Lexikon der Geowissenschaften: Ichnologie
Ichnologie, ist die Wissenschaft, die sich mit fossilen und zeitgenössischen Spuren beschäftigt. Der Begriff wurde erstmals um 1830 von Buckland gebraucht, und schon Darwin interessierte, wie Regenwürmer das Bodengefüge eines brachliegenden Ackers verändern. Ichnologen arbeiten interdisziplinär zwischen Sedimentologie und Paläontologie, teilweise auch stärker biologisch oder ökologisch ausgerichtet. Gegenstand der Ichnologie sind aus der Sicht der Sedimentologen die von Organismen verursachten Veränderungen nach der Ablagerung eines Sediments. Diese sind vielfach stärker als physikalische oder chemische Prozesse. Paläontologen geht es dagegen v.a. darum, aus den überlieferten Spuren Rückschlüsse auf die Aktivität von Organismen zu ziehen. Keineswegs steht die Aufgabe im Mittelpunkt, den Erzeuger einer Spur ausfindig zu machen.
Idealerweise sind Spurenfossilien ohne weitere Bearbeitung direkt der Untersuchung zugänglich. In seltenen Fällen ist durch Verwitterung die Gesteinsmatrix entfernt, so daß eine dreidimensionale Struktur sichtbar ist. Wenn Grabgänge oder Bohrspuren noch nicht mit Sediment verfüllt vorliegen, lassen sie sich mit Kunstharz füllen und nach Entfernung ihres Substrates ebenfalls dreidimensional studieren. Oft kann man Spurenfossilien auch zweidimensional auf Schichtflächen sehen.
In der Regel müssen jedoch bestimmte Methoden angewandt werden, um Spuren im Sediment(gestein) sichtbar zu machen. Hierzu zählen eine scharfe seitliche Beleuchtung, das Röntgen oder die Befeuchtung eines senkrecht durchgesägten (und eventuell angeschliffenen) Gesteinsstückes mit Wasser oder Öl. Um ein besseres Verständnis der fossil überlieferten Zustände zu bekommen, werden heutige Spuren mitsamt ihrer Erzeuger und dem Substrat z.B. mittels Kastengreifer oder Stechrohr gewonnen. Die Untersuchung der Spuren in einem Sediment(gestein) (der Ichnofauna) beginnt mit der eingehenden Analyse der Fundsituation, der Einbettungsumstände sowie des Spurengefüges. Es folgt die Identifizierung der Spuren (Ichnotaxonomie), mit der sich bereits eine grobe ökologische Einstufung ergibt. Das Verhalten des Erzeugers, aus dem sich seine Ernährungsansprüche ablesen lassen, muß als nächstes ermittelt werden. Bei eher biologischer Ausrichtung der Studie kann eine Analyse der Bildungsweise einer Spur folgen. Diese Schritte werden für alle Spuren getrennt durchgeführt, und nun kann man Gruppen ähnlicher Erzeuger-Ökologie in Ichnogilden zusammenfassen. Aus den Ergebnissen der Vorstudien wird die Ökologie der Ichnofauna insgesamt entwickelt. Damit werden Bezüge zur Lebensgemeinschaft der Erzeuger hergestellt, jedoch müssen Vermischungen unterschiedlich alter Spurenvergesellschaftungen berücksichtigt werden. Echte Ichnozönosen sind als gleichzeitig entstanden definiert; v.a. durch den Stockwerkbau befinden sich diese Assoziationen von Spuren jedoch oft mit anderen im gleichen Horizont: Wenn nacheinander das Substrat von aufeinanderfolgenden Sedimentationsflächen ausgehend besiedelt wird, können z.B. mehrere Stockwerke der Bioerosion oder Bioturbation ineinander geschoben werden ("Fernrohreffekt"). Außerdem kann gemeinsame Überlieferung im gleichen Horizont bei verschiedenen sedimentologischen Ereignissen (sog. "Events") eintreten: Längerfristig geringe Sedimentationsraten oder das völlige Ausbleiben von Sediment (Omission), aber auch plötzliche starke Schüttungen schaffen komplizierte Situationen. Meist hat man in solchen Fällen eine Ichnozönose vor dem Ereignis ("Prä-Event-Ichnozönose") und eine weitere danach ("Post-Event-Ichnozönose") voneinander zu trennen, die durch völlig anderes Erzeugerverhalten charakterisiert werden.
