bedeutsamer als langjährige Mittelwerte. Eine Abhängigkeit der Arealgrenzen von edaphischen Faktoren zeigt sich zum Beispiel bei Kalkpflanzen, Schwermetallpflanzen oder Salzpflanzen. Meistens sind die Beziehungen zwischen Pflanzenverbreitung und bestimmten Standortfaktoren jedoch sehr komplex. Außerdem bedingt die Konkurrenz, dass sich physiologisches und ökologisches Optimum (Potenz) der Sippen unterscheiden. Kaum einmal lassen sich die Beziehungen auf einen einzelnen klimatischen oder edaphischen Faktor reduzieren, und einfache Beziehungen haben oft nur eine begrenzte Gültigkeit für bestimmte Teilareale. Arten, die in manchen Gebieten Kalkpflanzen sind, verhalten sich in anderen Gebieten hinsichtlich dieses edaphischen Faktors indifferent. In der Nähe ihrer Arealgrenzen geben viele Sippen durch ein Ausweichen auf Sonderstandorte Hinweise darauf, welche Faktoren für sie ungünstig sind und zum Ausklingen ihres Areals führen werden (Gesetz der relativen Standortskonstanz; Biotopwechsel). Die Auswirkungen erdgeschichtlicher Vorgänge auf Pflanzenareale zeigen sich beispielhaft im Gefolge der Eiszeiten. Bei zahlreichen Steppenpflanzen, die heute in Mitteleuropa als Relikte auftreten, hat die postglaziale Waldentwicklung zu einer Zerstückelung des ursprünglich geschlossenen Areals geführt. Paläobotanische Aspekte müssen daher in die Arealanalyse einbezogen werden. Als weitere Faktoren sind schließlich evolutive Vorgänge zu nennen. Es können neue Ökotypen entstehen, die einer Art die Ausbreitung in bislang nicht besiedelte Gebiete erlauben; Sippen, die zahlreiche Ökotypen aufweisen, besiedeln tendenziell größere Areale als uniforme Sippen.
Der Vergleich von Arealen verschiedener Sippen ergibt vielfach deutliche Ähnlichkeiten. Daher ist versucht worden, aus Gruppen von Arealen ähnlicher Lage, Größe und Form abstrahierte Arealtypen abzuleiten und in eine mehr oder weniger übersichtliche Ordnung zu bringen. Die Abgrenzung und Benennung von Arealtypen kann nach verschiedenen Kriterien erfolgen: rein topographisch (z.B. nach Erdteilen), ökologisch (z.B. die Höhenstufen- oder Ozeanitätsbindung berücksichtigend) oder vegetationsgeographisch (z.B. nach Florenreichen). Aufgrund der Vielfalt auftretender Arealbilder schien es jedoch nicht möglich, sie zu wenigen Typen zusammenzufassen; sodass man allgemeinere Beschreibungen mithilfe von Arealdiagnosen vorzieht. Eine abweichende Konzeption, welche auf der Hauptverbreitung der Sippen beruht, liegt den Geoelementen nach Walter zugrunde. Ein weltweit anwendbares und weithin anerkanntes System von Arealtypen existiert bislang nicht. Wenn für einen Erdteil eine brauchbare Typenbildung vorliegt, dann können für eine gegebene Flora oder Pflanzengemeinschaft die Anteile der Sippen mit verschiedenen Arealtypen berechnet werden; die Darstellung erfolgt z.B. als prozentuale Anteile in einem Diagramm. Ein solches Arealtypenspektrum kann Hinweise zu Ökologie und Entstehung der betreffenden Flora oder Pflanzengemeinschaft geben; die Gesamtverbreitung von Sippen erlaubt Rückschlüsse auf ihr ökologisches Verhalten.
Im erdgeschichtlichen Rahmen haben tief greifende Umweltveränderungen immer wieder zu starken Arealveränderungen geführt. Als Folge der Entstehung neuer Sippen können selbst innerhalb weniger Jahrzehnte größere Areale neu ausgebildet werden. Besonders intensiv untersucht wurden Arealveränderungen, die mit der Tätigkeit des Menschen einhergehen; zu unterscheiden sind Arealausweitungen durch Anthropochorie sowie Arealschrumpfungen.
