Lexikon der Geowissenschaften: Phasenbeziehungen
Phasenbeziehungen, jedes Mineral kann, wie jede andere Verbindung oder jedes andere Element, in Abhängigkeit von Druck und Temperatur grundsätzlich in mehreren Aggregatzuständen auftreten, gasförmig, flüssig oder kristallin. Während es jedoch nur einen gasförmigen Aggregatzustand gibt, existieren oft mehr als eine flüssige und meist mehrere feste, beziehungsweise kristalline Zustandsformen oder Phasen nebeneinander. Unter einer Phaseversteht man die physikalisch einheitlichen Stoffe eines Systems, die in einem anisotrop kristallinen oder aber in einem gasförmigen, flüssigen oder glasigen, im allgemeinen isotropen Zustand vorliegen. Neben dem herkömmlichen Begriff des festen, flüssigen und gasförmigen Aggregatzustandes spielen bei kristallchemischen Prozessen vor allem flüssige, gasförmige, kristalline und feste Mischphaseneine Rolle. Ferner müssen die in den meisten Systemen auftretenden polymorphen Modifikationen der beteiligten Komponenten als selbständige Phasen aufgefaßt werden. Der Begriff der Phase wurde erstmals von Willard Gibbs definiert, der darunter die Erscheinungs- oder Zustandsform, in der ein Stoff in einem System auftreten kann, verstand. Handelt es sich dabei nur um einen einzigen Stoff, z.B. Kohlenstoff, Schwefel oder H2O, so spricht man von einem Einstoffsystem.Sind zwei Stoffe als Komponenten zugegen, z.B. Eisen und Schwefel oder NaCl und KCl, so bezeichnet man dies als ein Zweistoffsystemoder binäres SystemFe-S bzw. NACl-KCl. Bei Systemen mit drei Komponenten, z.B. Pb-Bi-Zn oder K2O-Al2O3-SiO2, spricht man von einem Dreistoffsystem oder von einem ternären System,und Systeme, an denen mehrere Stoffe beteiligt sind, bezeichnet man ganz allgemein als Mehrstoffsysteme oder als polynäre Systeme.
Komponentenheißen die selbständigen chemischen Bestandteile der Systeme. So sind im System Fe-S Eisen und Schwefel die Komponenten. Im ternären System K2O-Al2O3-SiO2 sind es die Molekülgruppen K2O, Al2O3 und SiO2. Beimineralogischen und gesteinsbildenden Prozessen spielen die leichtflüchtigen Komponenten, insbesondere das Wasser, eine große Rolle. Neben H2O müssen hier als Komponenten noch CO2, H2S, HCl, HF, SO2 etc. berücksichtigt werden. Um solche Mehrstoffsysteme übersichtlich darstellen zu können, werden oft die Molekülgruppierungen der beteiligten Minerale als Komponenten angenommen, so beispielsweise im ternären System KAlSi3O8-NaAlSi3O8-H2O mit den hier als selbständige chemische Bestandteile betrachteten Komponenten KAlSi3O8 (Kalifeldspat), NaAlSi3O8 (Natriumfeldspat) und H2O. Die im allgemeinen vom Druck, der Temperatur und den Konzentrationsverhältnissen abhängigen Zustandsbereiche der einzelnen Phasen werden als deren Existenzgebiete bezeichnet. Die experimentelle Erforschung dieser Existenzgebiete und ihrer Grenzen zählt zu den Hauptaufgaben der modernen Mineralogie und Petrologie. Sie werden in Abhängigkeit von den Zustandsvariablen Druck, Temperatur und Konzentration in sogenannten Zustandsdiagrammen oder Phasendiagrammen dargestellt. Die Zustandsvariablen, die auch den frei verfügbaren Versuchsbedingungen Druck, Temperatur und Konzentration entsprechen, heißen Freiheiten.
Eine erstmals von Willard Gibbs aufgestellte Phasenregel (Gibbssche Phasenregel),die heute thermodynamisch untermauert als Phasengesetzfür Kristallchemie, Mineralogie und Petrologie von grundlegender Bedeutung ist,gestattet es, die Anzahl der ineinem System auftretenden Phasen bei bekannten physikalisch-chemischen Bedingungen exakt vorauszusagen. Während Gase stets unbeschränkt mischbar sind und daher immer nur eine einzige Phase bilden, sind Flüssigkeiten und Kristalle manchmal nur teilweise oder gar nicht untereinander mischbar. In Mehrstoffsystemen liegen daher oft bei einer bestimmten P-T-Bedingung viele Phasen nebeneinander vor, wobei die kristallinen und amorphen Modifikationen nur in einem ganz bestimmten abgegrenzten Bereich stabil sind. Wird dieser Zustandsbereich durch Erhöhung oder Erniedrigung des Druckes oder der Temperatur über- oder unterschritten, dann wandeln sich die Modifikationen um oder sie gehen in einen anderen Aggregatzustand über, d.h. sie schmelzen, kristallisieren, verdampfen oder werden glasig. Ist die Umwandlungsgeschwindigkeit groß, dann erfolgt eine Phasenumwandlungim festen Zustand im allgemeinen prompt, während bei einer kleinen Umwandlungsgeschwindigkeit eine Phase unter Umständen lange Zeit instabil weiter existieren kann. So geht z.B. der trigonal kristallisierende Quarz (SiO2) beim Erhitzen auf 573ºC in den hexagonalen Hochquarz über. Diese Umwandlung erfolgt ohne Verzögerung und macht sich durch eine sprunghafte Änderung der Symmetrieeigenschaften bemerkbar. Beim Abkühlen kommt es dann bei der Umwandlungstemperatur wieder prompt zur Bildung von Quarz. Eine solche Art von Phasenumwandlung nennt man enantiotrop [griech=vor- und rückwärts wandelbar] oder reversibel[lat.=umkehrbar]. Dagegen bezeichnet man eine Phasenumwandlung, die nur nach einer bevorzugten Seite hin verläuft, als monotrop [griech.=nur in einer Richtung wandelbar] oder irreversibel. Mineralbeispiele für monotrope Phasenumwandlungen sind die Bildung von Calcit aus Aragonit beim trockenen Erhitzen auf 400-500ºC.
