Lexikon der Geowissenschaften: Geologie
Geologie, geologische Wissenschaften, Naturwissenschaft, die in ihrem Kern historisch orientierte ist und die sich einerseits mit der Geschichte der Erde und der Entwicklung des Lebens auf der Erde beschäftigt und sich andererseits um die Kenntnis der dafür verantwortlichen Prozesse und Gesetzmäßigkeiten bemüht. Mit den benachbarten Fächern der Geowissenschaften (Mineralogie, Petrologie, Geophysik, Botanik, Zoologie) bearbeitet sie vielfach den gleichen Stoff und Raum, aber während jene allgemeine, zeitlos gültige Aussagen anstreben, sucht die Geologie ihre Erkenntnisse in einen zeitlich geordneten, geschichtlichen Zusammenhang zu bringen.
Die Vorstellungen über die Entstehung der Erde wurden bis zum Ende des Mittelalters von den Berichten des Alten Testamentes beherrscht und nur zögernd im 17. und 18. Jh. aufgeben. Agricola (1494-1555) nutzte Erfahrungen aus dem Bergbau, um Schlüsse auf das Erdinnere zu ziehen. Auf N. Steno (1638-1687) geht das sog. Stratigraphische Grundgesetz zurück, nach dem in einer Sedimentfolge die älteren Schichten von jüngeren überlagert werden. Etwa 200 Jahre später wurde die Stenosche Aussage durch die Waltersche Faziesregel erweitert, welche besagt, daß sich nur solche Sedimente überlagern können, deren Bildungsräume vormals nebeneinander lagen (J. Walther 1893/94). J. Hutten (1726-1797) löste sich vollständig von der biblischen Schöpfungsgeschichte und sah in den Naturgesetzen, die er zu erforschen suchte, den maßgeblichen Einfluß auf die Erdentwicklung. Einerseits beobachtete er die Wirkung von an- und abschwellenden Wasserfluten auf die Gestaltung der Erdoberfläche, andererseits mußte er aus der Beobachtung von aufsteigenden glutflüssigen Schmelzen schließen, daß die wesentlichen Gestaltungskräfte im Erdinnern zu suchen sind. Er erkannte die Entstehung der Magmatite und entwickelte erste Vorstellungen über den Aufbau der Erdkruste. Im Gegensatz dazu standen die Ansichten von A.G. Werner (1749-1817), der alle Gesteine auf eine aquatische Entstehung zurückführte und u.a. den Granit als Abscheidung eines heißen Urozeans ansah. Diese unvereinbaren Vorstellungen waren Anlaß zum klassischem Streit der Plutonisten (Plutonismus) und Neptunisten (Neptunismus) (1800-1820). W. Smith (1761-1839) erkannte beim Studium von Sedimentfolgen das systematische Auftreten von Fossilien, die vormals als Zufallsprodukte der Natur oder als Relikte der Sintflut angesehen wurden, und nutzte sie zur Korrelation in räumlich getrennten Profilen. Als der Begründer des Prinzips des Aktualismus gilt Ch. Lyell (1797-1757). Dieses grundlegende Konzept der geologischen Arbeitsweise besagt, daß die Naturgesetze immer gültig waren, weshalb die gegenwärtigen geologischen und biologischen Vorgänge in gleicher Weise in der erdgeschichtlichen Vergangenheit abgelaufen sein müssen. Während die Deutung der Genese fossiler geologischer Zeugnisse zunächst noch relativ hypothetischen Charakter hatte, liefert heute die Aktuogeologie, die sich der Untersuchung von rezenten Sedimenten widmet, mit modernen analytischen Arbeitsmethoden verläßliche Daten zur Deutung fossiler Erscheinungen. Trotzdem sind der uneingeschränkten Gültigkeit des Aktualistischen Prinzips auch Grenzen gesetzt, weil die heute auf der Erde beobachtbaren Prozesse möglicherweise nicht alle Ereignisse der Erdgeschichte repräsentieren, insbesondere bezogen auf die Urzeit der Erde.
Mit Lyell ist das sog. Heroische Zeitalter der Geologie abgeschlossen und es erfolgt der Ausbau des Faches in Verbindung mit der Einrichtung von universitären Lehrstühlen und Geologischen Landesanstalten sowie mit Gründungen der geologischen Gesellschaften. Im Vordergrund stand die Landesaufnahme mit der Erstellung geologischer Karten, die Beschreibung und taxonomische Ordnung der fossilen Faunen und Floren und eine detaillierte stratigraphische Gliederung der Erdgeschichte. Starke Anregungen lieferten die naturwissenschaftlich/geologisch orientierten Reisen von A.v. Humboldt (1769-1859) und L.v. Buch (1774-1852). Im Bereich der Paläontologie gelang G. Cuvier (1769-1832) durch vergleichend anatomische Untersuchungen eine Gliederung der fossilen Fauna, und Ch. Darwin (1809-1882) entwickelte seine Deszendenzlehre, die heute als Grundkonzeption aller biologischen Wissenschaften gilt. Die wachsenden Anforderungen der Industriegesellschaft im 20. Jh. führten zu starken Spezialisierungen der geologischen Wissenschaften, die heute eine Gliederung in drei Großbereiche aufweisen ( Tab. ):
a) Die Historische Geologie beschäftigt sich mit der räumlichen und zeitlichen Entwicklung der Erde und der Entfaltung des Lebens. Für diese Zielsetzung steht in der Paläontologie die fossile Tier- und Pflanzenwelt, in der Geochronologie die relative und absolute Zeitbestimmung im Vordergrund der Betrachtung. Die Stratigraphie ordnet die Gesteine nach ihrer zeitlichen Bildungsfolge, datiert alle geologischen Ereignisse und erstellt daraus eine umfassende erdgeschichtliche Zeittafel (geologische Zeitskala). In der Paläogeographie werden die geographischen Verhältnisse früherer Abschnitte der Erdgeschichte, in erster Linie die Verteilung von Land und Meer, dargestellt. Die Regionale Geologie liefert Informationen über alle relevanten geologischen Erkenntnisse eines begrenzten Raumes.
