Lexikon der Geowissenschaften: Landschaftsökologie
Landschaftsökologie, geowissenschaftliche Disziplin, die sich mit dem Wirkungsgefüge zwischen den Lebensgemeinschaften (Biozönosen) und ihren Umweltbedingungen beschäftigt. Ziel ist die Ansprache von ökologisch einheitlichen Ausschnitten der Erdoberfläche (Topengefüge), deren Struktur und Funktionalität mit dem Landschaftsökosystem beschrieben werden. Landschaftsökosysteme können anhand ihres Haushaltes charakterisiert und typisiert werden. Der Landschaftshaushalt ist somit Abbild des spezifischen Zusammenwirkens der verschiedenen ökologischen Faktoren im ausgeschiedenen Raumausschnitt. Vielfach wird Landschaftsökologie als Synonym zu Geoökologie verwendet. Allmählich setzt sich jedoch eine differenziertere Betrachtung durch, welche der Geoökologie eine Konzentration auf das abiotische Subsystem innerhalb eines Ökosystems zuweist. In der Landschaftsökologie wird demgegenüber ein stärker ganzheitlicher Ansatz verfolgt, der abiotische, biotische und anthropogene Wechselwirkungen gleichberechtigt berücksichtigt.
Da eine vollständige Quantifizierung des Landschaftshaushaltes an der Komplexität des Systems scheitert, werden im Landschaftsökosystem ablaufende Prozesse als Indikatoren (Geoindikatoren) des Landschaftshaushaltes herangezogen. Beispiel eines solchen Geoindikators ist die Bodenerosion, da sie durch den gerichteten Stofftransport zu einer Interaktion zwischen Raumeinheiten führt. Die Differenzierung in unterschiedliche Ökosysteme kann durch solche Stofftransporte verstärkt oder vermindert werden, was in jedem Fall in vergleichsweise kurzer Zeit zu einem neuen räumlichen Landschaftsmuster führt.
Die Begründung der Landschaftsökologie geht auf C. Troll zurück, welcher 1939 den Begriff prägte. Troll sah eine Landschaft im Sinne des holistischen Ansatzes als etwas natürliches Ganzes; ein Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile und das deshalb mittels eines gesamtheitlichen Ansatzes erfaßt werden soll. Mit der Landschaftsökologie wurde die aus der Physiogeographie stammende Landschaftslehre mit der aus der Biologie stammenden Ökologie verknüpft. Während die Physiogeographie traditionell die unbelebte Lithosphäre, d.h. die abiotischen Umweltfaktoren betrachtete, wird in der Landschaftsökologie die Beziehung des Menschen zu seiner belebten offenen und geschlossenen Umgebung (Naturlandschaft, Kulturlandschaft) in umfassender Weise untersucht. Für die zu erfassende ökologische Realität wird der normale, technisch nicht zusätzlich erweiterte Blickwinkel des Menschen auf seine Lebensumwelt als Maß genommen.
Die Landschaftsökologie wurde damit zur wissenschaftlichen Basis für Ansätze der Landevaluation und der Bestimmung des Naturraumpotentials. Mit der Weiterentwicklung zur Theorie der differenzierten Bodennutzung wird auf dieser Grundlage heute beispielsweise darüber diskutiert, wie groß der flächenmäßige Anteil von ökologischen Ausgleichsflächen in einem intensiv genutzten, anthropogen geprägten Landschaftsausschnitt sein muß. Mit solchen Analysen der räumlichen Verteilung schließt sich der Kreis zu den räumlichen Mustern Trolls. Die Weiterentwicklung besteht jedoch darin, daß nicht mehr statische Eignungsklassen im Mittelpunkt stehen, sondern ein dynamisches Landschaftsmanagement. Der Schlüsselfaktor Biodiversität der Biologie findet seine geowissenschaftliche Ergänzung in der auch als Ökodiversität bezeichneten Betrachtung der landschaftlichen Vielfalt.
