Lexikon der Geowissenschaften: Falten- und Überschiebungsgürtel
Falten- und Überschiebungsgürtel, Vorland-Überschiebungsgürtel, Bereich in der Außenzone eines Orogens, der durch Falten und weite Überschiebungen (Deckenbau) in nicht metamorphen Sedimentgesteinen geprägt ist. Nach innen grenzt der Vorland-Überschiebungsgürtel an einen Zentralgürtel, in dem kristalline Gesteine in die Überschiebungen einbezogen sind. In aktiven Orogenen fällt der Übergang vom Vorland-Überschiebungsgürtel zum Zentralgürtel i.d.R. mit einem deutlichen topographischen Anstieg zusammen. Die Außengrenze des Falten- und Überschiebungsgürtels ist die Deformationsfront. Im Kartenbild bilden Falten- und Überschiebungsgürtel gegen das undeformierte Vorland oft konvexe Bögen und zeigen eine regelmäßige Struktur mit parallelen, lang aushaltenden Antiklinal- und Überschiebungsstrukturen, die in gleichmäßigen Abständen angeordnet und durch breitere Synklinalzonen voneinander getrennt sind. Die Antiklinalzonen können intern sehr kompliziert gebaut sein. Strukturelles Hauptelement vieler Falten- und Überschiebungsgürtel ist ein basaler, etwa schichtparalleler Abscherhorizont, an dem ein Teil der sedimentären Hülle von ihrer Unterlage abgeschert wird, und aus dem sich die an die Oberfläche durchbrechenden Überschiebungen (Rampen) entwickeln (flach abgescherte Überschiebungsgürtel, thin-skinned fold-and-thrust belts, Abb. 1a ). Der Abscherhorizont liegt meist in einigen Kilometern Tiefe in Gesteinen geringer Scherfestigkeit, wie z.B. in Tonsteinen oder Evaporiten. Häufig ist die Scherfestigkeit des Abscherhorizontes durch abnormalen Druck der Porenfluide noch weiter erniedrigt (Deckenbau). Es können mehrere Abscherhorizonte in verschiedenen stratigraphischen Niveaus entwickelt sein. Die Deformationsfront breitet sich i.d.R. in Richtung auf das undeformierte Vorland aus. Jüngere Überschiebungen werden unter und außerhalb von älteren Überschiebungen angelegt, die dann von der jüngeren Überschiebung weitgehend passiv mittransportiert werden (Huckepack- oder Piggyback-Sequenz der Deformationsausbreitung). Spätere, weiter intern angelegte Überschiebungen, die ältere Strukturen schneiden, heißen durchbrechende Überschiebungen (out-of-sequence thrusts). In manchen Vorland-Überschiebungsgürteln ist der kristalline Sockel in verschiedenem Umfang an den Überschiebungen beteiligt (thick-skinned thrust belts, Abb. 1b ). Der Grund für die Beteiligung des Sockels ist häufig die Reaktivierung älterer Abschiebungen (tektonische Inversion).
Die Mechanik von Falten- und Überschiebungsgürteln versucht die Theorie der kritischen Keilform zu erklären: Falten- und Überschiebungsgürtel haben insgesamt die Form von Keilen, deren Spitze in Transportrichtung zeigt, und befinden sich in einem Kräftegleichgewicht von Schub an ihrer Rückseite und Reibung entlang ihrer Basis ( Abb. 2a ). Der Zuschnitt (taper) des Keils aus dem Oberflächengefälle α und dem Einfallen β der basalen Scherfläche wird dabei vom Verhältnis der Scherfestigkeit der Gesteine in seinem Inneren zur Scherfestigkeit der Gesteine an seiner Basis bestimmt und ist eben so groß ("kritisch"), daß der Keil als Ganzes ohne zu brechen geschoben werden kann. Ein Keil aus sehr festem Material auf einer sehr schwachen Basis kann sehr spitz sein (α?β sehr klein), während ein Keil mit ähnlichen Materialeigenschaften von Basis und Innerem eine gedrungene Form haben muß (α?β hoch). Die kritische Keilform organisiert sich selbst im Laufe der Deformation: Eine Schicht konstanter Mächtigkeit, die vor einem Rückhalt zusammengeschoben wird, bildet beim Einsetzen der Deformation einen zunächst sehr kleinen kritischen Keil, der dann selbstähnlich weiterwächst, während neues Material an seiner Spitze angelagert wird ( Abb. 2b ). Das Anlagern von Material an der Spitze und stärkere Erosion der höher gelegenen internen Teile des Keils verringern das Oberflächengefälle und bringen den Zuschnitt in den unterkritischen Bereich. Der kritische Zuschnitt sollte deshalb durch anhaltende innere Deformation des gesamten Keils aufrechterhalten werden. Diese Voraussage der Theorie steht in gewissem Widerspruch zu der in vielen Fällen dokumentierten vorherrschenden Huckepack-Deformationsabfolge natürlicher Überschiebungsgürtel, bei der die älteren, mehr internen Überschiebungen weitgehend passiv bleiben. Auch das inhomogene Substrat natürlicher Überschiebungsgürtel mit verschiedenen Gesteinen, faziellen Wechseln und älteren Strukturen läßt erhebliche Abweichungen von der idealen gleichmäßigen Keilform erwarten. [JK]
Falten- und Überschiebungsgürtel 1: a) Profil eines flach abgescherten Überschiebungsgürtels (basale Abscherung in silurischen Tonsteinen); b) Profil eines Überschiebungsgürtels mit beteiligtem Sockel durch tektonische Inversion älterer Abschiebungen (Nordargentinien). Falten- und Überschiebungsgürtel 1:
Falten- und Überschiebungsgürtel 2: Theorie der kritischen Keilform: a) Kraftansatz und Spannungstrajektorien in einem keilförmigen Überschiebungsgürtel. b) Die Theorie sagt das Wachstum eines Überschiebungsgürtels mit konstantem Zuschnitt voraus, wenn das Verhältnis von innerer zu basaler Festigkeit gleichbleibt. Falten- und Überschiebungsgürtel 2:
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