Lexikon der Geowissenschaften: Geothermik
Geothermik, Wissenschaftszweig der Geophysik, der sich mit der Entstehung, der Verteilung und dem Transport von Wärme in der Erde und deren energetischen Nutzung beschäftigt. Die Temperatur ist zusammen mit dem Druck die thermodynamische Größe, die den stofflichen Zustand und die physikalischen Eigenschaften der Materie in der Erde bestimmt. Temperatur und Temperaturgradient bilden die Antriebskräfte für Prozeßabläufe und für tektonische Bewegungen in globalem Rahmen (z.B. Plattentektonik), aber auch in regionalem und lokalem Maßstab (Schollentektonik, Regionalmetamorphose).
Die Geothermik kann in eine Reihe, nicht immer eindeutig voneinander getrennter Teilgebiete untergliedert werden: a) die Untersuchung grundsätzlicher geophysikalisch-geologischer Fragen der Erde, auch reine Geothermik genannt. Schlüsselparameter sind die Temperatur-Tiefenverteilung in der Erde, der geothermische Gradient und die Wärmestromdichte. Ziel ist die Erfassung, Beschreibung, Analyse und Interpretation des geothermischen Feldes der Erde. b) Die Angewandte Geothermik befaßt sich mit räumlichen und zeitlichen Änderungen der Temperatur in Oberflächennähe, v.a. im Rahmen hydrogeologischer, geotechnischer, bergbaulicher, technischer und umweltrelevanter Fragestellungen. c) Die Nutzung der Erdwärme für die Energiegewinnung ist Gegenstand der geothermischen Energiegewinnung. d) Die Untersuchung von Temperatur und Wärmestromdichte in der geologischen Vergangenheit wird durch die Paläogeothermie untersucht.
Schon in der Antike waren Luft, Erde, Feuer und Wasser die bestimmenden Elemente in der Natur. Frühzeitig wurden vulkanische Erscheinungen wie Vulkanausbrüche, Fumarolen und heiße Quellen beschrieben (Plinius). Agricola beschrieb 1530 die Temperaturzunahme in tiefen Erzgruben. Einen wichtigen Einfluß auf die weitere Entwicklung hatte A. v. Humboldt. Er führte bei der Beschreibung der Lufttemperatur den Begriff der Isotherme ein, der von Kupffer 1829 auf die Bodentemperatur erweitert und als Isogeotherme bezeichnet wurde. Humboldt führte zusammen mit Freiesleben 1791 im Freiberger Revier Untersuchungen über die Temperatur in der Grubenluft durch. Diese Arbeiten setzte er während seiner Südamerikareise fort (Silbergruben in Mexiko und Peru). Er erhielt einen geothermischen Gradienten von ca. 3,8°C pro 100 m und errechnete daraus die Schmelztiefe für Granit. Im 19. Jh. wurde in verschiedenen Ländern mit einer systematischen Untersuchung der Temperatur und des geothermischen Gradienten begonnen. In Großbritannien bildete die "British Association for the Advancement of Science" ein Komitee "for the purpose of investigation the rate of increase of underground temperature in various localities, of dry land and under water", das zahlreiche Temperaturmessungen zusammenstellte. In den Gruben des Sächsischen Erzgebirges führte Reich sorgfältige Temperaturmessungen durch. In der Folgezeit sind die Temperaturmessungen im Bohrloch Rüdersdorf bei Berlin (1831-1833), die Untersuchungen der Mineralquellen am Laacher See, im Siebengebirge und in der Eifel, die Temperaturmessungen in der Bohrung Neuffen (1839) und in Bohrungen in der Nähe der Salinen bei Artern, Staßfurt, Dürrenberg und Schönebeck (1831-1844) zu erwähnen. Große Bedeutung haben die Untersuchungen von Dunker in der bis zu einer Endteufe von 1272 m abgeteuften Bohrung Sperenberg bei Berlin (1869 bis 1871) und in der Bohrung Schladebach westlich von Leipzig, mit über 1700 m die seinerzeit tiefste Bohrung.