b) Die Allgemeine Geologie erarbeitet Grundlagen, indem sie Stoffbestand und Aufbau der Erdkruste sowie die geologischen Vorgänge der Erde erforscht. Im Mittelpunkt stehen die Prozesse, welche die Erde formen und einer ständigen Veränderung unterwerfen. Nach dem Bewegungsantrieb werden die geologischen Vorgänge entweder der exogenen Dynamik oder der endogenen Dynamik zugeordnet. Exogene Kräfte (kosmische Kräfte, Sonneneinstrahlung) wirken von außen auf die Erde ein, initiieren den Wasserkreislauf und haben Einfuß auf Verwitterung, Erosion, Transport, Sedimentation und Diagenese. Auch die Transportkräfte der Ozeane wie Meeresströmungen, Ebbe und Flut sowie Meereswellen sind exogenen Ursprungs. Da all diese Erscheinungen aufs engste mit der Bildung von Sedimenten verbunden sind, wird die exogene Dynamik vorzugsweise von der Sedimentologie in Kooperation mit der Meeresgeologie wahrgenommen. Endogene Kräfte wirken aus dem Erdinneren. Sie gehen auf den Wärmeabfluß der Erde zurück und sind verbunden mit Konvektionsströmen des oberen Erdmantels, die eine Verformung der starren Erdkruste verursachen. Zu den Vorgängen, die von den Stoffströmen und Krustenbewegungen beeinflußt werden, gehören die Metamorphose, die Anatexis, der Magmenaufstieg und die vielfältigen Erscheinungen der Tektonik. Die Erforschung der endogenen Prozesse ist v.a. Aufgabe der Petrologie und Strukturgeologie.
Durch die Wechselwirkung der exogenen und endogenen Dynamik entsteht der Kreislauf der Gesteine, der die drei großen Gesteinsgruppen genetisch miteinander verbindet. Sedimente, die im exogenen Einflußbereich entstehen, geraten durch endogene Kräfte in größere Tiefe, werden durch Druck und Temperatur zu Metamorphiten, die mit weiterer Steigerung der Belastung einer Aufschmelzung unterliegen. Mit der Abkühlung der aufsteigenden Schmelzen entstehen durch Kristallisation die Magmatite, entweder als Plutonite in der Tiefe oder Vulkanite im Oberflächenbereich. Werden diese wieder an der Erdoberfläche exponiert, treten sie erneut in den exogenen und damit sedimentären Kreislauf ein. Die angesprochenen Prozesse sind verbunden mit der Bewegung der Lithospärenplatten, führen zur Entstehung von Ozeanen und Gebirgen und haben starke Auswirkungen auf die morphologische Gestaltung der Erdoberfläche. Die Vorstellungen zur Genese dieser komplexen Vorgänge basieren auf den Erkenntnissen der Plattentektonik. Zunehmend größere Bedeutung erhalten heute Versuche, mit denen durch den Einsatz moderner technischer Geräte und Computer auch langzeitige geologische Prozesse simuliert werden können. Das fördert das Verständnis der Vorgänge und bietet v.a. eine Kontrollmöglichkeit von Forschungsergebnissen, die bisher nur auf Feldbeobachtungen, Strukturanalysen und petrologischen Untersuchungen beruhten.
c) Die Angewandte Geologie, die im vorigen Jahrhundert fast ausschließlich auf die Bedürfnisse des Bergbaus ausgerichtet war, ist inzwischen eine wichtige Basis der Weltwirtschaft geworden und zeichnet sich durch große Fachbreite aus. Dabei sind die Grenzen zu den grundlagenorientierten Disziplinen fließend geworden, und zwar sowohl zur Allgemeinen Geologie als auch zur Historischen Geologie. Das betrifft v.a. die Aufbereitung von Daten, welche bei der Geländearbeit und den Laboranalysen in großer Fülle anfallen und durch statistische und graphische Methoden, besonders durch Bearbeitung in den Fachzweigen Geoinformatik und Mathematische Geologie, zur weiteren Auswertung überschaubar werden. Die klassische und wichtigste Darstellung geologischer Ergebnisse liefert die geologische Kartierung, die eng mit fast allen Fachzweigen der Geologie verbunden ist.
