Lexikon der Geographie: Didaktik der Geographie
Didaktik der Geographie
Eberhard Kroß, Bochum
Die Geographiedidaktik ist die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit allen Fragen des Lehrens und Lernens von geographisch relevanten Sachverhalten befasst. Im engeren Sinne versteht man darunter nur die Didaktik des Geographieunterrichts (Schulgeographie) – nach älterem, ministeriell üblichen Sprachgebrauch des Erdkundeunterrichts bzw. der Erdkunde. Der Geographiedidaktik kommt wie allen Fachdidaktiken eine Brückenfunktion zwischen der Allgemeinen Didaktik als einem Teilgebiet der Erziehungswissenschaft (Pädagogik) und der Fachwissenschaft Geographie sowie verwandten raumwissenschaftlichen Disziplinen zu.
Die Allgemeine Didaktik entwickelt die relevanten Aufgaben- und Fragestellungen. Die Vertreter der bildungstheoretischen Didaktik hatten um 1960 mit der Einsicht, dass die Bestimmung von Zielen oder Intentionen eines Unterrichts (Warum?) und der Auswahl seiner Inhalte (Was?) vorrangig ist, die Didaktik im engeren Sinne begründet. Damit hatten sie zugleich die damals gängige Abbilddidaktik überwunden, nach der Ziele und Inhalte des Unterrichts durch die Fachwissenschaft bestimmt und durch didaktische Reduktion sowie methodische Arrangements für das Aufnahmevermögen von Schülern zuzubereiten waren. Vielmehr wiesen sie den Entscheidungen über die Methode (Wie?) und die Medien (Womit?) eine nachgeordnete Rolle zu. Zwischen didaktischer Frage und fachlicher Aussage entsteht dadurch eine klare Hierarchie, sodass die Sachanalyse zu einem integralen Bestandteil einer didaktischen Analyse wird und sich ihr unterordnet ( Abb. 1).
Um 1970 erlangte die lerntheoretische Didaktik Einfluss. Mit dem sog. Berliner Modell ( Abb. 2) wiesen ihre führenden Vertreter darauf hin, dass alle vier Unterrichtsdimensionen (Warum? Was? Wie? Womit?) als Entscheidungsfelder gleichermaßen didaktisches Handeln bestimmen und zwischen ihnen Interdependenzen bestehen. Darum ist der Versuch, methodische oder mediale Entscheidungen aus intentionalen Entscheidungen ableiten zu wollen, wenig sinnvoll. Als sehr hilfreich erwies sich auch der Blick auf die Faktoren, die Voraussetzungen und Folgen des Unterrichts sind.
Mit der Diskussion um eine kritisch-konstruktive Didaktik haben sich die beiden ursprünglich kontroversen Positionen inzwischen so weit angenähert, dass sie als sinnvolle Ergänzung begriffen werden. Durch die Betonung der Handlungsorientierung wurden sie deutlicher auf die Schüler ausgerichtet. Zunehmend wird dafür plädiert, neben den Handlungsspielräumen der Schüler die der Lehrer nicht zu vergessen.
Am Berliner Modell lassen sich gut die Aufgaben der Geographiedidaktik erläutern. Im Wesentlichen geht es um drei Dinge: a) die Begründung, Analyse und Beschreibung der Ziele und Inhalte von Geographieunterricht als Theorie geographischer Bildung, b) die Planung, Gestaltung und Evaluation von Geographieunterricht als Theorie und Praxis geographischer Bildung und c) die Erfassung konkreter Handlungsmöglichkeiten von Schülern und Lehrern im Geographieunterricht im Hinblick auf gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Diese drei großen Aufgabenbereiche erfordern eine forschungsorientierte Ausrichtung der Geographiedidaktik, die sich damit als eigenständige wissenschaftliche Disziplin versteht, deren allgemeines Ziel die Aktualisierung und Verbesserung geographischer Bildung ist. Die ursprünglich vornehmlich hermeneutisch-normativ ausgerichtete Forschung wird inzwischen durch eine differenzierte empirisch-analytische Forschung ergänzt.