Die Umwandlungsgeschwindigkeit ist sehr stark von der Temperatur abhängig, d.h. je höher die Temperatur, um so rascher erfolgt die Phasenumwandlung, und sie wird ebenso durch die Anwesenheit von Wasser und von gelösten Stoffen in einem System begünstigt. So erfolgt beispielsweise beim trockenen Erhitzen von Aragonit die Umwandlung in Calcit bei 400ºC, in einer wäßrigen NaCl-Lösung vollzieht sie sich jedoch bereits bei 80ºC. Unter sehr hohen Temperaturen bildet sich in der Natur stets Calcit, aus seinen wäßrigen Lösungen bildet sich i.a. unterhalb 30ºC Calcit, während aus mäßig-temperierten Lösungen Aragonit, z.B. als Kalk, in Wasserleitungsrohren ausfällt. Calcit und Graphit bilden die beständigeren Phasen gegenüber Aragonit und Diamant, die bei Raumtemperatur zwar auch unter Umständen sogar über geologische Zeiträume hinweg haltbar sind, jedoch bei einer Änderung der Zustandsvariablen, in diesem Fall der Temperatur, stets monotrop in ihren stabilen Zustand übergehen. Solche Substanzen, zu denen eine große Anzahl von Mineralen zählt, bezeichnet man als metastabil. Ihre Umwandlungsgeschwindigkeit ist bei normalen P-T-Bedingungen unmeßbar klein, und so können sie über große Zeiträume hinweg instabil existieren. Aus thermodynamischen Untersuchungen ist bekannt, daß instabile Modifikationen stets energiereicher sind und dadurch einen höheren Dampfdruck, eine größere Löslichkeit und einen niedrigeren Schmelzpunkt besitzen, als die entsprechende stabile Phase.
Die grundsätzliche Bedeutung des Phasengesetzes auf die Phasenbezeichnungen mineralogisch interessanter Systeme läßt sich am einfachsten an einem Einstoffsystem darlegen. Im Einstoffsystem H2O sind die Temperatur auf der Ordinate und der Druck auf der Abszisse festgelegt. In den jeweiligen Existenzbereichen von Wasser, Wasserdampf und Eis lassen sich Druck und Temperatur beliebig variieren. Hier ist also jeweils nur eine Phase stabil, gemäß dem Phasengesetz P+2=1+2, also P=1. In diesem Fall ist das System divariant,man bewegt sich bei einer Änderung der Zustandsvariablen innerhalb einer Fläche, dem Existenzbereich der einen möglichen Phase. Ändert man den Druck oder die Temperatur entlang der Kurve, die der Grenze zwischen den Existenzbereichen zweier Phasen entspricht, dann wird das System univariant und es können zwei Phasen im Bereich der Umwandlungskurven koexistieren, d.h. P+1=1+2, also P=2. Für den Fall, daß keine Zustandsvariable mehr frei wählbar ist, gilt P+0=1+2, also P=3. Temperatur und Druck liegen jetzt in einem Punkt fest, an dem die drei Phasen H2Oflüssig–H2ODampf–H2Okrist. nebeneinander koexistieren. Dieser Punkt wird als Tripelpunktbezeichnet, das System ist in diesem Punkt invariant.Häufig erfolgt eine Phasenumwandlung beim Überschreiten der Grenzen der Existenzgebiete, oft bedingt durch energetische Schwierigkeiten, nicht prompt. Am Beispiel des Einstoffsystems H2O drückt sich dies z.B. in der Fortsetzung der univarianten Kurve aus, die die Existenzbereiche H2ODampf-H2Oflüssig in das Existenzfeld des kristallisierten H2O hinein abgrenzt. So kann z.B. flüssiges Wasser bis -22ºC unterkühlt werden, es bildet dann eine metastabile Phase. Tripelpunkte entsprechen Gefrierpunkten, Schmelzpunkten, kritischen Punkten oder Punkten, an denen drei kristalline Phasen, z.B. Sillimanit, Andalusit und Disthen im System Al2SiO5, nebeneinander koexistieren. [GST]
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