Lexikon der Geowissenschaften: Kugelpackung
Kugelpackung, Lagerung von Kugeln im Raum, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: a) Die Kugeln durchdringen einander nicht. b) Die Verbindungslinien der Mittelpunkte bilden ein zusammenhängendes Netzwerk (Kugelpackungsgraph). c) Die Packungsdichte, d.h. der Bruchteil des von Kugeln überdeckten Raumanteils, ist im Limes strikt positiv, der Raum ist also hinreichend dicht mit Kugeln gefüllt. Der Begriff wird gewöhnlich durch weitere Bedingungen verschärft: d) Alle Kugeln sollen gleich groß sein (Packung gleicher Kugeln). e) Alle Kugeln sollen symmetrisch äquivalent sein (homogene Kugelpackung). Eine besondere Verschärfung hat D. Hilbert eingeführt: f) Hält man alle Kugeln bis auf eine auf ihren Plätzen fest, so soll es nicht möglich sein, die freie Kugel aus der Packung zu entfernen (feste Kugelpackung).
In der Kristallographie spielen vor allem homogene Kugelpackungen als einfache Modelle für Kristallstrukturen und ihre Systematik eine Rolle. Von besonderer Bedeutung sind dabei die homogenen periodischen Kugelpackungen. Sie können durch die Stapelung hexagonaler Kugelnetze gewonnen werden. Die Stapelung erfolgt in der Weise, daß jede Kugel drei Kugeln der über ihr und drei Kugeln der unter ihr liegenden Schicht berührt, so daß die Zahl der Kontakte zu Nachbarkugeln stets zwölf beträgt. Das ist die höchste Zahl von Einheitskugeln (Kugeln vom Radius eins), die eine Einheitskugel berühren können. Die Dichte jeder gitterhaften Kugelpackung beträgt:
In Abb. 1 sieht man, daß in einer Kugelschicht (im folgenden mit B bezeichnet ) jede Kugel sechs Nachbarn besitzt, die für die darüberliegenden Kugeln sechs gleichwertige Muldenplätze zur Stapelung anbietet, von denen aufgrund des Platzbedarfs der Kugeln nur drei besetzt werden können. Daraus ergeben sich zwei Stapelmöglichkeiten (A und C), die sich durch eine 60º-Drehung der Schichten gegeneinander unterscheiden. Diese Stapelalternativen können auch durch zwei Arten von Verschiebungsvektoren ausgedrückt werden. Besonders elegant lassen sich die Stapelmöglichkeiten (Stapelfolgen) beschreiben, wenn man nach Jagodzinski (1949) für jede Schicht angibt, ob die beiden Nachbarschichten in der Projektion auf die Ausgangsschichtebene B aufeinander fallen (hexagonale Stapelfolge ABA oder CBC, Symbol h) oder nicht (kubische Stapelfolge ABC oder CBA, Symbol c). Jede beliebige Stapelfolge kann man durch eine Folge von Buchstaben h und c charakterisieren, die in eckigen Klammern geschrieben wird (z.B. [hhchc]).
Es gibt unendlich viele verschiedene Kombinationen von Stapelfolgen h und c (Polytypen), die alle eine dichteste Kugelpackung mit 74% Raumerfüllung darstellen. Von diesen Stapelvarianten sind periodische Stapelfolgen, von denen es ebenfalls unendlich viele geben kann, von besonderem Interesse. Die wichtigsten sind die beiden einfachsten periodischen Stapelfolgen: a) die hexagonal dichteste Kugelpackung und b) die kubisch dichteste Kugelpackung:
a) Bei der Stapelfolge ABABAB... oder CBCBCB... (bzw. [h] = ...hhh...) nimmt jeweils die übernächste Schicht wieder die Lage der Ausgangsschicht ein; die Periodenlänge beträgt folglich zwei Schichten ( Abb. 2 ). Die entstehende Stapelfolge hat hexagonale Symmetrie (Raumgruppe P63/mmc), die hexagonale c-Achse und die 63-Schraubenachsen stehen senkrecht zu dichtest gepackten Ebenen (001). Das Achsenverhältnis c/a berechnet sich für eine ideale hexagonale Kugelpackung zu c/a = √(8/3) = 1,633. Die hexagonale Zelle der Packung ABABAB... enthält zwei symmetrisch äquivalente Kugeln der Punktsymmetrie
m2 in den Positionen 0,0,0 und 2/3,1/3,1/2 (0,0,0 und 1/3,2/3,1/2 für eine Packung CBCBCB...). Diese beiden Kugeln sind translatorisch nicht gleichwertig; das zugrunde liegende Translationsgitter hP ist einfach primitiv. Diese Art der Kugelpackung wird häufig mit dem Symbol hcp ("hexagonal close packing") bezeichnet.
