Lexikon der Geographie: Funktionalismus
Funktionalismus, stellt eine transdisziplinäre Denkweise dar, deren Kern darin besteht, die Teile des Ganzen in Bezug auf ihre Funktion für die Ganzheit zu analysieren und zu erklären. Die zwei Kernelemente funktionalen Denkens bestehen in der konzeptionellen Festlegung eines Bezugspunktes, auf den die Funktionen gerichtet sind und dem Funktionsverständnis. Mit der Festlegung des Bezugspunktes wird darüber entschieden, worauf man sich die Funktionen gerichtet vorzustellen hat. Mit der Definition des Funktionsbegriffs wird festgelegt, wofür man die Beziehungen hält. Die verschiedenen Ausdifferenzierungen funktionalistischen Denkens, Argumentierens und Forschens stellen Variationen unterschiedlicher Festlegungen des Bezugspunktes und unterschiedlicher Definitionen des Funktionsbegriffs (Leistung, Zuordnung) dar. Einer der wichtigen Ausgangspunkte des funktionalen Denkens ist die Biologie bzw. die Physiologie. Die Funktion eines Organs für den Körper wird hier in seiner "Leistung" für den Körper gesehen. Die Leistungen der verschiedenen Organe des menschlichen Körpers sind auf die Erhaltung des Organismus ausgerichtet und erlangen darin ihre Bedeutung für das Ganze. Anhand von Organismusanalogien wird dieses Denkmuster auf die Gesellschafts-, Kultur- oder Erdraumanalyse übertragen. Einzelteile sind dann nicht mehr Organe, sondern z.B. Handelnde oder Städte, die ihre Leistungen für das Ganze erbringen (funktionale Phase). Die Einzelteile können im Sinne des Reziprozitätsprinzips wechselseitig miteinander verknüpft sein. Ein Element kann in diesem Sinne sowohl eine Funktion für etwas haben (Grund, Zweck), als auch Funktion von etwas sein (Folge, Wirkung).
Die Bedeutungsdimension "Zuordnung" knüpft im Wesentlichen an den mathematischen Funktionsbegriff an, wobei hier die Zuordnung selbst, und nicht die Leistung, die diese Zuordnung verwirklicht, als zentraler Bedeutungsgehalt thematisiert wird. In der sozialwissenschaftlichen Auffassung fallen Leistung und Zuordnung im Idealfall zusammen: Die Zuordnung eines Elementes bzw. einer Handlung vollzieht sich über dessen Leistung. Dann ist die Beziehung Ausdruck einer Art von Wirkung. Die besondere Art der Wirkung wird dann als Zweck gesehen, Funktionen gelten dann im Sinne von Niklas Luhmann als zweckdienliche Leistungen. Leistungen, die davon abweichen, werden als Dysfunktionen bzw. als dysfunktional bezeichnet.
Je nach der Wahl des Bezugspunktes, auf den man sich die Funktionen in ihrer leistungsmäßigen Zuordnung bezogen vorstellt, werden verschiedene Inhalte als "Funktion" bezeichnet. Grundsätzlich können zwei Prinzipien der Bezugspunktwahl unterschieden werden. Der universalistische Bezugspunkt der funktionalen Analyse in allgemeinen Theorieansätzen hat in den Sozial- und Kulturwissenschaften die Herausarbeitung von Universalien, die allen Gesellschaften/Kulturen gemeinsam sind, zum Ziel. Diese reichen von der Vorstellung einer moralischen Solidarität (Durkheim) über universale biologische und daraus abgeleitete kulturelle Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen/können, wenn Gesellschaften überleben wollen (Malinowski) bis hin zu einem allgemeinen Gleichgewichtszustand des Gesellschaftssystems (Parsons). An universalistische Festlegungen des Bezugspunktes schließt die Vorstellung an, für alle Gesellschaften verbindliche Bestandeserfordernisse aufdecken zu können.
Das jeweilige Ganze, die jeweilige gesellschaftliche Einheit als Bezugspunkt der funktionalen Analyse zu wählen, impliziert eine relativistische Position. Ziel ist dabei die Formulierung von bestimmten Leistungen/Handlungen, die erbracht werden müssen, damit das Ganze als solches bestehen und überleben kann (Organisationstheorie, soziale Evolution). Damit ist jeweils die (konservatorische) Idee verknüpft, dass Veränderungen nur dann nicht bestandesgefährdend sind, wenn sie äquivalente Leistungen erbringen können. Eine Leistung soll danach beurteilt werden, ob sie in ihrer Zuordnung als Beitrag zur Erhaltung des Ganzen identifiziert werden kann oder nicht. Ist die Leistung systemerhaltend, ist sie als funktional zu bezeichnen, wenn nicht, dann als dysfunktional.
Im Städtebau bezeichnet Funktionalismus die systematische Gliederung der Stadt in räumlich klar voneinander getrennte Nutzungs- bzw. Funktionsbereiche, die von der Charta von Athen gefordert wurden. Die jahrzehntelange Verwirklichung dieses Leitbilds führte zu einer starren Zuordnung von Funktionen und Flächen, was zu Monotonie der Stadtstruktur und im ausgehenden 20. Jh. auch zu Abwanderung, Suburbanisierung und funktionalem Verfall der Kernstadt führte.
Lit: [1] DURKHEIM, E. (1960): De la division du travail social, 7ème éd. – Paris. [2] LUHMANN, N. (1962): Funktion und Kausalität; in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 14. Jg., Heft 4, 617-644. [3] PARSONS, T. (1952): The social system. – London. [4] MALINOWSKI, B. (1977): Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur. – Frankfurt a.M. [5] MERTON, R. (1957): Manifest and latent functions; in: Merton, R.: Social theory and social structure, Glencoe, Ill., 35-100.
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