Lexikon der Geowissenschaften: Molodensky-Problem
Molodensky-Problem, Problem von Molodensky, freies geodätisches Randwertproblem, die von M.S. Molodensky in den Jahren 1940-1950 erstmals formulierte Aufgabe, die Geometrie der Erdoberfläche und das äußere Schwerefeld der Erde aus geodätischen Beobachtungen auf der Erdoberfläche zu bestimmen. Die für die Praxis der Erdmessung wichtigste von verschiedenen Varianten ist die Formulierung auf der Grundlage des skalar freien geodätischen Randwertproblems ( Abb. 1 ). Auf der Erdoberfläche S, die alle Massen des Erdkörpers einschließt, sind Schwerewerte g(B,L) und geopotentielle Koten C(B,L) als kontinuierliche Funktionen der geographischen Koordinaten B,L gegeben. Die geographischen Breiten B und Längen L beziehen sich auf ein dem Erdkörper mittels einer geodätischen Datumsfestlegung (geodätisches Datum) angeheftetes Referenzellipsoid E, dessen kleine (polare) Halbachse in Richtung der Erdrotationsachse zeigt. Der Erdkörper rotiere mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ω um die raum- und körperfeste Rotationsachse. Die meßbaren Schwerewerte gP und geopotentiellen Koten CP in beliebigen Punkten P∈S dienen als Randwerte, die mit dem Schwerepotential W durch Randbedingungen funktional verknüpft sind:
GP =
grad W
P,
CP = W0-WP.
W0 = WP0 bezeichnet den (in der Regel unbekannten) Potentialwert im (globalen) Referenzpunkt P0, dem Ausgangspunkt des Nivellements. Ziel des Molodensky-Problems ist die Bestimmung der auf die Ellipsoidnormale durch P∈S bezogenen ellipsoidischen Höhe hP sowie des Schwerepotentials W(
) im Außenraum Ωe der Erde, welches die erweiterte Laplacesche Differentialgleichung:
ΔW(
) = 2ω2,
∈Ωe
erfüllt. Um die geforderte Ausgangssituation herzustellen, sind an den meßtechnisch bestimmten Schwerewerten und geopotentiellen Koten zunächst Gezeiten- und atmosphärische Reduktionen anzubringen, um rechnerisch die Wirkungen der im Außenraum der Erde tatsächlich existierenden Massen von Sonne und Mond sowie der Atmosphäre zu beseitigen. Auch geodynamische Effekte sind ggf. durch Reduktionen der Randwerte zu berücksichtigen. Da die ellipsoidische Höhe der Randpunkte P∈S unbekannt ist, gehört das Molodensky-Problem zur Klasse der freien Randwertprobleme. Die durch die Randbedingungen hergestellten Beziehungen zwischen den Unbekannten und den beobachtbaren Größen (Observablen) sind nicht linear und können durch Einführung von Näherungen für die unbekannte Potentialfunktion W(
) und die unbekannte ellipsoidische Höhe h(B,L) linearisiert werden. Als Approximation für das Potential W benutzt man ein Normalschwerepotential, i.a. das Potential U eines Niveauellipsoids, so daß W aus dem bekannten Normalpotential U und dem noch unbekannten Störpotential T zusammengesetzt ist:
W = U+T.
Da die Zentrifugalanteile in W und U identisch sind, ist das Störpotential im Außenraum der Erdoberfläche S harmonisch, d.h. ΔT(
) = 0
∈Ωe, und im Unendlichen regulär. Eine Approximation der Randfläche S wird mit Hilfe einer Telluroidabbildung konstruiert: Zu jedem Oberflächenpunkt P∈S wird ein Telluroidpunkt Q bestimmt, der auf derselben Ellipsoidnormalen liegt (BQ = BP, LQ = LP) und für den weiter gilt ( Abb. 2 ):
U0-UQ = CP
mit U0 Normalpotential auf dem Referenzellipsoid E. Aus dieser Bedingung folgt die ellipsoidische Höhe hQ des Punktes Q, die mit der Normalhöhe
des Punktes P zahlenmäßig identisch ist. Die Menge aller den Punkten P∈S zugeordneten Bildpunkte Q erzeugt das Telluroid Σ$epsiseitenverdreht;Q als Näherung der Erdoberfläche. Damit läßt sich die ellipsoidische Höhe hP in die bekannte Normalhöhe
= hQ und ein unbekanntes Reststück, die Höhenanomalie ζP zerlegen:
Nach Linearisierung und weiteren Vereinfachungen (sphärische Approximation) ergeben sich aus den Randbedingungen das Theorem von Bruns:
(mit der auf den Punkt Q bezogenen Normalschwere γQ) sowie die Fundamentalformelder Physikalischen Geodäsie:
mit der SchwereanomalieΔg, welche in diesem Zusammenhang auch als Freiluft-Anomalie bezeichnet wird. Die Fundamentalformel der Physikalischen Geodäsie ist als Randbedingung zu der außerhalb des Telluroids gültigen Feldgleichung ΔT(
) = 0 aufzufassen; dieses Randwertproblem gehört zur Klasse der schiefachsigen Randwertprobleme der Potentialtheorie. Eine analytische Lösung dieses geodätischen Randwertproblems ergibt sich in Form einer Reihenentwicklung, deren Hauptterme durch die Stokessche Integralformel gegeben werden:
Das gravimetrische Zusatzglied G1:
beschreibt den Einfluß der unregelmäßigen Geländegestalt und ist im wesentlichen der Geländereduktion äquivalent. R ist der mittlere Erdradius (R = 6371 km),
die mittlere Normalschwere, S(ψ) die Stokessche Funktion, die vom Winkel ψ zwischen den geozentrischen Radiusvektoren des Aufpunkts und des variablen Integrationspunktes, dem die Schwereanomalie Δg zugeordnet ist, abhängt. σ ist der Parameterbereich der Einheitskugel mit dem Flächenelement dσ. Eine entsprechende Formel kann auch für das Störpotential T angegeben werden. Verfeinerungen der hier skizzierten Theorie von Molodensky betreffen die Berücksichtigung von nichtlinearen Termen der Reihenentwicklungen sowie die Einbeziehung der Elliptizität der Erde. Während in der klassischen Geodäsie das Molodensky-Problem im Zusammenhang mit der Bestimmung von ellipsoidischen Höhen für Punkte der Erdoberfläche gesehen wurde, liegt nunmehr, nachdem die ellipsoidischen Höhen über Satellitenmethoden ermittelt werden können, der Schwerpunkt auf der Ermittlung von Normalhöhen mittels der umgestellten Formel:
Wenn ζP nach der Theorie von Molodensky aus gravimetrischen Messungen bestimmt wird, sind hierfür keine zeitaufwendigen Nivellements mehr notwendig. [BH]
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