b) Bei der Stapelfolge ABCABC... oder CBACBA... (bzw. [c] = ...ccc...) nimmt erst jede vierte Schicht wieder die Lage der Ausgangsschicht ein; die Periodenlänge beträgt drei Schichten ( Abb. 3 ). Die entstehende Stapelfolge hätte in hexagonaler Aufstellung die Positionen 0,0,0, 2/3,1/3,1/3 und 1/3,2/3,2/3 besetzt, was einer rhomboedrischen Zelle hR entspräche. Der Winkel zwischen den Achsen dieser rhomboedrischen Zelle ist jedoch exakt 60º, so daß die Kugeln tatsächlich die Positionen der Gitterpunkte einer kubisch flächenzentrierten Anordnung cF besetzen, weshalb diese Kugelpackung auch mit den Symbolen ccp ("cubic close packed") und fcc ("face centered cubic") beschrieben wird. Die Raumgruppe ist demgemäß Fm
m, und die Kugelmittelpunkte besetzen eine Punktlage mit der Punktsymmetrie m
m.
Im Gegensatz zur hexagonal dichtesten Kugelpackung sind in der kubisch dichtesten Packung alle Kugeln translatorisch gleichwertig: Sie hat eine gitterförmige Struktur mit dem Bravaisgitter cF. H. Minkowski (1904) hat gezeigt, daß die kubisch dichteste Kugelpackung die "dichteste gitterförmige Lagerung kongruenter Kugeln" ist. Die dichtest gepackten Schichten entsprechen den vier
111
-Netzebenenscharen der kubischen Zelle. Senkrecht zu den dichtest gepackten Schichten stehen dreizählige Drehinversionsachsen. Entsprechend den vier Raumdiagonalen des Würfels ist eine solche
-Achse viermal vorhanden; die Form
111
stellt einen Oktaeder dar.
Das Koordinationspolyeder der kubisch dichtesten Kugelpackung ist ein Kubooktaeder der Symmetrie m
m, das der hexagonal dichtesten Kugelpackung ist ein verdrehtes Anti-Kubooktaeder (Disheptaeder) der Symmetrie
m2.
In den dichtesten Kugelpackungen gibt es zwei Arten von Lücken: Oktaeder- und Tetraederlücken ( Abb. 4 ). Oktaederlücken liegen zwischen zwei Schichten mit sechs nächsten Nachbarn. Bei der kubisch dichtesten Kugelpackung gibt es solche oktaedrischen Lücken in der Mitte der fcc-Elementarzelle und auf den Kantenmitten, vier Lücken pro Zelle, also pro Kugel eine oktaedrische Lücke. Bei der hexagonal dichtesten Kugelpackung befinden sich diese Oktaederlücken senkrecht übereinanderliegend auf den Positionen 1/3,2/3,1/4 und 1/3,2/3,3/4; auch hier gibt es pro Kugel genau eine Lücke. In der kubisch dichtesten Kugelpackung sind diese Oktaeder über Kanten und Ecken verknüpft; in der hexagonal dichtesten Kugelpackung erfolgt die Verknüpfung zusätzlich noch über gemeinsame Flächen. Tetraederlücken liegen zwischen zwei Schichten mit vier nächsten Nachbarn. Sie befinden sich bei der kubisch dichtesten Kugelpackung in den Mitten der Achtelwürfel auf den Positionen 1/4,1/4,1/4, 1/4,1/4,3/4, 1/4,3/4,1/4, 3/4,1/4,1/4, 1/4,3/4,3/4, 3/4,1/4,3/4, 3/4,3/4,1/4 und 3/4,3/4,3/4. Bei der hexagonal dichtesten Kugelpackung befinden sich tetraedrische Lücken auf 0,0,3/8, 0,0,5/8, 2/3,1/3,1/8 und 2/3,1/3,7/8. In beiden Fällen gibt es pro Kugel zwei Tetraederlücken. In der kubisch dichtesten Kugelpackung sind diese Tetraeder über alle vier Kanten verknüpft, in der hexagonal dichtesten Kugelpackung erfolgt die Verknüpfung abwechselnd über Ecken und gemeinsame Flächen.
