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Lexikon der Geowissenschaften: Angewandte Geothermik

Angewandte Geothermik, Teilgebiet der Geothermik. Die Angewandte Geothermik beschäftigt sich mit der Anwendung geothermischer Verfahren zur Lösung praktischer und ingenieurtechnischer Probleme. Die Nutzung der geothermischen Energie ist ein Teilgebiet der Angewandten Geothermik (geothermische Energiegewinnung). Bei der Angewandten Geothermik ist die Temperatur in ihrer räumlichen und zeitlichen Veränderung die entscheidende Meßgröße. Untersuchungen des geothermischen Gradienten und der Wärmestromdichte spielen nur eine untergeordnete Rolle. Temperaturmessungen können bei allen Fragestellungen eingesetzt werden, bei denen die Temperatur als Tracer für endotherme oder exotherme Prozeßabläufe und für Wärmetransportvorgänge genutzt werden kann. Die folgende Übersicht zeigt, in welchen Bereichen Temperaturmessungen erfolgreich eingesetzt werden können:

a) Pipelines: Langzeitmonitoring zur Leckagedetektion und -ortung bei Erdgas-, Erdöl- und Produktleitungen sowie bei Fernheiztrassen ( Abb. 1 , Abb. 2 ); b) Bohrungen: Temperatur-Logging (Temperatur-Log), Fluid-Logging, Nachweis von wasserführenden Kluftzonen und Zuflußzonen von Wasser, Online-Untersuchungen bei Pumptests; c) Untergrundspeicher: Überwachung der Temperatureffekte bei der Einspeisung und Ausspeisung von Gas, Detektion und Lokalisierung von Leckagen an Steigrohren und Verrohrungen, Erfassung und Überwachung von Hinterrohreffekten; d) Dämme, Deiche und Talsperren: Erfassung und Überwachung von Sickerwasserpfaden durch Dämme und Deiche, Langzeitmonitoring zur Schadstellenüberwachung; e) oberirdische Deponien: Temperaturüberwachung entsprechend der TA Abfall und TA Siedlungsabfall in der Betriebs- und Nachsorgephase, Lokalisierung von Aufheizzonen und schwelbrandgefährdeten Zonen im Innern von Deponien, Überwachung der Dichtigkeit von Basis- und Oberflächenabdichtung. ( Abb. 4 ); f) unterirdische Sondermülldeponien: Überwachung von Zwischen- und Endlagern von Sondermüll und radioaktiven Abfällen, Überwachung von Deponierung und Re-Injektion von Fluidsystemen in poröse Schichten; g) Tunnel-, Erd- und Bergbau: Geohydraulische Prozesse hinter Tunnelwänden, Überwachung der Dichtigkeit der Vertikal- und Bodenabsperrungen von Großbaugruben, Erfassung von Leckagen an Schlitzwänden, Flutung und Endverwahrung von Schachtanlagen; h) Lagerstättenerkundung: Erfassung oberflächennaher Sulfiderzvorkommen (insbesondere Sulfiderzgänge), Thermalwassererkundung; i) Erzaufbereitung: Überwachung, Steuerung und Optimierung untertägiger und übertägiger Laugung von Armerzen (Leaching), z.B. von Kupfererzen; j) geothermische Energiegewinnung: Überwachung und Optimierung geothermischer Anlagen, Nachweis von Zuflußzonen bei hydrogeothermischen und hydrothermalen Systemen.

Aus dieser Zusammenstellung wird deutlich, daß in der Angewandten Geothermik Fragen im Vordergrund stehen, die eine Langzeitüberwachung (Geomonitoring) erfordern. Die Absolutgenauigkeit der Temperaturmessungen ist dabei nicht so wichtig wie die Temperaturauflösung. Entscheidend sind eine hohe Orts- und Zeitauflösung und die Möglichkeit, die Messungen zeitgleich über lange Strecken (z.T. viele Kilometer), flächenhaft oder räumlich über möglichst lange Zeiträume (bis mehrere Jahrzehnte) durchführen zu können. Weiterhin muß gewährleistet sein, daß die Messungen stets an der gleichen Stelle erfolgen, um eindeutige Aussagen über den zeitlichen Verlauf der Temperatur zu erhalten. Damit werden hohe Anforderungen an die Meßtechnik gestellt, denen die faseroptische Temperatursensorik weitgehend entspricht. Aber auch Widerstandsthermometer (Pt-100-Verfahren) und Infrarotmeßgeräte können in Abhängigkeit von der Aufgabenstellung erfolgreich eingesetzt werden. Einige ausgewählte Beispiele geben einen Einblick in praktische Einsatzfälle.

