Lexikon der Geographie: Geographie der Freizeit
Geographie der Freizeit, Freizeitgeographie, eigenständige Fachrichtung innerhalb der Humangeographie in den 1970er-Jahren mit der Entwicklung der Münchner Sozialgeographie unter dem Begriff der Geographie des Freizeitverhaltens entstanden. Nach Auffassung dieser Schule ist menschliches Leben in sieben sog. Daseinsgrundfunktionen kategorisiert, zu denen auch die Funktion "Sich erholen" gehört. Die Geographie des Freizeitverhaltens hat erkannt, dass Fremdenverkehr oder Tourismus nur einen Teil des gesamten Freizeitverhaltens ausmacht, sodass sich als umfassenderer Begriff – im Vergleich zur Geographie des Tourismus – der des Freizeitverhaltens bzw. der Freizeit, geprägt durch die Münchner Schule der Sozialgeographie, durchsetzt. Mit dieser veränderten Sichtweise tritt die Erforschung des der Naherholung dienenden Raumes und des Wohnumfeldes neben der Erforschung des Fremdenverkehrsraums des längerfristigen Tourismus verstärkt in den Blickpunkt des Interesses. Die Analyse der spezifischen Freizeitinfrastruktur und gruppenspezifischer Reichweiten stehen zunächst im Vordergrund des Forschungsinteresses. In vielen geographischen Arbeiten in der Nachfolge der Münchner sozialgeographischen Schule wird häufig im Titel eine Verknüpfung von Fremdenverkehr bzw. Tourismus und Freizeit in der Weise hergestellt, dass Bezeichnungen wie Geographie der Freizeit und des Tourismus gewählt werden. Mit der Kritik an der Gleichbehandlung der sog. Daseinsgrundfunktionen der Münchner sozialgeographischen Schule entwickelt sich eine stärker sozialwissenschaftlich ausgerichtete Geographie der Freizeit, die als eigenständige Betrachtungskategorie die Geographie des Tourismus als Teilbereich der Geographie der Freizeit subsumiert. Vor allem werden freizeitbezogene Theorieansätze aus Nachbardisziplinen stärker berücksichtigt, wie z.B. kompensatorische Ansätze, die in der Freizeit einen Ausgleich für die in anderen Lebensbereichen nicht erfüllbaren Wünsche sehen oder den suspensiven Ansatz, der die freiwillige Fortsetzung von Tätigkeiten und Verhaltensweisen aus dem Beruf thematisiert, auch den regenerativen Ansatz, der sich mit der Wiederherstellung der Arbeitskraft befasst. Als Betrachtungsschema wird das Dreiecksdiagramm der Lebensbereiche Arbeiten, Wohnen und Freizeit eingeführt und die gegenseitige Verflechtung und Bedingung dieser drei Lebensbereiche als wesentlicher Bestimmungsfaktor für die Freizeitverwendung angesehen. Im Rahmen dieses Konzeptes befasst sich die Geographie der Freizeit mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, d.h. u.a. der Arbeits- und Wohnsituation und ihren Auswirkungen auf Freizeitverwendungsmöglichkeiten, den Wechselwirkungen zwischen diesen Rahmenbedingungen und den naturräumlichen Bedingungen, der Freizeitinfrastruktur und den kulturellen, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen und Folgen der Freizeitverwendung.
Methodisch gewinnen Arbeiten an Bedeutung, in denen nicht nur strukturelle und funktionale Aussagen über freizeitrelevante Raumstrukturen und Raumbezüge erarbeitet werden, sondern in denen vermehrt Motivationen für bestimmte Freizeitaktivitäten untersucht werden. Gleichzeitig nehmen Untersuchungen zu, die z.B. mithilfe nutzwertanalytischer Ansätze (Nutzwertanalyse) Entscheidungsvorbereitungen für die Freizeitnutzung bereitstellen.
Die Geographie der Freizeit entwickelt sich weiter zu einer allgemeinen Zeitgeographie und Lebensraumforschung, da unter den verschiedenen genannten Ansätzen Freizeit für den Einzelnen eine jeweils unterschiedliche Bedeutung hat und von der Muße bis zur eigenbestimmten handwerklichen Tätigkeit reichen kann. Geographisch ist sie nur im Zusammenhang mit dem gesamten räumlichen Lebenskontext in der zeitlichen Abfolge von der täglichen über die wöchentliche, die Jahres- und Lebenszeit wirklichkeits- und raumrelevant zu analysieren und nur aus diesen Analysen sind Erkenntnisse für die zukünftige Raumentwicklung abzuleiten. Der Mensch ist Gegenstand der Forschung in seinen gesamten raumzeitlich gebundenen Handlungen und in seinem jeweiligen gesellschaftlichen Kontext.
KW
Lit: [1] MAIER,J.; PAESLER,R.; RUPPERT,K.; SCHAFFER, F. (1977): Sozialgeographie. [2] JURCZEK, P. u. WOLF, K.(1986): Geographie der Freizeit und des Tourismus. -Stuttgart.
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