Lexikon der Geowissenschaften: Bioerosion
Bioerosion, [von griech. bios = Leben und lat. erodere = abtragen], der Begriff Bioerosion wurde von Neumann (1966) für den Abbau harter Substrate durch Organismen geprägt. Zunächst auf Kalkgesteine beschränkt, wird er heute für die biogene Zerstörung mineralischer und organischer Skelette aller Organismengruppen sowie technischer Bauwerke gebraucht. Im Einflußbereich von Wellen und Salzwasserspray ( Abb. 1 ), insbesondere an Carbonatgesteinsküsten warmer Meere (dann auch Bioabrasion oder Biokorrosion genannt), steht Bioerosion häufig in engem räumlichen Zusammenhang mit Biokonstruktion. Neben der Abtragung (Erosion) durch physikalische und chemische Faktoren spielt der biologische Substratabbau in geeigneten Milieus eine große Rolle. Dies kann durch innen bohrende Organismen (zahlreiche Gruppen) sowie durch von außen abraspelnde oder ätzende Tiere geschehen. Diese Prozesse sind in vielerlei Hinsicht geologisch relevant: Hohlräume werden gebildet, die das Substrat schwächen und dadurch auch für physikalische Erosion anfälliger machen; erhebliche Mengen feinkörniger Sedimente fallen als "Bohrmehl" an; Kalkgesteinsküsten werden in ihrer Geomorphologie entscheidend von Mikrobohrern geprägt ( Abb. 2 ). Am wichtigsten ist jedoch, daß kalkige Substrate rasch zersetzt und so dem Kohlenstoffzyklus wieder zugeführt werden: Bohrschwämme entfernen 0,2-3 kg pro Jahr pro Quadratmeter, raspelnde Fische etwa 2 kg, bohrende Seeigel 0,5-4 kg und raspelnde Seeigel sogar 4-10 kg Kalk pro Jahr pro Quadratmeter. Holzbohrende Organismen hatten vor der Entwicklung spezieller Gift-Anstriche eine große wirtschaftliche Bedeutung, indem sie Hafenanlagen und Schiffe schädigten – die neuzeitliche Weltgeschichte wäre vielleicht anders verlaufen, wenn nicht die spanische Armada bei ihrem Angriff auf England im Jahre 1588 fast alle Schiffe durch Bohrmuscheln verloren hätte.
Alle Bioerodierer erzeugen Spuren, die jeweils für sie charakteristisch sind ( Tab. ); dabei sind Bohrspuren weitaus am häufigsten zu finden. Wenn man die Klassifikation anwenden wollte, die für die Bioturbation entwickelt wurde, lägen bei den Bohrspuren überwiegend Wohnbaue vor, untergeordnet Fressbaue (bei vielen Bohrern in Holz und bei Pilzen) und Ausgleichsspuren (bei Anbohrung lebender und daher weiterwachsender Substrate). Raspelspuren wären entweder als Raubspuren oder als Weidespuren zu deuten. Ätzspuren würden nicht erfaßt, und tatsächlich ist die Anwendung dieser Kategorien auf bioerosive Strukturen bestenfalls unüblich. Gebräuchlich ist vielmehr eine Einteilung auf zwei Ebenen: zunächst nach dem Prozeß (Bohren, Raspeln, Ätzen), und darunter für Bohrspuren nach dem Substrat ("lithisch", d.h. anorganisch bzw. steinern einschließlich der Hartteile von Organismen, sowie "xylisch", d.h. holzig). Daneben werden nach der Größe Mikrobohrungen und Makrobohrungen unterschieden. Die größte Vielfalt der Bohrer existiert in carbonatischen Substraten; holzige Substrate folgen mit einigem Abstand.