a) Detektion und Lokalisierung von Leckagen an Pipelines: Leckagen an unterirdisch verlegten Gas-, Öl- oder Produktenpipelines verursachen wirtschaftliche Verluste und bilden ein erhebliches Risiko für Umwelt und Bevölkerung. Pipelines werden daher mit Hilfe verschiedener Methoden überwacht. Temperaturmessungen bieten den Vorteil einer genauen Lokalisierung von Leckagen und der Erfassung auch kleiner Undichtigkeiten. Bei intakten Pipelines erfolgt die Wärmeübertragung durch Wärmeleitung. Bei einer Leckage von Pipelines, an denen Flüssigkeiten (Öl, Wasser oder andere Produkte) austreten, bilden sich in der Umgebung der Leckstelle durch einen advektiven Wärmetransport Temperaturanomalien im Erdboden. Die Größe dieser Anomalie hängt von der Temperaturdifferenz zwischen dem in der Pipeline transportierten Medium und der Bodentemperatur ab. Bei Gaspipelines, bei denen das Gas unter einem Druck bis 6 MPa stehen kann, erfolgt an der Leckagestelle eine Druckentspannung. Entsprechend dem Joule-Thomson-Effekt tritt eine Abkühlung bei Druckentspannung auf. Für Methan beträgt die Temperaturabsenkung ca. 0,5ºC pro 0,1 MPa Druckabfall. Bei Gaspipelines bestehen daher gute Voraussetzungen für die thermische Leckageortung ( Abb. 2 ). Für die Pipelineüberwachung bietet sich v.a. das faseroptische Temperaturmeßverfahren an, da die Meßkabel zwischen zwei Meßstationen eine Länge bis zu 60 km haben können, so daß mit dieser Technik auch lange Pipelineabschnitte überwacht werden können. In ähnlicher Weise erfolgt die Leckageüberwachung von unterirdisch verlegten Fernheizungsleitungen und Frischwasserleitungen.

b) Überwachung der Dichtigkeit von Dämmen, Deichen und Wasserbauwerken: Dämme und Deiche entlang von Flüssen und Kanälen sowie Staudämme und Staumauern dienen dem Schutz der Umgebung vor Überflutungen. Sickerwasser kann auf unterschiedlichen Fließpfaden einen Deich unter- oder durchströmen und binnenseitigen Drainagesystemen zufließen oder als Drängewässer auftreten. Es gilt daher, Dammabschnitte mit einer verstärkten Durchströmung zu lokalisieren und die zeitlichen Veränderungen der Durchströmung über lange Deichstrecken quasi-kontinuierlich mit hoher Ortsauflösung zu erfassen. Sickerwasserpfade und Leckstellen in Dämmen und Deichen können durch Temperaturmessungen erfaßt und lokalisiert werden, da sich die Temperatur von Sickerwasser aus einem Fluß, Kanal oder Staubecken von der Temperatur in einem unbeeinflußten Boden oder im Grundwasser unterscheidet. Die Temperatur ist somit ein natürlicher Tracer für die Erkennung und Lokalisierung von Sickerwasserpfaden und der einzige Parameter, der eine direkte Information über vorhandene Fließpfade liefert. Praktische Messungen zeigen, daß sich Dammabschnitte mit einem erhöhten Sickerwasserdurchfluß eindeutig lokalisieren lassen, so daß zielgerichtete Maßnahmen zur Sanierung eingeleitet werden können. Bereiche mit aufsteigendem kühlem Grundwasser werden mit den Temperaturmessungen ebenfalls erkannt. Die Größe der Temperaturanomalie ist ein Maß für die Zuflußrate von Grund- und Flußwasser, wodurch eine qualitative Bewertung der Zuflußmenge von Wasser möglich ist. In ähnlicher Weise können in Seen und Tagebaurestlöchern Wasserzutritte aus dem Liegenden oder aus Böschungen lokalisiert werden. Die Überwachung langer Deichabschnitte oder großer Strecken am Boden von Seen stellt die gleichen Anforderungen an die Meßtechnik wie die Überwachung von Pipelines. Für Detailuntersuchungen kurzer Deichabschnitte können auch Messungen mit Widerstandsthermometern und Infrarotmessungen eingesetzt werden. Der stationäre Einbau eines faseroptischen Meßkabels im Erdboden oder an anderen später nicht mehr zugängigen Stellen (z.B. Wehr, Schleuse) ermöglicht ein Langzeitmonitoring.

