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Lexikon der Geowissenschaften: kartographische Zeichentheorie

kartographische Zeichentheorie, Kartosemiotik, baut als Teilgebiet der Allgemeinen Kartographie auf der allgemeinen Semiotik auf. Die Bezeichnung Kartosemiotikwird vor allem von der wissenschaftlichen Kartographie im ostdeutschen und osteuropäischen Raum sowie in der Internationalen Kartographischen Vereinigung (map semiotics, cartosemiotics) verwendet, wobei der Theorieansatz betont kartensprachlich (Kartensprache) ausgeprägt ist.

Die kartographische Zeichentheorie entwickelt Theorien und Modelle für die Herstellung und Nutzung kartographischer Darstellungsformen bzw. kartographischer Medien und stellt universelle und spezielle Zeichensysteme im Sinne einer Zeichensprache (Kartensprache) bereit. Untersuchungsgegenstand der kartographischen Zeichentheorie sind im weitesten Sinne die Kartenzeichen als graphische Repräsentanten der zu modellierenden Geoinformationen (Geodaten), insbesondere die strukturelle und funktionsorientierte Zeichenreferenzierung. Im engeren Sinne beschreibt, modelliert und untersucht die kartographische Zeichentheorie Kartenzeichen (kartographische Zeichen), ihre Beziehungen untereinander (kartographische Syntaktik) und zum bezeichneten Raumobjekt (kartographische Semantik) sowie die Beziehung dieser Zeichen zum Nutzer kartographischer Medien (kartographische Pragmatik). Außerdem wird der kartographische Zeichenprozeß (Semiose) untersucht, der im Zusammenhang des Auslösens von raumbezogenen Vorstellungen, Erkenntnissen, Reaktionen oder Handlungen mittels kartographischer Zeichen besteht. Dabei werden im Rahmen eines komplexen perzeptiven und kognitiven Prozesses über die unmittelbare Zeichenbedeutung hinaus weitere Zeichenbedeutungen, die erfahrungsabhängig mit der unmittelbaren Zeichenbedeutung verbunden sind für das raumbezogene Verhalten und Handeln abgeleitet (Denotation, Konnotation). Der Bedingungsrahmen für zeichentheoretische Untersuchungen in der Kartographie wird heute zunehmend durch die temporäre Präsentation und Nutzung kartographischer Medien am Bildschirm bestimmt (kartographische Bildschirmkommunikation). Die kartographische Zeichentheorie bildet die Grundlage für die Untersuchung, Entwicklung und Anwendung des kartographischen Zeichenmodells. Im Rahmen der kartographischen Zeichentheorie untersucht die kartographische Syntaktik die bedeutungsunabhängige Beziehung von kartographischen Zeichen zueinander. Syntaktische Beziehungen bzw. Eigenschaften von Zeichen werden in der Kartographie modelliert und untersucht, um die Abgrenzung von Kartenzeichen zum Zeichenträger und die eindeutige Wahrnehmung von Gleichheiten, Unterschieden oder Ähnlichkeiten zwischen Zeichen in Karten beispielsweise durch hinreichende graphische Kontraste zu gewährleisten. Die kartographische Syntaktik steht in engem Zusammenhang mit der Theorie der Kartographie. Man unterscheidet zwischen primären syntaktischen Aspekten, wie der Lage von Zeichen in der georäumlich definierten Zeichenebene, also in der Karte, den Lagebeziehungen und der Gesamtmenge der Zeichen (Kartenbelastung) sowie sekundären syntaktischen Aspekten, wie der Verschiendenheit der graphischen Merkmale von Zeichen und den Beziehungen zwischen graphischen Merkmalen und Zeichen.

