Lexikon der Geowissenschaften: Bezugssystem
Bezugssystem, Referenzsystem, ein mit Uhren und Maßstäben ausgestattetes materielles Gerüst, in dem es auf der Grundlage eines idealen theoretischen Konzeptes möglich ist, zeitliche und räumliche Abstände zwischen Ereignissen zu messen. Zwei Gruppen von Bezugssystemen sind von Bedeutung: raumfeste Bezugssysteme (Celestial Reference Systems – CRS) und erdfeste Bezugssysteme (Terrestrial Reference Systems – TRS). Die beiden Bezugssysteme sind durch die Rotation der Erde miteinander verbunden. Mit der Wahl eines theoretischen Konzeptes ist über die Struktur von Raum und Zeit verfügt und über die Art und Weise, Raum und Zeit auszumessen. Demnach kann zwischen der Newtonschen Raumzeit, der Minkowskischen Raumzeit und der nach der heutigen Auffassung gültigen Einsteinschen Raumzeit unterschieden werden. Daneben muß entschieden werden, auf welche materiellen Objekte die theoretischen Aussagen und praktischen Messungen bezogen werden sollen, d.h., es ist eine entsprechende physikalische Struktur zu wählen. Dabei handelt es sich um physikalische Objekte, die als Träger eines Bezugssystems dienen können. Träger raumfester Bezugssysteme können kompakte Radioquellen, Sterne, Planeten, Monde oder geeignet ausgerüstete Meßplattformen, wie künstliche Erdsatelliten sein. Als Träger erdfester Bezugssysteme kommen beispielsweise gewisse (infinitesimale) Bereiche der Erdkruste in Frage. Schließlich müssen die Relationen der Trägersysteme bekannt sein, die die physikalischen Eigenschaften der Träger beschreiben. Diese Relationen können kinematischer bzw. dynamischer Natur sein (kinematische Bezugssysteme, dynamische Bezugssysteme). Kinematische Relationen für die Trägersysteme raumfester Bezugssysteme sind beispielsweise Positionskataloge oder Ephemeriden der Trägerobjekte. Man spricht in diesem Fall von kinematischen raumfesten Bezugssystemen. Dynamische Relationen könnten durch die Gesamtheit der Bewegungsgleichungen der Träger beschrieben werden (dynamische Theorien). Dann handelt es sich um dynamische raumfeste Bezugssysteme. In der Tabelle sind Beispiele kinematischer und dynamischer raumfester Bezugssysteme gegeben. Die Relationen der Trägersysteme erdfester Bezugssysteme sind beispielsweise durch die Beschreibung der Deformation der Erdkruste gegeben. Kinematische erdfeste Bezugssysteme können dadurch definiert werden, daß die Integrale über die translatorischen und rotatorischen Bewegungen der Trägerelemente als Teile der Erdoberfläche verschwinden. Dynamische erdfeste Bezugssysteme sind durch die Bilanzgleichungen und Materialgesetze des Kontinuums Erde definiert. Die hier genannten idealen Vorstellungen von einem Bezugssystem können nicht in allen Details umgesetzt werden. Aus diesem Grunde sind Bezugssysteme immer nur bestmögliche Approximationen eines idealen Bezugssystems.
Die praktische Verwendung eines Bezugssystems erfordert, die zugrundegelegte physikalische Struktur zu modellieren. Das Modell umfaßt die Zuordnung von numerischen Werten zu den fundamentalen Parametern des physikalischen Systems, das dem Bezugssystem zugrunde gelegt wurde. Die Wahl von Fundamentalkonstanten beruht auf den jeweils bestmöglichen Beobachtungen. Darin liegt eine gewisse Willkür, die durch internationale und allgemein akzeptierte Vereinbarungen geregelt wird. Ein so spezifiziertes Bezugssystem bezeichnet man als vereinbartes Bezugssystem (Conventional Reference System – CRS). Modelle und numerische Werte des Systems von Fundamentalkonstanten werden beispielsweise von der Internationalen Astronomischen Union bzw. der IUGG (Internationale Union für Geodäsie und Geophysik) den aktuellen Erkenntnissen laufend angepaßt. Ein Beispiel ist das raumfeste dynamische Bezugssystem, das auf den Bewegungen der Himmelskörper des Sonnensystems beruht. Hierzu sind die Massen der Planeten, gewisse Modelle für deren Gravitationswechselwirkungen und andere Konstanten festzulegen, wie z.B die Konstanten der Erdrotation, die in die Berechnung der Positionen der Planeten eingehen. Man unterscheidet insbesondere vereinbarte erdfeste Bezugssysteme (Conventional Terrestrial Reference Systems – CTRS) und vereinbarte raumfeste Bezugssysteme (Conventional Celestial Reference Systems – CCRS). Geodätische Modellbildung erfordert die gleichzeitige Verwendung der genannten Bezugssysteme und deren Transformationsmodelle. Deshalb ist die Konsistenz der auf verschiedene Weise definierten Bezugssysteme wichtig. Geodätische und astronomische Beobachtungen verknüpfen die verschiedenen Bezugssysteme. Die Abbildung zeigt einige Beispiele der Verknüpfung von raumfesten und erdfesten Bezugssystemen durch Beobachtungen. Dabei ergibt sich häufig die Notwendigkeit, Observable, die bezogen auf ein bewegtes Beobachtungssystem gewonnen wurden, in ein erdfestes Bezugssystem zu transformieren. Man denke beispielsweise an Schweremessungen auf Wasser-, Land- und Luftfahrzeugen.
Auch wenn ein Bezugssystem auf diese Weise festgelegt ist und Koordinaten in einem geeignet gewählten Koordinatensystem angegeben werden können, ist es noch nicht dem Nutzer zugänglich gemacht. Es muß durch materielle Objekte vermarkt sein und durch hinreichend viele Koordinaten und Parameter so festgelegt sein, daß es möglich ist, daran anzuschließen. Die Menge solcher Parameter für ausgewählte Bezugspunkte definiert einen vereinbarten Bezugsrahmen.
Literatur: [1] KOVALEVSKY, J., MUELLER, I.I., KOLACZEK, B. (1988): Reference Frames in Astronomy and Geophysics. – London. [2] MORITZ, H., MUELLER, I.I. (1987): Earth Rotation – Theory and Observation. – New York. [3] SCHNEIDER, M. (1988): Satellitengeodäsie. – Mannheim, Wien, Zürich. [4] SCHNEIDER, M. (1996): Himmelsmechanik. – Heidelberg, Berlin, Oxford.
Bezugssystem (Tab.): Kinematische und dynamische raumfeste Bezugssysteme. Bezugssystem (Tab.):
Bezugssystem: Vereinbarte erdfeste Bezugssysteme und vereinbarte raumfeste Bezugssysteme mit Beispielen von Verknüpfungen durch geodätische und astronomische Beobachtungen. Bezugssystem:
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