Die Erzeuger von Spuren verhalten sich nur unter speziellen Umweltbedingungen (z.B. Stabilität und Korngröße des Substrates, Durchlüftung, Wasserbewegung, Nährstoffversorgung, Salzgehalt) so, daß es zur Entstehung einer bestimmten Spur kommt. Daher besitzen sie eine große Bedeutung für die Rekonstruktion ehemaliger Lebens- und Ablagerungsräume ( Abb. 1 ). In Sedimentologie und Paläontologie haben Spurenfossilien gegenüber den Hartteilen der Körperfossilien den wichtigen Vorteil, daß sie nur am Ort ihrer Bildung überliefert werden können. Lediglich Koprolithen (und mit Einschränkungen Bohrspuren) werden manchmal transportiert.
Für die Paläontologie ist v.a. interessant, daß man oftmals nur anhand von Vergleichen mit dem gut bekannten Verhalten heutiger Vertreter die Existenz einer hartteillosen Organismengruppe (z.B. Würmer, Seeanemonen, einige Wirbeltiere) fossil nachweisen kann ( Abb. 2 ). Funde von Menschenfährten in Tansania belegen den aufrechten Gang seit mindestens 3,6 Mio. Jahren. Sehr selten sind sogar Evolutionslinien innerhalb einer Tiergruppe bei ihren Spuren nachvollziehbar. Eine Ausnahme hiervon machen die Fährten festländischer Wirbeltiere und Gliedertiere; sie lassen sich teilweise bis auf das Niveau der Gattung ihren Erzeugern zuweisen. Deren Lebensbereich ist wegen des Überwiegens von Erosion allgemein ein ungünstiges Milieu für eine Einbettung, so daß die Überlieferung von Körperfossilien dort sehr lückenhaft ist und kein verläßliches Faunenabbild darstellt. Spurenfossilien sind in festländischen Gesteinen mindestens so häufig wie Körperfossilien und können manchmal keinen aus dieser Zeit bekannten Organismen zugewiesen werden. Dies trifft z.B. auf die Wirbeltiere zu, deren Fährten im Mesozoikum gut untersucht sind. So weiß man z.B. nur aus Fährtenfunden, daß bis kurz vor Ende der Kreide noch mindestens zwei Arten der Dinosaurier lebten – die Überlieferung von Knochen endet deutlich früher. Die Haltung und Bewegungsabläufe der Wirbeltiere sind wesentlich mit Hilfe ihrer Fährten rekonstruiert worden. Verschiedene Streitfragen konnten so eindeutig geklärt werden, z.B. daß Flugsaurier sich auf dem Boden vierfüßig bewegten. Auch die heutigen Kenntnisse über das Sozialverhalten von Dinosauriern (Herdenbildung und Schutz der Jungen) verdanken wir der Interpretation von Spurenfossilien.
Spurenfossilien können Geologen auf verschiedenen Gebieten wichtige Informationen liefern: Sedimentologie, Geochemie, Tektonik und Stratigraphie profitieren am meisten von ichnologischen Erkenntnissen. Wegen der nur mittelbaren Abhängigkeit von der Körperform des Erzeugers spiegeln Spuren kaum deren Evolution wider; Sedimentgesteine sind daher mit ihnen im allgemeinen schlecht zeitlich zu gliedern. Eine grobe stratigraphische Einstufung mit Spuren als Leitfossilien ist dennoch in manchen Fällen möglich:
a) In Gesteinen ohne Körperfossilien ist die Grenze von Präkambrium zu Kambrium nur mit Spurenfossilien zu fassen. Auch wenn bisher keine "typisch präkambrischen" Formen gefunden wurden, gibt das Einsetzen rein phanerozoischer (Phanerozoikum) Vertreter ein klares Bild. b) Altpaläozoische Schichten sind anhand der Größe und Artenzahl der Spuren von Trilobiten recht genau einzustufen. c) Im jüngeren Paläozoikum liefern die Fährten von Gliedertieren passable Zeitmarken. d) Die Entwicklung der Wirbeltiere ist im gesamten Mesozoikum auch in ihren Trittsiegeln nachzuvollziehen, womit eine stratigraphische Zuordnung teilweise bis auf das Niveau der Stufe möglich ist (sog. Palichnostratigraphie). e) Einen sehr viel höheren Wert haben Spurenfossilien für die Sequenzstratigraphie, v.a. in kontinentalen Bereichen. Hier spiegeln sie wegen der empfindlichen Reaktion ihrer Erzeuger Veränderungen im Wassergehalt des Bodens sehr gut wider.
