Lexikon der Geowissenschaften: geodätische Parallelkoordinaten
geodätische Parallelkoordinaten, geodätische Flächenkoordinatenu,v mit der Eigenschaft, daß die (geodätischen) v-Linien eine fest vorgegebene geodätische Linie der Fläche, die Abszissenlinie, rechtwinklig schneiden, und daß der Parameter u mit der Bogenlänge der Abszissenlinie v = 0 identisch ist, so daß gilt: n(u,0) = 1. Die v-Linien werden als Ordinatenlinien bezeichnet. Beide Flächenparameter (u,v), in der Landesvermessung mit (x,y) bezeichnet, geben die Längen von geodätischen Linien auf der Fläche an.
In der Landesvermessung werden geodätische Parallelkoordinaten (x,y) auf einer Kugel oder einem Rotationsellipsoid meist in der von J.G. Soldner definierten Anordnung benutzt. Abszissenlinie y = 0 der Soldner-Koordinaten ist der durch den Koordinatenanfangspunkt P0 und den Nordpol PN verlaufende Meridian; P0 sind die Parameterwerte x = y = 0 zugeordnet. Der Wert der Abszisse x wird von P0 ausgehend nach Norden, der Ordinate y vom Fußpunkt Pf der durch den beliebigen Punkt P verlaufenden geodätischen Linie x = const. nach Osten positiv gezählt ( Abb. ). Als Bogenlängen von geodätischen Linien haben x und y eine unmittelbare geometrische Bedeutung.
Auf der Kugeloberfläche sind die Ordinatenlinien x = const. Großkreise, die sich in den zur Abszissenlinie y = 0 gehörenden Querpolen der Kugel schneiden; auch die Abszissenlinie ist ein Großkreis, während die geodätischen Parallelen y = const. Kleinkreise um die Querpole darstellen. Im Gegensatz zur Kugel sind die Soldnerschen Ordinatenlinien x = const. auf dem Rotationsellipsoid im Allgemeinfall weder geschlossene noch ebene Kurven. Diese schneiden sich auch nicht mehr in punktförmigen Querpolen, sondern innerhalb eines zum Äquator symmetrischen Gebiets. Die geodätischen Parallelen eines ellipsoidischen Soldner-Systems sind zwar geschlossene, aber keine ebenen Kurven.
Da Soldner-Koordinaten geodätische Flächenkoordinaten sind, besitzt das Bogenelement die Darstellung:
ds2 = n2·dx2+dy2
mit den Gaußschen Fundamentalgrößen E = n2(x,y), F = 0, G = 1. Die Größe n bezeichnet man als Abszissenverjüngungsfaktor. Bezogen auf eine Kugel mit dem Radius R besitzt n die Darstellung:
während der Abszissenverjüngungsfaktor im ellipsoidischen Fall durch eine Reihenentwicklung dargestellt wird.
Der Winkel, den die durch einen Punkt P der Kugel- oder Ellipsoidfläche verlaufende geodätische Parallele mit dem Meridian in P einschließt, heißt Meridiankonvergenz γ; diese wird von der Nordrichtung des Meridians ausgehend im Uhrzeigersinn positiv gezählt, so daß die Vorzeichen von y und γ immer übereinstimmen. Der Winkel zwischen der geodätischen Parallelen durch P und der durch P und einen weiteren Flächenpunkt Q verlaufenden geodätischen Linie wird als sphärischer bzw. ellipsoidischer Richtungswinkel t bezeichnet. Dieser wird von der Richtung wachsender x-Werte ausgehend im Uhrzeigersinn positiv gezählt, so daß für das auf den Meridian bezogene Azimut der geodätischen Linie A gilt: A = t+γ.
Der Ausdruck:
gibt das sog. Vergrößerungsverhältnis an. Für sphärische Soldnerkoordinaten gilt:
während μs im ellipsoidischen Fall durch eine Reihenentwicklung dargestellt wird.
Geodätische Parallelkoordinaten besitzen die für die Praxis bemerkenswerte Eigenschaft, daß sie sich in der Nähe der Abszissenlinie kleinräumig wie rechtwinklige kartesische Koordinaten verhalten. Damit ist es möglich, mit den aus geodätischen Beobachtungen abgeleiteten geodätischen Polarkoordinaten nach den Gesetzen der ebenen Euklidischen Geometrie zu rechnen, wenn die Punkte nicht allzu weit von der Abszissenlinie entfernt liegen und die Strecken kurz sind. Der Gültigkeitsbereich dieser "ebenen Approximation" kann stark ausgedehnt werden, wenn die geodätischen Polarkoordinaten S,t jeweils durch Reduktionen (Streckenreduktion, Richtungsreduktion) abgeändert werden, die einfach zu berechnen bzw. aus Tafeln zu entnehmen sind. Mit dem Abstand zur Abszissenlinie wachsen jedoch die Reduktionsbeträge rasch an, so daß es sinnvoll ist, die Breite der Soldnerschen Parallelkoordinatensysteme auf 60-90 km beiderseits der Abszissenlinie zu beschränken. Parallelkoordinatensysteme in Soldnerscher Anordnung wurden im 19. Jh. in vielen deutschen Ländern für die Zwecke der Landes- und Katastervermessung benutzt, sind heute jedoch kaum noch in Gebrauch. [BH]
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.