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Lexikon der Geowissenschaften: Magmatismus

Magmatismus, zusammenfassender Begriff für die Prozesse, die zur Bildung von Magmen in der Erde (und in anderen Planeten) führen, die ihre Bewegung verursachen und die Kristallisation steuern. Da diese Prozesse nur in wenigen Fällen direkt beobachtet werden können, ist man bei ihrer Aufklärung auf die Interpretationen angewiesen, die sich aus dem Studium der Magmatite ergeben, auf experimentelle Untersuchungen und auf Modellrechnungen. Die Temperaturverteilung in der Erde ist nicht radialsymmetrisch, sondern sehr komplex; es gibt also keine einheitliche Beziehung zwischen Temperatur und Tiefe. In der rigiden Lithosphäre wird die Temperatur durch Wärmeleitung kontrolliert, in der Asthenosphäre durch Konvektion. Um ein Magma zu erzeugen, muß ein größeres Gesteinsvolumen auf eine Temperatur oberhalb des Solidus erhitzt werden. Dies kann geschehen durch a) Aufstieg heißen Materials aus der Tiefe und adiabatische Druckentlastung, b) Senken der Solidustemperatur bei Infiltration eines Gesteins mit H2O oder CO2 oder c) Aufheizen eines Gesteins infolge radioaktiven Zerfalls seiner wärmeproduzierenden Elemente (U, Th, K), aber auch durch Kontaktheizung in der Nähe magmatischer Intrusionen. Die Umwandlung von kinetischer und Gravitationsenergie in Wärme war im Frühstadium der Entwicklung des Sonnensystems bedeutsam (Bildung von Impaktschmelzen und eventuell tiefen Magmenozeanen). Während große Impakte die Temperatur des Targetmaterials über den Liquidus erhöhen, mithin eine völlige Aufschmelzung oder gar Verdampfung hervorrufen, verursachen die magmatischen Prozesse im Erdinnern lediglich eine Teilaufschmelzung, d.h. eine Temperaturerhöhung, die über dem Solidus, aber unter dem Liquidus liegt. Wenn der Schmelzanteil (abhängig von der Viskosität und dem Benetzungsverhalten der Minerale des Restits) genügend hoch ist, kann er segregieren und aufsteigen.

Mechanismus a) wird als Ursache der Teilaufschmelzung im Erdmantel an konstruktiven Plattenrändern angesehen, z.B. den Mittelozeanischen Rücken, unter denen Peridotit aus einigen 100 km Tiefe aufsteigt (adiabatischer Dekompressionspfad in Abb. 1 ) und Teilschmelzen mit der Zusammensetzung von Basalt oder Pikrit oberhalb von ca. 1200ºC bildet. Ozeaninseln inmitten stabiler Lithosphärenplatten wie Hawaii oder Tahiti als Teile von hot spots sowie große kontinentale und ozeanische Flutbasalte (Flutlava) verdanken ihre Entstehung einem Material, das aus noch größerer Tiefe empordringt, insbesondere der Grenze zwischen unterem Erdmantel und flüssigem äußerem Erdkern. Da der Solidus in größerer Tiefe als unter Mittelozeanischen Rücken geschnitten wird, werden höhere Aufschmelzgrade erreicht (adiabatische Druckentlastung). Die Magmen sind ebenfalls basaltisch. Ebenso wird die Entstehung der peridotitischen Komatiite im Archaikum auf einen aus sehr großer Tiefe aufsteigenden Erdmantel zurückgeführt.

Mechanismus b) bestimmt die Teilaufschmelzung an destruktiven Plattenrändern: Durch Abbau von OH-haltigen Mineralen (insbesondere Glaukophan) in der subduzierten Ozeankruste gelangt H2O in den heißen Mantelkeil über der kühleren subduzierten Platte. Die dadurch verursachte Erniedrigung der Soliduskurve um mehrere 100ºC ist groß genug, um den Peridotit teilaufzuschmelzen und Basaltmagmen zu produzieren ( Abb. 1 ). Adakit stellt möglicherweise ein direktes partielles Aufschmelzprodukt der subduzierten Ozeankruste dar. Bei der Kollision von Lithosphärenplatten, insbesondere kontinentaler Platten, verdickt sich die Kruste stark. Da Gesteine schlechte Wärmeleiter sind und da SiO2-reiche Magmatite und viele klastische Sedimente (terrigene Sedimente) recht hohe Gehalte an U, Th und K aufweisen, können im unteren Teil der verdickten Kruste einige 107 Jahre nach der Kollision Temperaturen erreicht werden, die ausreichen, um über den Zerfall von Muscovit und Biotit H2O freizusetzen. Dieses verursacht in sauren Metamagmatiten und v.a. in Metapeliten Teilaufschmelzung (Anatexis) bei Temperaturen ab ca. 700ºC. Intrusionen mafischer Schmelzen aus dem Erdmantel in die Kruste/Mantel-Grenze oder in die tiefe Kruste bieten eine weitere Möglichkeit, Teilaufschmelzung in solchen Nebengesteinen zu erzeugen. Dieser Mechanismus c) führt zur Bildung granitischer Magmen, vornehmlich den S-Typ-Graniten (Granit).