Als Mikrobohrungen werden diejenigen Bohrspuren bezeichnet, die von Mikroorganismen wie Pilzen, Blaubakterien, Grünalgen oder Rotalgen in carbonatischen Substraten erzeugt werden; Domizile von Tieren gehören nicht in diese Kategorie, und der Befall andersartiger Substanzen wurde bisher nicht beschrieben. Der Durchmesser der Mikrobohrungen beträgt 5-2000 μm, weshalb sie nur mikroskopisch untersucht werden können. In die Probe mit Bohrspuren wird Kunstharz eingepreßt, dann das Substrat in Säure aufgelöst, und die so produzierten Positiv-Ausgüsse werden unter dem Rasterelektronenmikroskop betrachtet. Mikrobohrungen sind auf den marinen Bereich beschränkt und stellen auch fossil recht gute Indikatoren für die Wassertiefe ihres Bildungsmilieus dar. Ihre maximale Vielfalt wird in Wassertiefen von 2-30 m beobachtet, wobei dort Grünalgen und Blaubakterien als Erzeuger dominieren. Zwischen 30 und 100 m Tiefe bestimmen allein Grünalgen das Bild, und ab 150 m überwiegen wegen des nur noch geringen Lichteinfalls die Bohrungen von Pilzen. Die stärkste erosive Kraft (500 g Kalk pro Jahr und Quadratmeter können abgetragen werden) entfalten Mikrobohrer im flachsten Wasser, weshalb sie eine entscheidende Rolle für die Morphologie tropischer Kalkküsten spielen: Wabenartig zerklüftete Felsstrände (sog. "Biokarst", Abb. 2 ) und Hohlkehlen im Supratidal werden allein von Mikrobohrern verursacht. Ihre maximale Erosionstätigkeit ist in den ersten zwei Jahren nach der Freilegung eines frischen Substrates zu verzeichnen; nach einem Jahr beginnt die Besiedlung durch Makrobohrer, deren Aktivität nach dem zweiten Jahr die der Mikrobohrer an Bedeutung übertrifft. Makrobohrungen können Durchmesser von wenigen Dezimetern erreichen, sind jedoch überwiegend einige Millimeter bis wenige Zentimeter dick. Bei den Erzeugern handelt es sich durchweg um Tiere. Eine ökologische Beschränkung ist pauschal nicht gegeben, doch sind einzelne Formen durchaus gute Milieu-Anzeiger. Wegen ihrer fehlenden Abhängigkeit von der Durchlichtung ist ihr Nutzen als Tiefenindikator weit schlechter als bei den Mikrobohrungen, doch besser als bei Grabgängen (Ichnofazies). Allgemein belegt deutliche Makro-Bioerosion sehr geringe Sedimentationsraten (Omission), von detritusfressenden Würmern als Bohrer einmal abgesehen. Auch wenn Sedimentation Bohrorganismen beeinträchtigt, kann doch in sedimentbelasteten Bereichen Bioerosion stattfinden, und zwar sofern vertikale Flächen vorhanden sind. Form und Erzeuger von Makrobohrungen sind stark vom Substrattyp (Holz oder Stein) abhängig, so daß diese getrennt zu diskutieren sind.
Etliche auf holzige Substrate beschränkte Bohrer (vor allem Milben und Insekten wie Käfer, Ameisen, Bienen, Wespen, Schmetterlinge, aber auch die als "Schiffsbohrwürmer" bekannte Muscheln) können dank ihrer Darm-Symbionten Lignin abbauen und ernähren sich in diesen Fällen davon. Andere legen mit ihrer Bohrtätigkeit in weicheren Substraten Wohnbaue an. Außer dem Kernholz von Bäumen werden auch die Rinde oder hartschalige Samen angebohrt. Die Holzbohrungen von Insekten im festländischen Bereich besitzen neben einfachen Kasten- oder Röhrenformen oft komplizierte, sehr charakteristische Muster. In wässrigem Milieu spielen dagegen Muscheln neben Asseln und Krebsen die Hauptrolle; ihre Bohrungen sind röhrig oder flaschenförmig. Der älteste Beleg für fossile Holzbohrer stammt aus dem Unterkarbon; vorkreidezeitliche Funde sind aber generell selten.
In mineralischen Substraten bohrende Organismen sind ungleich vielfältiger. Die Form ihrer Spuren reicht von Röhren, Kugeln oder Keulen über Socken bis zu Zweigen und vernetzten Kammerkomplexen ( Abb. 3 ). Als Bohrtechniken werden der mechanische Abrieb mit Hilfe von Hartteilen und die chemische Auflösung über calciumbindende Substanzen (in Kalk-Substraten) angewandt. Bohrröhren von Würmern sind vom Beginn des Kambriums an bekannt, bleiben aber im ganzen Paläozoikum unbedeutend. Im Karbon treten weitere Würmer, später Rankenfüßer, hinzu; Bohrmuscheln werden örtlich in der oberen Trias häufig, Bohrschwämme im oberen Jura. Das volle Spektrum der Kalk-Bohrer ist zwar in der Kreide entwickelt, doch die heutige Vormachtstellung der Schwämme wird erst im Neogen erreicht. In der gesamten Erdgeschichte hat sich die Tiefenzonierung der marinen Kalk-Bohrer nicht deutlich verändert: Muscheln und Würmer sind nur bis zur Normalwellenbasis häufig, aber Schwämme treten noch in der Tiefsee auf. Die Vielfalt der Bohrspuren nimmt von der Sturmwellenbasis an mit der Wassertiefe rasch ab. Allgemein wird Makrobioerosion von folgenden Faktoren beeinflußt: Erhöhte Wasserbewegung, Nährstoffgehalt, Dichte des Substrates und Freiliegedauer wirken positiv; hohe Sedimentationsrate, Inkrustiererdichte sowie starke Substratmorphologie und Raspler-Tätigkeit wirken hinderlich.