Der erste Aufgabenbereich der Geographiedidaktik wird am intensivsten bearbeitet, umfasst er doch die zentrale Frage nach den Zielen und Inhalten geographischen Unterrichts und deren Strukturierung. Er ist stark normativ ausgerichtet. Die Geographiedidaktik versucht hierbei Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen zu geben, die historisch unterschiedlich ausgefallen sind. Dies lässt sich eindringlich durch die Gegenüberstellung der Ansprüche an einen vaterländischen, einen nationalsozialistischen, einen sozialistischen oder einen demokratischen Geographieunterricht illustrieren. Der Schulgeographie kommt dabei entgegen, dass auch die Universitätsgeographie vor vergleichbaren Herausforderungen steht, sodass sich geographische Metatheorien und geographiedidaktische Leitbilder durchaus entsprechen.
Seit Ritter 1862 die Erde als "die große Erziehungsanstalt des Menschgeschlechts" bezeichnet hatte, steht das Verhältnis Mensch-Erde im Mittelpunkt des Geographieunterrichts – jedoch mit sich wandelnden Leitbildern. Bis in die Zeit nach dem II. Weltkrieg wurde es als Auseinandersetzung des arbeitenden Menschen mit seiner Umwelt verstanden, wobei in Abhängigkeit vom Entwicklungsstand einer Gesellschaft durchaus unterschiedliche Lösungen vorkommen konnten. Im Rahmen der Curriculumreform um 1970, als Schulunterricht Qualifikationen zur Bewältigung von Situationen des privaten und öffentlichen Lebens bereitstellen sollte, rückte dann in positivistischem Sinne die Planbarkeit menschlicher Lebens- und Umweltbedingungen in den Mittelpunkt. Unter dem Eindruck sich verschärfender ökologischer und sozialer Krisen bei zunehmendem Bevölkerungs- und Wohlstandswachstum wendet sich der Geographieunterricht nun einem globalen Lernen zu, das am Prinzip der Nachhaltigkeit orientiert ist und zur "Bewahrung der Erde" auffordert. Entsprechend verändern sich die Unterrichtsinhalte und -methoden sowie die Auffassungen von der Funktion der Schule. Damit ändert sich zugleich die Diskussion um das angemessene "geographische Weltbild". Sie thematisiert nun stärker die Ausbildung einer räumlichen Identität, die sich in ausgewogener Weise zwischen den Polen Heimat und Welt entfalten soll.
Angesichts zunehmender Verfallsgeschwindigkeit des Wissens werden nun methodische Fähigkeiten wieder stärker betont. So hat sich die Geographiedidaktik mit der allgemeindidaktischen Diskussion über Handlungsorientierung auseinander zusetzen, in der nicht selten Fachinhalte abgewertet werden. Andererseits ist es durchaus akzeptabel, wenn die von einem Fach eingebrachte Wissensfülle im Interesse der Lernenden auf ein pädagogisch sinnvolles Maß reduziert wird. Schülerorientierung wäre dafür eigentlich der angemessenere Begriff, denn Handlungsorientierung lässt sich auch in einem wissenschaftsorientierten Unterricht erreichen – durch Experimente, Erkundungen und alle übrigen mit Datenerhebung und -verarbeitung verbundenen Methoden. Das Vordringen neuer Medien dürfte die Handlungsorientierung stärken, ähnlich wie es die Forderung nach stärkerer Berücksichtigung von Alltagswelt und Alltagsbewusstsein getan hat. In jedem Fall verändert Schule ihre Funktion und wandelt sich von einer traditionellen Lehranstalt hin zu einer Lernwerkstatt.
Der zweite Aufgabenbereich der Geographiedidaktik betrifft die empirische Fundierung von Planung, Durchführung und Evaluation des Geographieunterrichts, damit er über eine rezeptologische Meisterlehre hinauskommt. Das lässt sich forschungsmethodisch am besten bewältigen, wenn aus dem hochkomplexen Unterrichtsgeschehen, bei dem alles mit allem zusammenhängt, Teilaspekte zur Untersuchung herausgegriffen werden. Hier reicht das Spektrum von der Effizienz bestimmter Unterrichtsmethoden bis hin zum Einsatz geographischer Schulbücher im Unterricht. Sehr umfangreich sind die Forschungen zur inhaltlichen und formalen Bewertung der verschiedenen Unterrichtsmedien. Große Bedeutung kommt auch der Lernkontrolle und Leistungsbewertung zu. Besonderes Interesse finden dabei die Aufgabenstellungen, zur Steuerung des Lernprozesses. Da sie eng auf die methodische Konzeption des Unterrichts bezogen sind, spiegeln sie unterschiedliche didaktische Konzepte, etwa eines handlungsorientierten Unterrichts oder eines lehrerzentrierten Unterrichts.