Atome und Ionen werden in ihren Kristallstrukturen als näherungsweise starre Kugeln betrachtet, denen typische und übertragbare Radien zukommen. Diese Kugeln lagern sich so zu Kugelpackungen zusammen, daß sie den Raum möglichst effektiv und hochsymmetrisch ausfüllen und daß die einzelnen Bausteine mit möglichst vielen anderen Bausteinen in Wechselwirkung treten können. Mit diesen einfachen Modellvorstellungen lassen sich weitgehende Einsichten in die Bauprinzipien der Kristallstrukturen von Metallen, Legierungen und Ionenkristallen gewinnen. Die Edelgase und viele metallische Elemente kristallisieren in einer dichtesten Kugelpackung; Hochtemperaturmodifikationen eingeschlossen kennt man rund 80 solcher Elementstrukturen ( Abb. 5 ). Einige Metalle kristallisieren allerdings in einer kubisch innenzentrierten Struktur. Sie besteht aus quadratisch statt hexagonal gepackten Kugelschichten; eine Kugel hat acht nächste Nachbarn an den Ecken eines Würfels. Die sechs übernächsten Nachbarn sind nur 15% weiter entfernt, so daß man besser von einer (8+6)-Koordination spricht. Die Packungsdichte beträgt immerhin noch 68%. Die Kristallstrukturen der Ionenkristalle lassen sich als Varianten der dichtesten Kugelpackungen verstehen. Sie bestehen aus einer dichtesten Packung kugelförmiger Ionen, in deren Lücken die kleineren Gegenionen eingelagert sind. Normalerweise bilden Anionen die dichteste Packung, weil sie i.d.R. deutlich größer als die Kationen sind. Gelegentlich ist die Rolle von Anionen und Kationen aber auch vertauscht. Dann bilden die Kationen die dichteste Packung, deren Lücken von Anionen besetzt sind.
Durch verschiedenartige Auffüllung der Oktaeder- und Tetraederlücken bauen sich (unter Einhaltung der Elektroneutralitätsbedingung) die wesentlichen Strukturtypen der Ionenkristalle auf. Zwischen den Radien der Lückenatome rL und den Radien rK der Atome, die die dichteste Kugelpackung aufbauen, gibt es optimale Radienverhältnisse, bei denen das Lückenatom genau in eine der Lücken paßt:
Oktaederlücken: rL/rK = √2-1 = 0,414
Tetraederlücken: rL/rK = √(3/2)-1 = 0,225.
Diese charakteristischen Radienverhältnisse werden in den tatsächlich vorliegenden Kristallstrukturen allerdings nicht exakt eingehalten; die eingelagerten Kationen können die Packung der Anionen durchaus etwas aufweiten. Sie können aber auch etwas Spiel in ihren Lücken haben. Hinzu kommt, daß die Kugelpackung auch verzerrt sein kann (Deformationsvarianten). [HWZ, KE]
Literatur: [1] Fejes-TÓth, L. (1965): Reguläre Figuren. – Leipzig. [2] Wells, A.F. (1975): Structural Inorganic Chemistry. – Oxford.
Kugelpackung 1: Konstruktion dichtester Kugelpackungen durch Stapelung hexagonaler Netze: a) hexagonale Stapelfolge, b) kubische Stapelfolge. Kugelpackung 1:
Kugelpackung 2: Stapelfolge der hexagonal dichtesten Kugelpackung. Kugelpackung 2:
Kugelpackung 3: Stapelfolge der kubisch dichtesten Kugelpackung. Kugelpackung 3:
Kugelpackung 4: Okteder- und Tetraederlücken in dichtesten Kugelpackungen. Kugelpackung 4:
Kugelpackung 5: Kristallstrukturen der Metalle bei Raumtemperatur (ccp = kubisch dichteste Packung, hcp = hexagonal dichteste Packung, bcc = kubisch innenzentrierte Packung). Kugelpackung 5:
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.