Lexikon der Geowissenschaften: Kristallographie
Kristallographie, Wissenschaft vom kristallinen Zustand kondensierter Materie. Die moderne Kristallographie befaßt sich mit der räumlichen Anordnung der Atome (Struktur), mit den Änderungen des strukturellen Aufbaus sowie mit den physikalischen, chemischen, material- und geowissenschaftlichen und technischen Eigenschaften in Zusammenhang mit der Kristallstruktur. Die Kristallographie entwickelte sich ursprünglich aus dem Studium der Morphologie und der Anisotropie physikalischer Eigenschaften von Kristallen natürlich vorkommender Minerale. Dementsprechend war die Kristallographie eng mit der Mineralogie verbunden. So wurden bereits im 18. Jh. an Universitäten, insbesondere in Deutschland, Lehrstühle für Mineralogie und Kristallographie geschaffen, die zu einer Blüte des Fachs im 19. und 20. Jh. führten. Als Beispiel sei die Gründung der Zeitschrift für Mineralogie und Kristallographie durch Groth genannt, die sich bald zum international führenden Publikationsorgan des Gebietes entwickelte. Seit der Entdeckung der Beugung von Röntgenstrahlen im Jahre 1912 kamen wichtige Impulse aus der Physik hinzu, die u.a. mit den Namen Max von Laue und Peter Paul Ewald verknüpft sind. Durch die Arbeiten von Vater und Sohn, William Henry und William Lawrence Bragg wurde die Aufklärung der atomaren Struktur kristallisierter Materie durch Beugungsmethoden zu einem Hauptanliegen der Kristallographie. Seit etwa 1950 ist die Kristallographie als eigenständiges Fach an deutschen Hochschulen durch eigene Lehrstühle vertreten, die in den Fachbereichen Chemie, Geowissenschaften oder Physik angesiedelt sind. In Deutschland haben sich folgende Gebiete der Kristallographie besonders stark entwickelt: a) mathematische Kristallographie, die die Symmetrie der möglichen Anordnungen der Atome (Raumgruppen) in Kristallen neuerdings auch in bis zu sechsdimensionalen Räumen (Quasikristalle) behandelt, b) anorganische und organische Strukturchemie: Ein modernes Forschungsgebiet sind hier u.a. die Untersuchung von sog. Clustern, c) mineralogische Kristallographie, die z.B. durch die Strukturaufklärung natürlich vorkommender Kristalle wichtige Informationen über die geschichtliche Entwicklung der Erde gewinnt, d) biologische Kristallographie, die durch die Strukturanalyse biologisch wichtiger Makromoleküle (z.B. Proteine) das Verständnis ihrer Funktion in Zusammenhang mit der räumlichen Struktur und daraus wichtige Erkenntnisse über biologische Vorgänge erarbeitet, die wiederum z.B. zur Entwicklung neuer Medikamente entscheidend beitragen, e) Kristallzüchtung, die durch die Herstellung und Charakterisierung großer Kristalle hoher Qualität in vielen Teilen der Technologie entscheidende Fortschritte ermöglichte, wie z.B. in der Halbleiterelektronik, Optoelektronik, Ultraschalltechnik sowie bei der Entwicklung von Festkörperlasern, Strahlungsdetektoren, optischen Speichern, Magneten, piezoelektrischen Weggeber und Sensoren, f) Kristallphysik und Materialwissenschaften mit dem Ziel, physikalische Eigenschaften und Werkstoffe für die unterschiedlichsten Anwendungen maßzuschneidern, g) Beugungsphysik und Röntgenoptik im Hinblick auf die Entwicklung neuer Methoden zur Untersuchung der Materie auf atomarer Skala, insbesondere vor dem Hintergrund der Verfügbarkeit leistungsfähiger Quellen für Röntgenstrahlung (Synchrotronstrahlung, Free Electron Laser = FEL). Diese Aufzählung zeigt, daß sich die Kristallographie wie kaum ein anderes Fach zu einer interdisziplinären Wissenschaft entwickelt hat.
Der weltumspannende Dachverband der Kristallographen ist die International Union of Crystallography (IUCr), die sich in zahlreiche nationale Gesellschaften gliedert. Sie gibt ein wichtiges Standardwerk, die International Tables for Crystallography, heraus. Nach der Vereinigung von BRD und DDR wurde 1991 die Deutsche Gesellschaft für Kristallographie e.V. (DGK) als organisatorische Weiterentwicklung der Vereinigungen "Arbeitsgemeinschaft für Kristallographie" in der BRD und "Vereinigung für Kristallographie" in der DDR gegründet. Sie zählte im Juni 1999 rund 1100 Mitglieder. [KH]
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