Forschungsziele und Methoden der Landschaftsökologie waren zu Beginn zu einem sehr hohen Grade Luftbildforschung. Bis heute haben Methoden der Fernerkundung ihre Bedeutung für die Landschaftsökologie behalten. Eine Modellierung der abiotischen, biotischen und anthropogenen Komponenten des Landschaftsökosystems und ihren gegenseitigen Wechselwirkungen erforderte jedoch eine Erweiterung des methodischen Ansatzes vom rein Betrachtenden und Beschreibenden (naturräumliche Gliederung) hin zum naturwissenschaftlich-analytischen Quantifizierenden (naturräumliche Ordnung). Im Zusammenhang mit letzterem wird auch von Landschaftshaushalt gesprochen. Dieser Begriff wurde ebenfalls bereits von Troll eingeführt, der eine methodische Entwicklung in eine solche Richtung vorausahnte. Richtungsweisende landschaftsökologische Prozeßforschung kam von der Gruppe um E. Neef, welche die Landschaftsökologie weitgehend mit dem Begriff Landschaftshaushaltslehre gleichsetzte. Mit der Definition des Indikatorsystems der ökologischen Hauptmerkmale wurde die wissenschaftliche Grundlage für die landschaftsökologische Komplexanalyse geschaffen. Die derart erhobenen Daten zum Landschaftshaushalt liefern die Grundlage für Modellvorstellungen des Landschaftsökosystems und für umfassende Modellierungen komplexer Umweltsysteme.
Die Darstellung landschaftsökologischer Forschung in der Praxis erfolgt, da die räumliche Analyse im Vordergrund steht, meist als Karten und Profile. In dieser Form können sie den umsetzenden Stellen (Raumplanung, Landespflege, Naturschutz, Landschaftsschutz) übergeben werden. Beispiele landschaftsökologischer Kartendarstellungen sind Karten der geoökologischen Einzelkomponenten, Partialkomplexkarten und Spezialkarten geoökologischer Prozeß- und Funktionsbereiche. Karten geoökologischer Einzelkomponenten werden in der Vorerkundungsphase und in der Hauptphase der Feldarbeit des geoökologischen Arbeitsganges eingesetzt. Zu den Partialkomplexkarten gehören Karten der Pedotope, Hydrotope, Geomorphotope usw. (Top). Zu den Spezialkarten geoökologischer Prozeß- und Funktionsbereiche, die v.a. in Maßstäben größer 1:2500 hergestellt werden, gehören die Potentialkarten, Eignungskarten und Gefährdungskarten. Neben den Karten als Hauptdarstellung landschaftsökologischen Arbeitens kommt auch den landschaftsökologischen Datenbanken und den Modelldarstellungen in Form von Graphiken oder gefüllten Standortregelkreisen eine große Bedeutung zu.
Die Vielfältigkeit der heutigen Umweltprobleme und das immer größere Bewußtsein für ökologische Zusammenhänge verlangen nach integrativen Forschungsansätzen und Lösungen. Die Landschaftsökologie mit ihrem starken Raumbezug und ihrer breiten Verankerung in den ökologischen Grundlagenwissenschaften Geographie und Biologie arbeitet seit geraumer Zeit mit starker Praxisorientierung und versucht so eine Brücke zu schlagen zwischen Grundlagenforschung und ökologisch ausgerichteter Planungspraxis. Klassische Beispiele landschaftsökologischen Arbeitens mit hohem Praxisbezug sind in der Agrarökologie und Forstökologie sowie der Stadtökologie zu finden. In diesen Disziplinen ist das landschaftsökologisch vernetzte, holistische Denken schon seit langem etabliert, und auch in anderen Disziplinen wie der klassischen Raumplanung halten landschaftsökologische Arbeitsweisen vermehrt Einzug. [DS, SMZ]
Literatur: [1] Leser H. (1997): Landschaftsökologie. Ansatz, Modelle, Methodik, Anwendung. – Stuttgart. [2] Naveh, Z. & A.S. Lieberman (1993): Landscape Ecology. Theory and Application. – New York. [3] Schneider-Sliwa, R., Schaub, D. & Gerold, G. (Hrsg.) (1999): Angewandte Landschaftsökologie. Grundlagen und Methoden. – Berlin.
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