Enge Wechselbeziehungen bestehen zwischen Arealkunde und Systematik der Pflanzen. Es wurde bereits angemerkt, dass umfassende arealkundliche Untersuchungen erst möglich sind, wenn hinreichende taxonomische Erkenntnisse vorliegen. Umgekehrt haben arealkundlich motivierte floristische Kartierungen im europäischen Raum wesentlich zur Verbesserung pflanzensystematischer Kenntnisse beigetragen, indem umfangreiches Herbarmaterial zusammengetragen und Verbreitungsverhältnisse ermittelt worden sind, die in der Taxonomie zur Klärung von Verwandtschaftsverhältnissen verwendet werden (chorologische Methode). In der Taxonomie apomiktischer Brombeeren (Rubus) dient die Arealgröße sogar als Kriterium bei der Definition des Artbegriffs. Für evolutionsbiologische Theorien zur Artbildung sind arealkundliche Aspekte sehr bedeutsam. Starke Querverbindungen zur ökologischen Pflanzengeographie und zur Ökophysiologie ergeben sich vor allem aus der Arealanalyse, welche die ökologischen Ansprüche der Sippen einbezieht. Die Synchorologie, die die Verbreitung der floristisch definierten Pflanzengesellschaften untersucht (Pflanzensoziologie), bezieht sich zwangsläufig stark auf die floristische Arealkunde. Für Fragen des Naturschutzes liefert die Arealkunde wesentliche Grundlagen in Form von Daten zur Verbreitung und zu Verbreitungsänderungen. Beispiele sind das Herausarbeiten von Arealschrumpfungen gefährdeter Arten oder die Dokumentation von Endemismus. Aus dem Vorkommen von Endemiten wird im Naturschutz für das betreffende Territorium in jüngerer Zeit explizit eine besondere politische Verantwortlichkeit für Schutzmaßnahmen abgeleitet.
In vielen Regionen der Erde sind die taxonomischen und arealkundlichen Kenntnisse noch sehr unzureichend; dies betrifft gerade auch Bereiche mit besonders hoher Biodiversität. Für Europa werden nach wie vor zahlreiche Rasterverbreitungskarten publiziert, die einen vergleichsweise hohen Kenntnisstand dokumentieren. Das Ausbringen von Wildpflanzen kann die Feststellung natürlicher Areale erheblich erschweren; dies gilt z.B. bei einigen Forstbäumen oder bei in Teilen Mitteleuropas heimischen Sträuchern, die häufig außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes in der freien Landschaft angepflanzt werden. Dabei werden häufig nicht autochthone Genotypen oder züchterisch veränderte Kulturformen verwendet. In den letzten Jahrzehnten haben sich derartige Entwicklungen erheblich beschleunigt. Studien zur Anthropochorie gewinnen wegen teilweise erheblichen ökologischen und ökonomischen Folgeerscheinungen (invasive Arten) an Bedeutung. Zwar wird für Mitteleuropa angenommen, dass der Höhepunkt der Einschleppung florenfremder Arten bereits überschritten ist, doch halten Ausbreitungsprozesse im regionalen und lokalen Maßstab weiterhin an. Oft sind Zusammenhänge mit Standortveränderungen (z.B. Eutrophierung) anzunehmen. In anderen Regionen der Erde werden noch stärkere Auswirkungen der Anthropochorie registriert als in Europa. Die vorhergesagte anthropogene Verstärkung des Treibhauseffektes wird zu Verschiebungen von Arealgrenzen in erheblichem Ausmaß führen. Untersuchungen zu Migrationsprozessen sowie arealkundliche Prognosen unter Zuhilfenahme von Modellierungen werden deshalb wichtige Forschungsaufgaben darstellen.
GKa
Lit: [1] HAEUPLER,H. u. P. SCHöNFELDER, (1989): Atlas der Farn- und Blütenpflanzen der Bundesrepublik Deutschland. – Stuttgart. [2] JäGER,E.J. (1993): Plant geography. In: Progress in Botany 54: 428-447. [3] JALAS,J. et al. (Hrsg.) (1972-1999): Atlas Florae Europaeae. 12 Vols. (to be continued). [4] MEUSEL,H. (1943): Vergleichende Arealkunde. – Berlin. [5] MEUSEL,H. et al. (1965-92): Vergleichende Chorologie der zentraleuropäischen Flora. – Jena. [6] SCHROEDER,F.-G. (1998): Lehrbuch der Pflanzengeographie. – Wiesbaden.
Arealkunde 1: Arealkunde 1: Schemadarstellung verschiedener Arealformen: a) geschlossenes Areal, b) disjunktes Areal; entstanden durch Aussterben in einem Teil (weiß) eines ehemals größeren Areals, c) disjunktes Areal mit einzelnen Reliktvorkommen (Punkte), d) disjunktes Areal; entstanden durch Fernausbreitung in neu gebildete Arealteile (grau).
Arealkunde 2: Arealkunde 2: Verbreitung der Stechpalme (Ilex aquifolium, schraffiert) im Vergleich mit zwei klimatischen Isolinien; zugleich Beispiel einer Umrissverbreitungskarte.
Arealkunde 3: Arealkunde 3: Rasterverbreitungskarte der Rotbuche (Fagus sylvatica). Die Rasterung beruht auf dem UTM-Gitter.
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