Die Aufschmelzung eines Gesteins beginnt am Ort, der die niedrigste Schmelztemperatur aufweist (Eutektikum). Für einen Spinell-Peridotit wären dies die Korngrenzen, an denen sich die Minerale Klinopyroxen, Orthopyroxen, Spinell und Olivin berühren. Bevor aber eine Schmelze den Ort ihrer Entstehung verlassen kann, muß sie sich sammeln. Insbesondere beim geochemischen Modellieren von Spurenelementverteilungen zwischen Schmelze und Residuum bedient man sich u.a. zweier extremer Modelle, dem Aufschmelzen als "Batch-Prozeß" und dem fraktionierten Schmelzen. Beim Batch-Schmelzen wird davon ausgegangen, daß die Schmelze über den gesamten Verlauf des Prozesses in Kontakt mit dem Residuum bleibt; dieser Prozeß mag im Erdmantel unter den Mittelozeanischen Rücken annähernd verwirklicht sein. Beim fraktionierten Schmelzen wird dagegen jeder infinitesimal kleine Schmelzanteil sofort vom Residuum entfernt, eine Annahme, die für Silicatschmelzen sicherlich unrealistisch ist.

Eine wichtige Größe, welche die Verteilung der Schmelze in einem teilaufgeschmolzenen Gestein beschreibt, ist die des dihedralen Winkels Θ ( Abb. 2a , 2b ). Wenn Θ kleiner als 60º ist, kann die Schmelze auch bei sehr geringen Aufschmelzgraden ein zusammenhängendes Netzwerk entlang der Korngrenzen bilden. Wenn Θ größer als 60º ist, sind höhere Schmelzanteile erforderlich, bevor die Schmelztröpfchen sich sammeln können. In teilaufgeschmolzenem Peridotit liegt Θ unter 60º, so daß bereits sehr geringe Schmelzanteile von 1% und weniger durch den residualen Peridotit fließen können. Für Granite scheint Θ dagegen erheblich über 60º zu liegen; der Aufschmelzgrad muß daher beträchtlich sein, bevor die hochviskose Schmelze entweichen kann. Silicatschmelzen haben – zumindest im obersten Erdmantel und in der Erdkruste – eine geringere Dichte als die Gesteine, aus denen sie entstanden sind, und somit eine Auftriebskraft gegenüber diesen. Für die niedrigviskosen Basaltschmelzen scheint eine effektive Separation vom residualen Peridotit durch Kompaktion (Wanderung der Schmelze nach oben und des nahe des Schmelzpunktes plastisch reagierenden residualen Peridotits nach unten) leicht möglich, für SiO2-reiche Schmelzen dagegen nicht. Granitische Magmen mögen daher ein Gemisch aus Schmelze und Residuum und/oder Produkte hoher Aufschmelzgrade ( > 30%) darstellen.

