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Lexikon der Geographie: Handlungstheorie

Handlungstheorie, grundlegende Theorietradition der Analytischen Philosophie und der Gesellschaftswissenschaften. Im Bereich Sozialforschung wird von Vertretern der Handlungstheorie davon ausgegangen, dass die Erforschung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in handlungzentrierten Kategorien durchgeführt werden soll. Unter Handeln wird dabei eine besondere Darstellung menschlicher Tätigkeiten verstanden.
Die handlungszentrierte Betrachtungsweise der gesellschaftlichen Wirklichkeit wurde von Max Weber begründet und von Talcott Parsons zur normorientierten Gesellschaftstheorie ausgebaut. Auf der Grundlage der phänomenologischen Philosophie (Phänomenologie) hat Alfred Schütz die Grundlagen für eine handlungszentrierte interpretative Sozial- und Kulturwissenschaft entwickelt. Jürgen Habermas' "Theorie des kommunikativen Handelns" verbindet die Handlungstheorie mit der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule. Die Strukturationstheorie von Anthony Giddens führt argumentative Elemente der Strukturtheorien in die Handlungstheorie ein.
Eine einheitliche Handlungstheorie gibt es nicht. Die verschiedenen Traditionen stehen jedoch in einem sich gegenseitig ergänzenden Verhältnis. Sie stellen jeweils verfeinerte analytische Bezugnahmen zur Untersuchung verschiedener Aspekte und Ausrichtungen menschlicher Tätigkeiten dar. Insgesamt ist zwischen zweckrationalen, normorientierten und verständigungsorientierten Handlungstheorien zu unterscheiden. Die zweckrationalen Handlungstheorien (Vilfredo Pareto, Max Weber, Entscheidungstheorie bzw. rational choice theory) zeichnen sich durch den selektivsten Zugriff auf die soziale Wirklichkeit aus. Sie beherrschen insbesondere das Feld des Ökonomischen in neoklassischer und neoliberalistischer Tradition. Eine mittlere Position nimmt die normorientierte Handlungstheorie (Talcott Parsons, Robert Merton) ein. Die interpretative, verständigungsorientierte Handlungstheorie von Alfred Schütz ist als umfassende Auseinandersetzung mit der Konstitution gesellschaftlicher Wirklichkeit in subjektbezogenen Handlungsvollzügen zu betrachten.
Jeder dieser Ansätze unterscheidet sich in Bezug auf die Annahmen im Modell des Handelnden, dem Prozess der Zielorientierung, dem Bezugsrahmen der Handlungsorientierung und der Thematisierung der Situation des Handelns.
Bei zweckrationalen Theorien stehen bei der Konstruktion des Modells des Handelnden Rationalitätsannahmen und -maximen im Zentrum des Interesses. Es werden die Fähigkeiten eines handelnden Subjekts thematisiert, die gegeben sein müssen, um als Homo rationalis oder Homo oeconomicus eine optimale Zweck-Mittel-Relation konstruieren zu können. Hinsichtlich der Zielorientierung wird hypothetisch davon ausgegangen, dass die wirtschaftenden Subjekte als Produzenten/Anbieter beabsichtigen, ihren Aufwand, ihre Kosten zu minimieren. Als Konsumenten sind sie bestrebt, ihren Nutzen zu optimieren. Der Bezugsrahmen der Handlungsorientierung umfasst, wenn es um die Bestimmung des technisch "richtigen" Handelns geht, im Sinne von Pareto objektiv gesicherte Wissensbestände. Oder man konzentriert sich, im Sinne von Max Weber, auf das subjektiv verfügbare Wissen, wenn die verstehende Rekonstruktion des Handelns im Vordergrund steht. Auf beide Wissensformen nimmt die Entscheidungstheorie Bezug. Aufgrund dieser jeweiligen Bedingungen interpretieren die Subjekte die verschiedenen Aspekte der Situation des Handelns, die sowohl als Mittel des Handelns oder als (Rahmen-)Bedingungen relevant werden können.
Die normzentrierten Theorien richten das Interesse auf die Fähigkeiten der Subjekte zur Normberücksichtigung. Nicht nur die bloße Nutzenkalkulation interessiert, sondern die geltenden kulturellen Werte und sozialen Normen und die Reproduktion der sozial-kulturellen Welt durch den Homo sociologicus. Welche Werte und Normen bei der Zielorientierung zu berücksichtigen sind, um eine ausreichende sozial-kulturelle Kompetenz zu erlangen, lautet die prozessorientierte Frage. Hinsichtlich des Bezugsrahmens der Handlungsorientierung wird die angemessene Abstimmung von Kultur-, Sozial-, Persönlichkeits- und biologischem Bedürfnissystem thematisiert. Situationsdefinitionen werden entsprechend als norm- und wertezentriert konzeptualisiert. Für die Aufrechterhaltung der sozial-kulturellen Wirklichkeit werden intersubjektiv gültige Situationsinterpretationen in dem Sinne postuliert, dass gültige Normen und Werte situationsspezifisch an das Subjekt herangetragen werden können.
Verständigungsorientierte Theorien thematisieren die Handelnden in Bezug auf ihre umfassenden Fähigkeiten zur sinnhaften Konstitution verschiedenster Wirklichkeitsbereiche. Diese Konstitutionsleistungen des Homo communicans werden, so die These, auf der Grundlage der aktuellen Ausprägung des biographischen Wissensvorrats erbracht. Bei der Zielorientierung steht konsequenterweise die Bedeutungskonstitution auf der Basis eines bestimmten biographischen Erfahrungskontextes der Subjekte im Zentrum des Interesses. Beim Bezugsrahmen der Handlungsorientierung konzeptualisierte insbesondere Schütz die thematische Eingrenzung und Zentrierung des Handelns (thematische Relevanz). Die Situation des Handelns wird hier in Bezug auf die Bedeutung des Körpers für die Wissensaneignung (Kopräsenz/Abwesenheit) thematisiert. Die Konsequenzen für die Ausprägung des biographischen Wissensvorrates werden dann für die Interpretation der Umstände des Handelns (Auslegungsrelevanz) genauer betrachtet.
Mit den unterschiedlichen Zentrierungen des wissenschaftlichen Interesses sind unterschiedliche Zuständigkeiten verbunden. Zweckrationale (Rationalität) Handlungstheorien ermöglichen eine differenzierte Auseinandersetzung mit technischen Problemaspekten (Zweck-Mittel-Kombinationen). Normorientierte Handlungstheorien sind für die Lösung von Problemen, bei denen soziale Normen und kulturelle Werte bei der Ziel- und/oder Mittelwahl sowie die soziale Ordnung im Zentrum stehen, ein hilfreiches Bezugsfeld. Verständigungsorientierte Handlungstheorien weisen für die Lösung von Problemen, bei denen divergierende subjektive Sinnkonstitutionen vorherrschen, die größte Sensibilität auf.

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Grafik:
Mathias Niemeyer (Leitung)
Ulrike Lohoff-Erlenbach
Stephan Meyer

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