Der dritte Aufgabenbereich der Geographiedidaktik, der sich mit den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen von Unterricht durch eine Beobachtung der Schüler und der Lehrer sowie der schulischen und gesellschaftlichen Bedingungen befasst, ist forschungsmäßig noch stärker aufgefächert. Gute Beispiele liefern die Untersuchungen von geographischen Kenntnissen, Interessen und Einstellungen der Schüler. Wie wertvoll solche empirischen Untersuchungen sein können, zeigen die Befunde, nach denen die Übernahme von Vorurteilen durch Schüler weitgehend bis zum 14. Lebensjahr abgeschlossen ist. Wenn dennoch ein Lehrplan nach dem Prinzip vom Nahen zum Fernen aufgebaut ist und eine Begegnung mit Außereuropa erst in der 7. oder 8. Klasse zulässt, wird er wenig zur internationalen und interkulturellen Verständigung beitragen können. Ähnliches gilt für die Wahrnehmung von Umweltproblemen und die Bereitschaft zum Umwelthandeln im Rahmen globalen Lernens. Von großer Bedeutung sind auch die Schulbuchanalysen zur Ermittlung vorurteilsbehafteter Darstellungen von Afrikanern, Zuwanderern oder Frauen sowie von Regionen wie dem Ruhrgebiet. Am Beispiel der Schulbuchevaluation lässt sich eindrucksvoll zeigen, wie durch Forschung Schulbücher verbessert werden konnten.
Neben den eigenen Forschungen der Geographiedidaktik ist bei begrenzten personellen Ressourcen des Faches die Übernahme und Adaptation von Forschungsergebnissen aus der Erziehungswissenschaft einschließlich Lern-, Entwicklungs- und Sozialpsychologie notwendig. Keinesfalls sollte erwartet werden, dass jedes Forschungsergebnis direkt unterrichtspraktisch verwertet werden kann. Daran entzündet sich Kritik von Lehrern als "Schulpraktikern", die den "Geographiedidaktikern" Theorielastigkeit und Praxisferne vorwerfen. Dabei zeigen viele empirisch schlecht fundierte Unterrichtsmodelle, ja selbst Curricula, dass ein gegenseitiges Ausspielen von Theorie und Praxis nicht weiter führt. Geographiedidaktik ist – genau wie die Erziehungswissenschaft – "Theorie von und für die Praxis". In diesem Sinne sollten die Kräfte gebündelt werden, um angesichts der wachsenden Spezialisierung und Ausdifferenzierung sowohl der Fachwissenschaft wie der Erziehungswissenschaft Geographieunterricht weiterhin überzeugend begründen und vertreten zu können.
Lit: [1] BöHN, D. (Hrsg.) (1999): Didaktik der Geographie – Begriffe. – München.
[2] GUDJONS, H. u. R. WINKEL (Hrsg.) (1997): Didaktische Theorien. – Hamburg.
[3] HAUBRICH, H. u.a. (1997): Didaktik der Geographie konkret. – München.
[4] KöCK, H. (1991): Didaktik der Geographie: Methodologie. – München.
[5] RITTER, C. (1862): Allgemeine Erdkunde. – Berlin.
[6] KROß, E. u. H. VOLKMANN (1994): Empirische Geographiedidaktik. In: H.H. Blotevogel u. H. Heineberg (Hrsg.): Kommentierte Bibliographie zur Geographie, Bd. 1. – Paderborn.
[7] SCHULTZE, A. (Hrsg.) (1996): 40 Texte zur Didaktik der Geographie. – Gotha.
[8] SCHMIDT-WULFFEN, W. u. W. SCHRAMKE (Hrsg.) (1999): Zukunftsfähiger Erdkundeunterricht. – Gotha und Stuttgart.
Didaktik der Geographie 1: Didaktik der Geographie 1: Modell zur didaktischen Analyse.
Didaktik der Geographie 2: Didaktik der Geographie 2: Strukturgüte des Unterrichts nach dem Berliner Modell.
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