Magmen steigen in der Lithosphäre auf, indem sie in den auf mechanische Beanspruchung mit Bruch reagierenden Gesteinen Risse erzeugen, die mit Magma erfüllt werden und sich dabei erweitern und fortpflanzen. Durch fraktionierte Kristallisation und die Trennung von Kristallen und Restschmelze in diesen Gängen oder in krustalen Magmenkammern, eventuell einhergehend mit der Assimilation von Nebengestein, verändert sich die Zusammensetzung der Schmelze, und aus wenigen Stamm-Magmen entsteht die Vielfalt der Vulkanite und Plutonite. Der Dichteunterschied zwischen ausgeschiedenen Kristallen und Schmelze bewirkt die Sedimentation (Akkumulation) der Kristalle (Plagioklas kann allerdings eine geringfügig niedrigere Dichte haben als basaltische Magmen und folglich aufschwimmen; eine solche Entstehung gilt für die Anorthosite der Hochländer des Mondes als wahrscheinlich). Massive Kristallisation wird eine Schmelze lokal an den chemischen Hauptkomponenten verarmen, aus denen die Kristalle bestehen. Der dadurch erzeugte Dichteunterschied kann eine Konvektion der Schmelze fort von den Kristallen auslösen. In der Konsequenz wird sich die am stärksten differenzierte Schmelze im oder nahe des Dachs einer Magmenkammer ansammeln; dies ist aus Lagenintrusionen bekannt, in denen sich durch fraktionierte Kristallisation granitoide Restschmelzen aus einem basaltischen Ausgangsmagma entwickeln können. Bei der Assimilation von Nebengestein wird Energie verbraucht, die teilweise durch Energiefreisetzung bei der Kristallisation kompensiert werden kann. Assimilation wird besonders dann auftreten, wenn ein heißes mafisches Magma in leicht schmelzbare SiO2- und H2O-reiche Gesteine der Kruste eindringt. Mischen von Magmen unterschiedlicher Zusammensetzung ergibt ein hybrides Magma (hybrid). Wenn die physikalischen Eigenschaften (Viskosität, Dichte) der beiden Magmen voneinander sehr verschieden sind, kann ihre Identität erhalten bleiben, indem das eine in dem anderen diskrete Körper oder Xenolithe bildet. Ein nicht sehr häufiger Mechanismus der Differenzierung ist die Entmischung einer zweiten Schmelze. So kann sich z.B. eine Carbonatschmelze aus einer Silicatschmelze entmischen und Veranlassung zur Bildung von Carbonatiten geben. Auch Sulfid- und Oxidschmelzen können sich aus Silicatschmelzen entmischen (Liquation). Welche Rolle die Diffusion in einem thermischen Gradienten (Soret-Effekt) bei der Differenzierung in Magmenkammern spielt, ist unklar.

Bei der Differenzierung eines Magmas konzentrieren sich Elemente und Komponenten in den Restschmelzen, die nicht in die ausgeschiedenen Minerale eingebaut wurden, für diese mithin inkompatibel sind. Beim Aufstieg eines fluidreichen, meist sauren oder intermediären Magmas oder bei fortgeschrittener Differenzierung in einer Magmenkammer kann es bei geringen Drücken zur Separation einer wäßrigen Phase kommen. An oder nahe der Erdoberfläche kann dies eine vulkanische Explosion verursachen. Reicht der Druck nicht aus, um einen Weg zur Oberfläche zu sprengen, können sich aus solchen, an flüchtigen und anderen inkompatiblen Elementen angereicherten pneumatolytischen Lösungen (bei Temperaturen oberhalb des kritischen Punktes von ca. 400ºC) oder hydrothermalen Lösungen (unterhalb des kritischen Punktes) wirtschaftlich wichtige Minerale, z.B. von Li, Be, As, Nb, Mo, Ag, Sn, Sb, Pb, Th und U, ausscheiden. [HGS]

Literatur: [1] Philpotts, A.R. (1990): Principles of Igneous and Metamorphic Petrology. – New Jersey. [2] Sparks, S.J. (1992): Magma Generation in the Earth. In: Brown, G.C., Hawkesworth, C.J. & Wilson, R.C.L. (Eds.) (1992): Understanding the Earth. – Cambridge. [3] Spear, F.S. (1993): Metamorphic Phase Equilibria and Pressure-Temperature-Time Paths. – Washington.


Magmatismus 1: Druck-Temperatur-Diagramm mit Soliduskurven für trockenen Peridotit, Peridotit mit CO2 und Peridotit mit H2O. Die Temperaturen im oberen Erdmantel liegen sowohl unter den Ozeanen als auch unter den Kratonen (gestrichelt eingetragene konduktive Geothermen) weit unterhalb des trockenen Solidus, so daß unter normalen Bedingungen Aufschmelzung nicht möglich ist. Schon die Anwesenheit geringer Mengen an H2O verursacht aber eine erhebliche Temperaturerniedrigung des Solidus; mithin kommt es in den Tiefen, in denen die Geothermen über dem Solidus liegen, zur partiellen Aufschmelzung. Außerdem ist in die Skizze ein adiabatischer Dekompressionspfad für einen aus der Tiefe aufwallenden, heißen Peridotit eingetragen; in diesem Fall ist Teilaufschmelzung selbst von trockenem Erdmantel möglich. Magmatismus 1:




Magmatismus 2: a) schematische Darstellung des dihedralen Winkels Θ um einen Punkt, an dem sich drei Minerale berühren. b) Bei Θ 60º kann sich entlang von Kornkanten schon bei geringen Aufschmelzgraden ein zusammenhängendes Netzwerk von Schmelze ausbilden, während bei größeren Winkeln kleine Schmelzanteile isoliert bleiben. Magmatismus 2:
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