Die erste Bestimmung der Wärmestromdichte führte Benfield 1939 durch. Das theoretische Fundament für die Geothermik wurde v.a. durch die Arbeiten von Carslaw und Jaeger gelegt. Von großem Einfluß auf die weitere Entwicklung der Geothermik im 20. Jh. war das Konzept der Plattentektonik. So wurden die Beziehungen zwischen Wärmestromdichte und dem Alter der kontinentalen und ozeanischen Lithosphäre, die thermischen Effekte bei der Subduktion und Kollision kontinentaler Platten sowie die Beziehungen zwischen Wärmestromdichte und Lithosphärendicke erkannt und es wurde das Konzept kontinentaler Wärmestromdichteprovinzen abgeleitet. Auch die Arbeiten zur geothermischen Energiegewinnung haben die geothermischen Untersuchungen in großem Maße gefördert.
Die Wärmeleitungsgleichung q = λ·Γ+H/ρc ist das theoretische Fundament der Geothermik (λ = Wärmeleitfähigkeit, Γ = geothermischer Gradient (Zunahme der Temperatur mit der Tiefe), H = Wärmeproduktion, ρ = Gesteinsdichte, c = spezifische Wärme). Der Wärmetransport kann durch Wärmeleitung (Konduktion), Konvektion und Wärmestrahlung erfolgen. Die Wärmeleitung bestimmt die thermischen Bedingungen in der festen Erde, Wärmetransport durch Wärmestrahlung wird bei Temperaturen >800°C wichtig, ein konvektiver Wärmetransport erfolgt im Erdinnern, wenn der adiabatische Gradient überschritten wird (freie Konvektion). Eine erzwungene Konvektion (Advektion) beeinflußt das thermische Feld besonders in der oberen Erdkruste.
Für Untersuchungen zum thermischen Feld der Erde werden Temperaturmessungen auf dem Kontinent fast ausschließlich in Bohrungen durchgeführt. Man erhält die Temperatur in Abhängigkeit von der Tiefe und damit dem geothermischen Gradienten. Auch Temperaturmessungen in Tunneln und Bergwerken können genutzt werden. Die Temperaturmessungen in Bohrungen erfolgen i.d.R. als sog. kontinuierliche Bohrlochtemperaturmessungen. Hierbei wird eine Temperatursonde mit einer bestimmten Geschwindigkeit in das Bohrloch gelassen, wobei eine hohe vertikale Auflösung erreicht werden kann. Besonders in Erdöl- und Erdgasbohrungen werden zusätzlich auch Messungen an der Bohrlochsohle (Bottom-Hole-Temperature, BHT) durchgeführt. Temperaturmessungen in Seen und Meeren erfolgen mit Hilfe von Sonden, die auf Grund ihres Eigengewichtes in den weichen Untergrund eindringen. Die Eindringtiefe hängt von den Eigenschaften der Meeresbodensedimente ab, beträgt aber nur in Ausnahmefällen 15-20 m. Temperaturmessungen bis in größere Tiefen des Meeresboden sind nur in Bohrungen möglich (Erdöl-Erdgas-Bohrungen im Offshore-Bereich, Tiefseebohrungen im Rahmen des Ocean-Deep-Drilling-Programms). Bohrungen können nur bis in Tiefen von ca. 10 km abgeteuft werden. Aussagen über die Temperatur in größeren Tiefen lassen sich über die Temperaturabhängigkeit von Reaktionsabläufen mit Hilfe sog. Geothermometer ableiten (Temperatur im Erdinnern).
Die Wärmeleitfähigkeit von Gesteinen wird mit unterschiedlichen Methoden bestimmt. Bei der Divided-Bar-Methode wird die Wärmeleitfähigkeit an Gesteinsproben im Labor gemessen. Die Wärme-Impuls-Methode ist ein instationäres Verfahren, bei dem ein Wärmeimpuls auf eine Gesteinsprobe gegeben und die Temperaturentwicklung in einigem Abstand von der Quelle gemessen wird. Da Kernproben in vielen Bohrungen nicht zur Verfügung stehen, wurde eine Methode entwickelt, die Wärmeleitfähigkeit an dem Bohrklein (Cuttings) zu bestimmen, das über die Bohrspülung nach oben gefördert wird. Diese Methode hat sich z.B. bei der Kontinentalen Tiefbohrung (KTB) gut bewährt. Labormessungen der Wärmeleitfähigkeit haben stets den Nachteil, daß sie nicht unter Bohrlochbedingungen erfolgen (Druck, Temperatur, Wassersättigung). Es gibt daher Entwicklungen von Bohrlochsonden zur In-situ-Messung der Wärmeleitfähigkeit. Die Wärmeleitfähigkeit λG eines Gesteins läßt sich aus:
λG = λM·(1-φ(z)+λW·φ(z) auch indirekt bestimmen (φ(z) = Porosität in Abhängigkeit von der Tiefe, λM = Wärmeleitfähigkeit der Gesteinsmatrix, λW = Wärmeleitfähigkeit des porenfüllenden Mediums). Bei Sedimenten (z.B. Sandsteine mit einer Porosität φ) können Matrix und Porosität aus geophysikalischen Bohrlochmessungen ermittelt werden. Damit ist es möglich, kontinuierliche Profile der Wärmeleitfähigkeit zu berechnen. Der Fehler kann allerdings beträchtlich sein, wenn die Zusammensetzung der Matrix nicht hinreichend bekannt ist.