c) Untergrundspeicher: Aquifer- und Kavernenspeicher werden für die unterirdische Speicherung von Erdgas genutzt. Die Temperaturverteilung und deren zeitliche Entwicklung ist eine wichtige Meßgröße für die Bewertung des Betriebszustandes. Temperaturmeßsysteme (z.B. faseroptische Temperaturmessung) können in ein Steigrohr oder in den Raum zwischen Steigrohr und Verrohrung (Ringraum) eingebaut werden. Bei Defekten (z.B. undichte Muffen) tritt Gas aus dem Steigrohr in den Ringraum ein, wobei es zu einer Druckentspannung kommt. Dieser Effekt wird durch Temperaturmessungen erfaßt. Mit fest in einer Bohrung installierten Temperaturmeßsystemen kann die Einstellung des Temperaturgleichgewichts im Anschluß an eine Gaseinspeisung oder Gasausspeisung und der damit verbundenen Temperaturstörung untersucht werden.

d) Deponien: In Deponien laufen chemische und mikrobielle Prozesse ab, durch die Wärme erzeugt wird (exotherme Prozesse, Wärmequellen, Wärmeproduktion). Im Innern von Hausmülldeponien kann die Temperatur Werte von 70ºC erreichen. Dadurch hebt sich eine Deponie von ihrer Umgebung durch eine deutliche positive Temperaturanomalie ab. Eine Abgrenzung von Deponiebereichen mit unterschiedlichen Wärmeproduktionsraten im Deponieinnern kann durch Infrarotmessungen erfolgen ( Abb. 3 ). Bei Altdeponien, die keine ordnungsgemäße Basisabdichtung haben, wird wärmeres Deponiesickerwasser mit dem Grundwasserstrom mitgeführt, es erfolgt ein advektiver Wärmetransport (Advektion). Temperaturmessungen in geringer Tiefe (z.B. 1 m) im Umfeld einer Deponie erfassen im Abstrom die Hauptströmungsbahnen des Grundwassers ( Abb. 4 ). Dadurch wird es möglich, zielgerichtet chemische Untersuchungen über die Belastung des Grundwassers vorzunehmen. In Schlackenhalden kann die Zersetzung von Sulfiden zu hohen Temperaturen führen. So wurden auf der Wälzschlackenhalde des ehemaligen Hüttengeländes in Freiberg (Sachsen) Temperaturwerte um 300ºC in einer Tiefe von 6-7 m gemessen. Die Brandherde, die diese hohen Temperaturen verursachen, wandern und verändern ihre Lage. Mit Temperaturmessungen läßt sich der zeitliche Prozeß der Wärmefreisetzung und der Wirksamkeit eingeleiteter Sanierungsmaßnahmen überwachen. In einer Überwachungsbohrung auf der Schlackenhalde verringerte sich innerhalb eines Jahres die Temperatur von 200ºC auf ca. 70ºC ( Abb. 5 ). [EH]

Literatur: [1] ARMBRUSTER, H., GROSSWIG, S., HANNICH, D., HURTIG, E. und MERKLER, G.-P. (1997): Thermische Untersuchungen an Seitengräben zur Kontrolle durchströmter langgestreckter Dämme – Teil I: Hydraulische Situation und Meßverfahren, Teil II: Meßergebnisse, Interpretation und Wertung. – Wasserwirtschaft 87. [2] GROSSWIG, S. und HURTIG, E. (1997): Die faseroptische Temperaturmeßtechnik – Leistungsfähigkeit und Anwendungsmöglichkeiten im Umwelt- und Geobereich anhand ausgewählter Beispiele. – Scientific Reports, J. Mittweida University of Technology and Economics. [3] GROSSWIG, S., HURTIG, E., KASCH, M. und SCHUBART, P. (1997): Leckortung und Online-Überwachung an unterirdischen Erdgas-Pipelines mit faseroptischer Temperatursensorik. – Erdöl, Erdgas, Kohle, 113.


Angewandte Geothermik 1: Prinzip der Leckageortung mit Hilfe faseroptischer Temperaturmessungen. Angewandte Geothermik 1:

Angewandte Geothermik 2: Temperaturprofile über einer Leckagestelle in einer Erdgaspipeline. Das faseroptische Sensorkabel wurde unter der Pipeline in 6-Uhr-Stellung installiert (links im Bild). Angewandte Geothermik 2:

Angewandte Geothermik 3: IR-Messungen der Altablagerung Conradsdorf. Karte der Differenztemperaturen (Erdoberfläche-Lufttemperatur). Angewandte Geothermik 3:

Angewandte Geothermik 4: Temperaturverteilung in 1 m Tiefe im Abstrom einer Deponie (Pfeile markieren die Hauptströmungsbahnen). Angewandte Geothermik 4:

Angewandte Geothermik 5: Wälzschlackenhalde bei Freiberg. Temperaturentwicklung in einer Überwachungsbohrung. Angewandte Geothermik 5:
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