Die kartographische Semantik untersucht die Beziehung von kartographischen Zeichen zum bezeichneten Gegenstand bzw. zur Zeichenbedeutung, also dem Designat des Zeichens. Semantische Beziehungen bzw. Eigenschaften von Zeichen werden in der Kartographie modelliert und untersucht, um die gedankliche Verarbeitung der Zeichenbedeutungen bei der Kartennutzung, beispielsweise durch Übereinstimmung, Ähnlichkeit, Analogie oder Konventionen in der Beziehung zwischen kartographischen Objekten und Zeichen zu ermöglichen (Ikonizität). Als Voraussetzung gilt dabei die Eindeutigkeit der Zuordnung von Zeichen und Begriff (Kodierung, Monosemie), die neben der gedanklichen Verarbeitung von Zeichenbedeutungen bei der Kartennutzung Gegenstand zahlreicher semantischer Untersuchungen in der Kartographie ist. Im semantischen Sinne werden dabei auch die Begriffe selbst im Hinblick auf ihre Eindeutigkeit und Funktion bei der Kartennutzung analysiert. Neben der kartographischen Semantik wird auf der Grundlage der marxistischen Erkenntnistheorie auch die kartographische Sigmatik (Kartosigmatik) unterschieden, die die Beziehung von Kartenzeichen zu den bezeichnenden Eigenschaften eines Gegenstandes (Objektes) untersucht. Die kartographische Pragmatik (Kartopragmatik)untersuchtdie Beziehung kartographischer Zeichen einschließlich ihrer Zeichenbedeutung zum Nutzer kartographischer Zeichen bzw. Medien. Pragmatische Beziehungen bzw. Eigenschaften von Zeichen werden in der Kartographie modelliert und untersucht, um die Gewinnung und den Austausch von raumbezogenen Informationen sowie die Ausführung von raumbezogenen Handlungen und das menschliche Verhalten im Raum mit Hilfe von Karten gezielt steuern zu können und beispielsweise durch zusätzliche Medien und hinweisende Graphik zu unterstützen. Die kartographische Pragmatik bildet den umfassendsten Untersuchungsbereich im Rahmen der kartographischen Zeichentheorie, da neben den syntaktischen und semantischen Aspekten vor allem auch perzeptions- und kognitionsbezogene Erkenntnisse zur gedanklichen Verarbeitung von Karteninformationen und zu ihrer Nutzung für die Aneignung raumbezogenen Wissens und die Steuerung raumbezogenen Handelns von grundlegender Bedeutung sind (kartographische Wahrnehmungstheorie, Kartenlesen). Die kartographische Zeichentheorie steht damit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Begriff der kartographischen Kommunikation. Beide Begriffe haben die Entwicklung der wissenschaftlichen Kartographie in Verbindung mit der Entwicklung und Etablierung der DV-Technologie seit Ende der 60er Jahre des 20. Jh. wesentlich geprägt. Dabei lassen sich folgende Forschungsrichtungen der kartographischen Zeichentheorie unterscheiden: J. Bertin u.a. begründeten Ende der 1960er Jahre zunächst die kartographische Semiotik, deren Erkenntnisgegenstände einerseits Eigenschaften kartographischer Zeichen und ihre strukturelle Analogie zum menschlichen Denken und andererseits strukturelle Eigenschaften raumbezogener Daten sind. Die grundlegende These der kartographischen Semiotik besteht in der überprüfbaren Eignung der Kartengraphik zur Abbildung von raumbezogenen Datenstrukturen. Der als monosemiotisch bezeichnete Ansatz der kartographischen Semiotikvernachlässigt dabei die Abbildung unmittelbarer Bedeutungen in kartographische Zeichen. Die kartographische Zeichen- und Kommunikationstheorie stellt Ende der 1960er Jahre und Anfang der 1970er Jahre durch A. Kolacny und U. Freitag den (einseitigen) Kommunikationsprozeß zwischen Kartenhersteller und Kartennutzer mittels Karte bzw. Kartenzeichen in den Vordergrund. Der Ansatz beschreibt und untersucht die einzelnen Komponenten des kartographischen Kommunikationsprozesses und führt zur Differenzierung der kommunikativen Eigenschaften von Karten. Kartographisch-linguistische Theorieansätze prägen vor allem Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre den Begriff der Kartensprache. Die Ansätze untersuchen auf der Grundlage des sprachtheoretischen Vergleichs von verbalsprachlichen und kartographischen Zeichensystemen den Aufbau eines kommunikationsorientierten kartographischen Zeichenvorrats. In diesem Zusammenhang vergleicht man die "Kartensprache" mit der natürlichen Sprache. Neben diesen drei grundsätzlichen Forschungsrichtungen der kartographischen Zeichentheorie existieren weitere Ansätze, die den kommunikationstheoretischen und linguistischen Theorieansätzen zwar zugeordnet werden können, jedoch deutlich eigenständige Elemente aufweisen. Hierzu zählen unter anderem das zeichentheoretische Konzept des Map Symbolism als komplexes semiotisches System mit raumbezogenen und nicht-raumbezogenen Komponenten sowie das kartensprachliche Konzept mit zwei Subsprachen. Sämtliche Forschungsrichtungen der kartographischen Zeichentheorie bilden seit der Einführung rechnergestützter Verfahren eine elementare Grundlage für die system- und modelltheoretischen sowie technologischen Erkenntnisbereiche und Entwicklungsphasen der wissenschaftlichen Kartographie. [PT, WGK]

Literatur: [1] BOLLMANN, J. (1977): Probleme der kartographischen Kommunikation. Bonn – Bad Godesberg. [2] FREITAG, U. (1971): Semiotik und Kartographie. – In: Kartographische Nachrichten, 21/5, S. 171-182. [3] KOCH, W.G. (1998): Zum Wesen der Begriffe Zeichen, Signatur und Symbol in der Kartographie. – In: Kartographische Nachrichten, 48/3, S. 89-96.

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