Lexikon der Geowissenschaften: Baltischer Schild
Baltischer Schild, Teil von Archaeoeuropa, größtes zusammenhängendes Aufschlußgebiet präkambrischer Gesteine in Europa, umfaßt weite Teile des heutigen Skandinaviens mit Ausnahme des Kaledonischen Gebirges (Norwegisches Hochgebirge). Der Baltische Schild und die Kaledoniden zusammen werden Fennoskandia genannt. Wegen fehlender bzw. kaum vorhandener Fossilien erfolgte die stratigraphische Untergliederung zunächst in klassischer Weise durch die Interpretation unterschiedlicher Metamorphosegrade und Streichrichtungen sowie durch die Auswertung von Winkeldiskordanzen und Geröllanalysen an Transgressionskonglomeraten. Das so entwickelte Bild der regionalen Geologie wurde später durch radiometrische Altersbestimmungen teilweise bestätigt, teilweise aber auch erheblich modifiziert bzw. ergänzt. Die radiometrischen Daten lassen sich im Idealfall als jüngstes Faltungs- bzw. Metamorphosealter eines Gesteins interpretieren. Aus der Häufung bestimmter Alterswerte in bestimmten Regionen schloß man – bevor die modernen plattentektonischen Hypothesen sich durchsetzen konnten – folgerichtig auf bestimmte, weithin verfolgbare Gebirgsbildungsphasen. Obwohl die Phasenhaftigkeit orogenetischer Prozesse im überregionalen Rahmen aus plattentektonischer Sicht mehr als fraglich ist, fällt auf, daß zeitliche Parallelen zu vergleichbaren Wertehäufungen beispielsweise im Ukrainischen oder auch im Kanadischen Schild bestehen. Die ältesten Gesteine im Baltischen Schild stehen im nördlichen Teil der Kola-Halbinsel (Katarchaische Zone) an. Dabei handelt es sich um hochmetamorphe Gneise (Basalgneise) und Migmatite mit radiometrischen Altern von 2,5-3,6 Mrd. Jahren. In diesem altpräkambrischen Kern Europas sind – wie in den alten Kernbereichen anderer Kontinente auch – sog. Grünsteinserien entwickelt (Biotitgneise mit vulkanischen Edukten der Saamiden, 2,5 Mrd. Jahre). Sie sind extrem steil in die ältesten Folgen eingefaltet (Fließ- oder "Gravitations"-Tektonik), werden von synorogenen Graniten begleitet und geben Hinweise auf einen anaktualistischen Bau der altpräkambrischen Erdkruste. Diese hatte wahrscheinlich eine viel geringere Mächtigkeit als die heutige. Nach Süden hin folgen jüngere Gneise, basische Intrusiva und synorogene Granite mit einem Alter von 2 Mrd. Jahren (Belomoriden, aber auch die Prägotiden Südschwedens). Die nächst jüngeren Svekokareliden (1,8 Mrd. Jahre) lassen erstmals aufgrund geringerer Metamorphosegrade in beschränktem Maße eine Beckengliederung erkennen, denn die Gesteine der Kareliden gehen mit ihren Konglomeraten, Quarziten, Dolomiten, Marmoren, Stromatolithstrukturen auf flachmarine Schelfablagerungsräume zurück, während die Svekofenniden mit zahlreichen vulkanogenen Gesteinen eher tiefere, ozeanische Bildungsräume repräsentieren. Nach der Intrusion synorogener Granite (1,8 Mrd. Jahre) bildeten sich postorogene Granite (1,6 Mrd. Jahre, Rapakivigranit). Damit waren große, zusammenhängende Krustenbereiche entstanden, auf deren Festlandmassen sich erste kontinentale Rotsedimente (Jotnischer Sandstein, 1,2 Mrd. Jahre) infolge des im Jungpräkambrium angestiegenen Sauerstoffgehalts der Atmosphäre entwickeln konnten. Manche Bereiche Südnorwegens (Dalslandium, 950 Mio. Jahre) und Südschwedens (Gotiden, 1,4 Mrd. Jahre) bereiten hinsichtlich ihrer erdgeschichtlichen Einordnung noch Probleme. Retrograde Metamorphose und radiometrische "Mischalter" erschweren hier die Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte. Der jüngste datierte Granit ist der Bohus-Granit (Südschweden, 950 Mio. Jahre). Präkambrische Abfolgen des Baltischen Schildes werden nur selten von jüngeren Gesteinen überlagert, v.a. im Bereich des Oslo-Grabens (Altpaläozoikum bis Perm). Ansonsten war die Region stets Hoch- und Abtragungsgebiet. Nach dem Abschmelzen der pleistozänen Eismassen befindet sich der Baltische Schild infolge isostatischer Ausgleichsbewegungen in deutlicher Aufwärtsbewegung (Schild Abb.). [MG]
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