Die Bestimmung der Wärmestromdichte auf der Grundlage von
q = λ·Γ
geht von idealen stationären Bedingungen aus (Wärmetransport über Wärmeleitung, keinerlei stoffliche Inhomogenitäten, keine lateralen Temperaturvariationen und keine zeitlichen Änderungen der Temperatur). In der Natur gibt es zahlreiche Effekte, die das Temperaturfeld beeinflussen. Am schwerwiegendsten ist der Einfluß durch den Bohrprozeß sowie anschließende technische Arbeiten (z.B. Zementierung), da das Temperaturgleichgewicht stark gestört wird. Gesicherte Temperaturdaten können aber nur erhalten werden, wenn die Temperatur in einem Bohrloch wieder im Temperaturgleichgewicht mit der Umgebung steht (wahre Gebirgstemperatur). Wenn mehrere Messungen in zeitlicher Folge vorliegen, kann die Gebirgstemperatur auch nach dem sog. Horner-Verfahren bestimmt werden. Klimaänderungen führen zu Temperaturänderungen an der Erdoberfläche, die sich in die Tiefe ausbreiten. Jahreszeitliche Schwankungen lassen sich bis zu Tiefen von 10-20 m nachweisen. Die pleistozäne Vereisung beeinflußte das Temperaturfeld bis in Tiefen von einigen 1000 m, die Klimaänderungen der letzten 1000-2000 Jahren sind bis zu Tiefen von ca. 500 m nachgewiesen worden. Dieser paläoklimatische Effekt kann mit Hilfe einer Paläoklimakorrektur beseitigt werden. Auch Hebungen und Senkungen der Erdoberfläche beeinflussen das thermische Feld. Gesteine mit einer höheren Temperatur können aufsteigen, wodurch sich der geothermische Gradient in Oberflächennähe erhöht. Umgekehrt verringert sich der geothermische Gradient bei einer Absenkung (z.B. Beckenbildung) und einer Sedimentation. Eine rechnerische Korrektur dieser Prozesse ist möglich, bedarf aber genauer Kenntnisse über die Senkungs- bzw. Hebungsgeschichte.
Wärmeleitfähigkeitsanomalien haben lokal einen deutlichen Einfluß auf die Verteilung von Temperatur und Wärmestromdichte. So bilden im Norddeutsch-Polnischen Becken die Strukturen des Zechsteinsalzes (Salztektonik) Inhomogenitäten mit einer sehr guten Wärmeleitfähigkeit ( Abb. 2a ). Der Salzstock wirkt wie ein Schornstein, der die Wärme nach oben führt. Unter dem Salzstock kommt es zur Auskühlung. Durch Magmenintrusionen wird das Temperaturfeld ebenfalls stark gestört. Der Einfluß auf die Wärmestromdichte klingt infolge der Abkühlung jedoch relativ schnell ab ( Abb. 1a ). Konvektionssysteme in hydrothermalen geothermischen Lagerstätten führen bereits in geringen Tiefen zu hohen Temperaturen. Für die Wärmestromdichtebestimmung eignen sich daher nur Bohrungen, die nicht durch konvektiven Wärmetransport gestört sind. Die Beeinflussung des thermischen Feldes durch einen advektiven Wärmetransport entlang von Störungszonen erfolgt z.B. durch aufsteigendes Grundwasser. Dabei kommt es zu einer Beeinflussung des geothermischen Gradienten.