Als Raspelspuren werden die sichtbaren Spuren des Abbaus (überwiegend kalkiger) Substrate durch beißende oder nagende Organismen bezeichnet. In tropischen Gebieten tragen hierzu verschiedene Tiergruppen bei, die als Weidegänger eingestuft werden und demzufolge Weidespuren erzeugen. Unter ihnen sind heutzutage Seeigel und Fische (Papageifische, Doktorfische, Drückerfische, Falterfische, Kugelfische) besonders wichtig, da sie mit ihren jeweils speziell dafür eingerichteten Kieferapparaten bis zu einigen Millimetern Kalk pro Biß entfernen. In höheren Breiten dominieren zwei Weichtier-Klassen, die in den Tropen nur untergeordnete Bedeutung haben: Schnecken und Käferschnecken tragen mit ihrer Raspelzunge höchstens 0,1 mm ihres Substrates pro Durchgang ab. Allen Gruppen gemeinsam ist, daß die Bioerosion nur Nebeneffekt ihrer Nahrungssuche ist, nämlich des Abweidens von Grünalgen (bei wenigen Fischen Korallen-Polypen). Wegen der Lichtabhängigkeit der Algen stellen diese Raspelspuren fossilisiert einen sicheren Anzeiger für den durchlichteten Bereich dar. Ebenfalls raspelnd, aber mit anderem Ziel, erodiert ein Teil der Erzeuger von Raubspuren (Praedichnia) ihr Substrat. Raubtiere schaben mit ihren Zähnen an den Knochen ihrer Opfer, und Kraken können mit ihren Kiefern ovale Löcher in die Gehäuse von Weichtieren raspeln. Auch haben zwei Familien der Schnecken räuberische Vertreter, die auf das punktuelle Anbohren anderer Weichtiergehäuse spezialisiert sind und dort kreisrunde Löcher hinterlassen.
Ätzspuren werden von auf dem Substrat festsitzenden Tieren verursacht. Austern, Seepocken, Armfüßer und bestimmte Schnecken hinterlassen auf ihrer Unterlage eine mehr oder weniger flache Grube, die ihrem Körperumriß entspricht. Die beteiligten Prozesse sind noch nicht näher untersucht, doch findet auf diesem Wege sicher keine nennenswerte Bioerosion statt.
Bohrspuren und Raspelspuren zerstören sich selbst, bzw. eine nachfolgende Generation von Bohrern greift unmittelbar nach dem Tod ihrer Vorgänger das Substrat erneut an. Der Abbau kann somit ununterbrochen fortschreiten. Es kann sich in Kalk-Substrat aber auch ein Zyklus von Erosion, nachfolgender Verfüllung der Bohrlöcher mit Mikrit-Sediment, anschließender rascher Zementation dieses Sedimentes und erneuter Anbohrung ausbilden. Als Resultat wird das ursprüngliche Substrat weitgehend ersetzt durch bohrlochverfüllenden Mikrit, so daß es bestenfalls seiner äußeren Form nach erhalten bleiben kann (sog. "Lithoturbation"). Dieser Prozeß wird v.a. in Hardgrounds und Korallenriffen beobachtet, ist jedoch auch von Schwammriffen bekannt. Eine Überlieferung der Strukturen von Bioerosion ist also nur dann möglich, wenn sich die Lebensbedingungen für die Erzeuger schlagartig verschlechtern, sei es durch Verschüttung, Überwachsung (z.B. durch Rotalgen) oder Trockenfallen. In diesen Fällen kann ein ausgeprägter Stockwerkbau (Bioturbation) überliefert werden ( Abb. 3 ), die oberflächennächsten Lagen haben jedoch nur eine geringe Erhaltungschance.
Literatur: [1] BROMLEY, R.G. (1994): The palaeoecology of bioerosion. – in DONOVAN, S.K. (Hrsg.): The paleobiology of trace fossils: 134-154; Baltimore. [2] BROMLEY, R.G. & ASGAARD, U. (1993): Two bioerosion ichnofacies produced by early and late burial associated with sea-level change.- Geologische Rundschau, 82: 276-280, Berlin. [3] EKDALE, A.A., BROMLEY, R.G. & PEMBER-TON, S.G. (1984): Ichnology – the use of trace fossils in sedimentology and stratigraphy. – SEPM Short Course 15: 1-317, Tulsa. [4] VOGEL, K. (1997): Bioerosion in rezenten Riffbereichen – Experimente vor Inseln Bahamas und des Großen Barriereriffs. – Natur und Museum 127: 198-208, Frankfurt.
Bioerosion 1: Bioerosion und Biokonstruktion. Bioerosion 1:
Bioerosion 2: "Biokarst" an einer tropischen Kalkgesteinsküste (Runaway Bay, Jamaica): Mikrobohrer und Raspler (hier: Käferschnecke) zusammen prägen die charakteristisch zerklüfteten Oberfläche (zum Größenvergleich siehe Objektivdeckel). Bioerosion 2:
Bioerosion 3: Stockwerkbau der Bioerosion kalkiger Substrate: links Ätz- und Raspelspuren auf der Oberfläche, rechts Bohrspuren im Inneren. Bioerosion 3:
Bioerosion (Tab.): Einteilung der Bioerosion und die beteiligten Organismengruppen. Bioerosion (Tab.):
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