Die Suche und Erschließung von Rohstoffen durch die Lagerstättengeologie ist weiterhin eine wesentliche Aufgabe. Dabei geht es sowohl um nutzbare Mineralien als auch um Steine und Erden. Für die Exploration der i.d.R. komplexen Erdöl- und Erdgaslagerstätten und im Bereich Wasserhaushalt/Wassergewinnung entwickelten sich eigenständige Fachzweige (Erdölgeologie, Hydrogeologie). Ohne direkten Kontakt zu den Untersuchungsobjekten arbeiten die Photogeologie und Fernerkundung mit Hilfe von Luft- und Satellitenbildern und dem Einsatz von Radargeräten, Lasern und Infrarot-Detektoren, um Informationen über Morphologie, Struktur, Lithologie und chemische Zusammensetzung der obersten Erdkruste zu erhalten. Eine andere Aufgabe wird von der Ingenieurgeologie wahrgenommen, die sich mit der Beurteilung der technischen Eigenschaften des Untergrundes für Bauwerke (Gebäude, Straßen, Tunnel, Talsperren usw.) befaßt. Die Geoökologie widmet sich der Erhaltung unseres Lebensraumes, nutzt dabei u.a. die Erkenntnisse aus der paläoökologischen Geschichte der Erde und gewinnt damit eine Möglichkeit zur Abschätzung künftiger ökologischer Entwicklungen.
Das starke Wachstum der geologischen Wissenschaften in den letzten 40 Jahren lief synchron mit neuen geowissenschaftlichen Erkenntnissen, die zu einem völlig neuem Verständnis der Entwicklung des Planeten Erde führten. So stand noch in der ersten Hälfte des 20. Jh. die geologische Erforschung der Festländer im Vordergrund, weil sie am besten zugänglich waren. Aus den Beobachtungen wurde ein fixistisches Bild der Erde entworfen, das von stationär verteilten Kontinenten ausging. Zwar leitete Alfred Wegener schon 1912 aus der morphologischen Begrenzung der Kontinente und anderen geologischen Beobachtungen ab, daß alle heutigen Landmassen als verdriftete Großschollen eines ursprünglichen Großkontinentes (Pangäa) zu deuten sind. Aber die Kontinentalverschiebungstheorie fand zunächst keine Anerkennung, weil zu Wegners Zeiten keine Kraft vorstellbar war, die zur Bewegung der Kontinente fähig gewesen wäre. Erst mit der Intensivierung der Ozeanforschung und den Erkenntnissen der Meeresgeologie und Meeresgeophysik Anfang der 1960er Jahre über Morphologie, Struktur und Petrologie der ozeanischen Kruste mußte gefolgert werden, daß sich konvektive Materialströme aus dem Erdinneren in die Bewegung der Kontinente umsetzen. Der Beweis lag insbesondere in den aufgefundenen Mittelozeanischen Rücken, die als aktive Spreizungszonen der Erdkruste erkannt werden konnten. Diese Erkenntnisse der Plattentektonik leiteten eine Revolution der Geowissenschaften ein, denn das neue Weltbild wurde im Gegensatz zu früheren Vorstellungen durch die Mobilität des Systems Erde geprägt. Die geologische Forschung konzentrierte sich zunehmend auf die Prozesse, welche die Erde formen und einer ständigen Veränderung unterwerfen. Während früher die geologischen Untersuchungen vorwiegend von einzelnen Geowissenschaftlern getragen wurden, erfordern die neuen Fragestellungen interdisziplinäre Forschungsansätze, welche eine breite Kooperation aller Fachzweige der geologischen Wissenschaften häufig mit Beteiligung benachbarter Fächer (z.B. Zoologie, Botanik, Meteorologie) zwingend fordert. Die geowissenschaftliche Forschung sucht ihre Themen heute nicht nur in ihren klassischen Stammgebieten, sondern sieht den Schutz des menschlichen Lebensraumes als große Aufgabe an. Dies betrifft einerseits geogen bedingte Gefahren und Risikovermeidung im Zusammenhang z.B. mit Vulkaneruptionen, Erdbeben oder erdrutschartigen Massenbewegungen. Andererseits werden geologische Prozesse angesprochen, bei denen das Wirken des Menschen ein möglicher Faktor ist. Es geht um die Kontamination der Hydrosphäre und Atmosphäre durch Schadstoffe, insbesondere um den Anstieg des CO2-Gehaltes und dem damit verbundenen Treibhauseffekt, sowie um die mögliche Klimaerwärmung, die einen für den menschlichen Siedlungsraum bedrohlichen Anstieg des Meeresspiegels zur Folge hätte. Da das anhaltende Wachstum der Erdbevölkerung mit einer erheblichen Belastung der Erde verbunden ist, wird die drohende globale Umweltveränderung einer der wichtigsten Schwerpunkte der geologischen/geowissenschaftlichen Forschung der Zukunft sein. [HK]
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