Das Temperatur- und Wärmestromdichtefeld wird in Form von Karten und Profilschnitten für eine geologisch-tektonische Analyse dargestellt. Aus der oberflächennahen Wärmestromdichte kann unter Beachtung der radioaktiven Wärmeproduktion in der Erdkruste die Wärmestromdichte an der Kruste-Mantel-Grenze abgeschätzt werden. Die Wärmestromdichte zeigt eine deutliche Beziehung zum Alter der jeweiligen tektonischen Einheit. Die proterozoischen und archaischen Schild- und Plattformgebiete der Erde haben niedrige Wärmestromdichtewerte (40-50 mW/m2), gegenüber einer deutlich höhereren Wärmestromdichte in tektonisch jungen Gebieten. Untersuchungen zeigen die Beziehung q = qr+DH0 zwischen Wärmestromdichte und Wärmeproduktion (q = gemessene Wärmestromdichte, H0 = radioaktive Wärmeproduktion und qr = reduzierte Wärmestromdichte), die man erhält, wenn der Einfluß der radioaktiven Wärmeproduktion in der oberen Erdkruste abgezogen wird. Da diese Beziehungen für bestimmte Gebiete charakteristisch sind, wurde daraus das Konzept der Wärmestromdichte-Provinzen abgeleitet.
Im Modell der Plattentektonik entsteht ozeanische Lithosphäre an den Mittelozeanischen Rücken und fließt nach den Seiten (Spreading-Prozeß). Mit zunehmender Entfernung vom Spreading-Zentrum tritt eine Abkühlung ein, wobei die ozeanische Platte dicker wird. Wärmestromdichtemessungen zeigen, daß die ozeanischen Rücken positive Anomalien darstellen. An den Flanken der Rücken fällt die Wärmestromdichte zunächst deutlich ab. Dies wird durch eine starke hydrothermale Zirkulation und das Eindringen von Meerwasser in die frisch gebildete, poröse und permeable ozeanische Kruste verursacht. Sobald die Sedimentschicht eine Mächtigkeit von ca. 200-300 m erreicht hat, werden das Eindringen des Meerwassers und die hydrothermale Zirkulation unterbrochen. Zu diesem Zeitpunkt steigt die Wärmestromdichte wieder an und folgt dann einem für einen konduktiven Wärmetransport typischen Abfall. In alten Ozeanbecken beträgt die Wärmestromdichte ca. 40-50 mW/m2.
Die Berechnung von Modellen über die Temperatur-Tiefenverteilung ermöglicht eine geodynamische Analyse. Derartige Modelle geben einen Einblick in die geodynamischen Prozesse der Erde. [EH]
Literatur: [1] HURTIG, E., CERMAK, V., HAENEL, R. und ZUI, V. (1992): Geothermal Atlas of Europe. [2] JESSOP, A.M. (1990): Thermal Geophysics. Developments in Solid Earth Geophysics 17. – Amsterdam, Oxford, New York, Tokyo. [3] UYEDA, S.: Geodynamics. In: HAENEL, R., RYBACH, L., STEGENA, L. (1988): Handbook of Terrestrial Heat-Flow Density Determination. – Amsterdam.
Geothermik 1: Einfluß abkühlender Magmenkammern auf die Wärmestromdichte an der Erdoberfläche: a) quaderförmige Intrusion 7×7×4 km in unterschiedlichen Tiefenlagen, b) Intrusion in 5-9 km Tiefe und ihr regionaler und zeitlicher Einfluß auf die Oberflächenwärmestromdichte. Nullpunkt der Entfernungsskala entspricht dem Zentrum der Intrusion (Ma = Mio. Jahre). Geothermik 1:
Geothermik 1: Einfluß abkühlender Magmenkammern auf die Wärmestromdichte an der Erdoberfläche: a) quaderförmige Intrusion 7×7×4 km in unterschiedlichen Tiefenlagen, b) Intrusion in 5-9 km Tiefe und ihr regionaler und zeitlicher Einfluß auf die Oberflächenwärmestromdichte. Nullpunkt der Entfernungsskala entspricht dem Zentrum der Intrusion (Ma = Mio. Jahre). Geothermik 1:
Geothermik 2: a) Temperaturfeld und b) Wärmestromdichte (Salzstock Peckensen, Altmark). Geothermik 2:
Geothermik 2: a) Temperaturfeld und b) Wärmestromdichte (Salzstock Peckensen, Altmark). Geothermik 2:
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