In durch Gebirgsbildung veränderten Sedimentgesteinen geben Spurenfossilien Aufschluß über den Grad der Setzung sowie über zwei- und dreiachsige Verformungen – vorausgesetzt, man kennt die ursprüngliche Morphologie. Wegen ihrer großen Widerstandsfähigkeit gegenüber Lösungsvorgängen sind viele Spuren in überkippten (Falte) Gesteinen auch bei starker Beanspruchung (bis hin zur sehr niedriggradiger Metamorphose) als Anzeiger der Oben/Unten-Orientierung nützlich (sog. Geopetalgefüge) ( Abb. 3 ).
In der Geochemie zeigen Spurenfossilien das chemische Milieu (pH und Eh) während der Frühdiagenese (Diagenese) an. Sie reagieren unmittelbar auf die Verfestigung von Kalkgesteinen, an ihnen lassen sich die Veränderungen von Porosität und Permeabilität ablesen, und sie werden wegen der Stoffwechselprodukte ihrer Erzeuger häufig selektiv mineralisiert. Um Grabgänge herum können sich Höfe mit von der Umgebung abweichendem Mikromilieu bilden, in denen es zur Ausfällung von Mineralien wie Chalcedon (Verkieselung), Pyrit/Markasit (Verkiesung), Calcit (Verkalkung) oder Carbonatapatit (Phosphoritisierung) kommt. Das auffällig grüne Mineral Glaukonit scheint sich überhaupt nur dort zu bilden, wo kleine Kotpillen (Koprolithen) im Sediment vorhanden sind. In Kot oder Pellets werden auch selektiv Spurenelemente aus dem Meerwasser angereichert, so daß sich entsprechende Gesteine geochemisch von äußerlich ähnlichen unterscheiden können.
Die Stabilität des Sedimentes bestimmt jeweils typische Ichnozönosen, ebenso wie die Sauerstoffverhältnisse und mit Einschränkungen auch der Salzgehalt des Wassers. Manchmal lassen sich anhand von Ruhespuren, Fährten oder Wohnbauen Strömungsrichtungen ablesen, und sehr oft geben Spurenfossilien Hinweise auf ungefähre Wassertiefen: Licht, Nahrung, Wasserbewegung und Sedimentation steuern mit biologischen Prozessen zusammen die sog. Ichnofazies.
Die wichtigste Anwendung von Spurenfossilien ist mit der Rekonstruktion von Ablagerungsmilieus im Rahmen der Beckenanalyse und Erdöllagerstätten-Erkundung gegeben. Land- und Wasser-Lebensräume sind aufgrund ihres Spuren-Inventars klar zu trennen; im Sediment(gestein) kaum erkennbare Schichtlücken und Erosionshorizonte werden z.B. durch Ausgleichsspuren und Bohrspuren offensichtlich; Sedimentationsgeschwindigkeiten einzelner Bänke sind genau ablesbar. Beispielsweise zeigen mehrere Lokalitäten im karibischen Raum an der Kreide/Paläogen-Grenze dicke Sandsteinbänke, die zunächst als Ablagerungen einer angeblichen riesigen Flutwelle interpretiert wurden, die durch einen Meteoriteneinschlag verursacht sein sollte. Ichnologisch konnte aber nachgewiesen werden, daß sie über mehrere Jahre hinweg sedimentiert wurden, also unter relativ ruhigen Bedingungen entstanden. [MB]
Literatur: [1] BROMLEY, R.G. (1999): Spurenfossilien. – Berlin, Heidelberg. [2] EKDALE, A.A., BROMLEY, R.G. & PEMBER-TON, S.G. (1984): Ichnology – the use of trace fossils in sedimentology and stratigraphy. – SEPM Short Course 15, Tulsa.
Ichnologie 1: Abschätzung von Belüftungszustand und Gehalt an organischem Material des Meeresbodens mit Hilfe des Stockwerkbaues von Spurenfossilien. Ichnologie 1:
Ichnologie 2: Bohrspuren (Trypanites) von Spritzwürmern, einem Stamm, von dem keine Körperfossilien bekannt sind (Oxford, Oberjura; Ahlem bei Hannover). Ichnologie 2:
Ichnologie 3: steilgestellte Schichtfläche mit Dinosaurierfährten als Geopetalgefüge. Ichnologie 3:
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