Lexikon der Geowissenschaften: Schadstoffausbreitung
Schadstoffausbreitung
Günter Groß, Hannover
Schadstoffausbreitung ist dieFreisetzung, Transport in der Atmosphäre und Wirkung von Luftbeimengungen auf die belebte und die unbelebte Natur. Dabei wird untersucht, in welche Richtung und in welche Region die freigesetzten Schadstoffe verfrachtet werden und mit welcher Belastung in der Umgebung bestimmter Rezeptoren zu rechnen ist. Die Zusammensetzung der Luft wird durch natürliche und anthropogene Aktivitäten deutlich verändert. Wie auch schon während der gesamten Entwicklungsgeschichte der Atmosphäre beeinflußt auch heute noch der Vulkanismus durch Staub- und Gaseintrag die Zusammensetzung der Lufthülle unseres Planeten. Bei kräftigen Ausbrüchen gelangen große Mengen Asche, Staub, Schwefeldioxid (SO2), Kohlendioxid (CO2) und viele andere Gase in die Troposphäre, aber auch in größere Höhen bis in die Stratosphäre. Neben diesen starken Einzelereignissen sind aber auch täglich ablaufende Vorgänge in unserem Wettergeschehen Quellen natürlicher Luftbeimengungen. So entstehen beispielsweise in den Entladungszonen von Blitzen große Mengen an Stickoxiden. Sand- und Staubstürme wirbeln große Mengen an Partikeln auf und durch die Meeresgischt werden sehr viele Aerosole, wie z.B. Salzpartikel gebildet. Schließlich emittieren auch Lebewesen verschiedene atmosphärische Spurenstoffe wie beispielsweise Methan.
Ein sehr viel breiteres Spektrum als die natürlichen Emissionen zeigt die Fülle der anthropogen bedingten Schadstoffe. Vor allem durch die intensive Nutzung fossiler Brennstoffe, durch den Abbau von Rohstoffen, durch die künstliche Erzeugung chemischer Verbindungen und durch die großflächige Kultivierung der Erdoberfläche trägt der Mensch zur Veränderung in der Zusammensetzung der Luft bei. Aufgrund der Vielzahl der möglichen anthropogenen Schadstoffe ist eine Erfassung sämtlicher Einzelstoffe nicht möglich. Aus diesem Grunde beschränkt man sich auf Leitsubstanzen, die den einzelnen Emittentengruppen zugeordnet werden können und deren Wirkungen von lokaler, regionaler und globaler Bedeutung sind. Bei diesen Leitsubstanzen handelt es sich um SO2, Stickoxide (NOx), Kohlenmonoxid (CO), organische Verbindungen (CH) und Staub. Während die Emission einiger dieser Substanzen in den letzten Jahren durch verschiedene Luftreinhaltemaßnahmen kontinuierlich abgenommen hat, ist bei anderen ein gleichbleibender oder gar zunehmender Trend zu verzeichnen. Als Hauptquellgruppen für die anthropogenen Luftbeimengungen treten der Verkehr, Hausbrand und Kleinverbraucher, die Industrie und Kraftwerke und Fernheizwerke in Erscheinung.
Die einmal freigesetzten Schadstoffe verbleiben nicht am Emissionsort, sondern werden durch die vorherrschende Luftströmung in der Atmosphäre verteilt ( Abb.). Stärke und Richtung des mittleren Windes legen fest, wie schnell und wie weit die Luftbeimengungen innerhalb einer bestimmten Zeit vom Ort der Freisetzung weg transportiert werden. Dabei spielen die verschiedenen Windsysteme auf allen Skalenbereichen eine Rolle. Entlang des Transportweges werden die Schadstoffe durch die vertikale Diffusion auf ein immer größeres Volumen verteilt und die Schadstoffkonzentration, beispielsweise angegeben in g/m3, nimmt immer weiter ab. In Abhängigkeit von der Tageszeit und der damit verbundenen thermischen Schichtung der Atmosphäre erfolgt eine turbulente Vermischung in der gesamten atmosphärischen Grenzschicht. Besonders tagsüber können dabei die bodennah freigesetzten Schadstoffe bis in 1-2 km Höhe gelangen und dort durch die vorherrschende regionale Strömung auch über Ländergrenzen hinweg verfrachtet werden. So tragen nicht nur die in einem Land freigesetzten Luftbeimengungen zu einer Veränderung der Luftqualität bei, sondern auch bestimmte Anteile der Emissionen aus den Nachbarländern (Ferntransport). Gleichzeitig werden auch in Regionen Schadstoffe gemessen, die fernab der Quellgebiete liegen. Der überwiegende Anteil der emittierten Luftbeimengungen aus den einzelnen Quellgruppen ist chemisch nicht inert, sondern unterliegt chemischen und physikalischen Umwandlungen. Viele der dabei ablaufenden Reaktionen werden durch die Sonnenstrahlung in Gang gesetzt oder beschleunigt. Beispielsweise entsteht aus organischen Komponenten und aus Stickstoffoxiden über eine Reihe von Zwischenprodukten letztendlich bodennahes Ozon oder bei Vorhandensein von Wasser in der Atmosphäre können sich durch Oxidation von anorganischen Verbindungen wie SO2 verschiedene Säuren bilden. Durch die unterschiedliche Reaktionsgeschwindigkeit der atmosphärischen Spurenstoffe ist deren Verweilzeit in der Atmosphäre verschieden lang und sie können damit auch unterschiedlich weit verfrachtet werden. Der an einem Ort emittierte Staub verbleibt z.B. in der Nähe der Quelle und wird üblicherweise nicht über die Mikro-Skala hinaus transportiert. SO2, NO2 und Ozon dagegen haben eine charakteristische Lebensdauer von etwa einem Tag und somit eine Reichweite bis in die Meso-Skala hinein. Die sehr langlebigen Komponenten wie Methan und CO2 können dagegen auf der globalen Skala verteilt und wirksam werden. In Abhängigkeit von ihrer individuellen Verweilzeit werden die Spurenstoffe mehr oder minder schnell wieder aus der Atmosphäre ausgeschieden. Je nachdem, ob Wasser in irgendeinem Aggregatzustand an dem Ausscheidevorgang beteiligt ist, unterscheidet man zwischen der trockenen und der nassen Deposition. Bei der trockenen Deposition lagern sich die Luftschadstoffe am Boden, an Pflanzen oder an anderen Oberflächen ab. Diese trocken abgelagerten Verbindungen werden entweder durch Aufnahme in den Wasserfilm, der sich häufig auf den einzelnen Oberflächen befindet, zu sauren Verbindungen umgewandelt und dauerhaft eingelagert, oder aber über Oberflächenprozesse beseitigt. Bei der nassen Deposition laufen die chemischen Umwandlungen bzw. Abbaureaktionen in Wechselwirkung mit einzelnen Komponenten des Wasserkreislaufs (Verdunstung, Wolkenbildung, Niederschlag) ab. Die nasse Deposition wird in die Vorgänge ›rainout‹ und ›washout‹ unterteilt. Beide Prozesse sind wichtige Reinigungsmechanismen der Atmosphäre, wobei zum einen die wasserlöslichen Gase die Wolken- und Niederschlagsbildung fördern und zum anderen gleichzeitig damit die Schadstoffe selbst aus der Atmosphäre entfernt werden. Die atmosphärischen Luftbeimengungen unterliegen einem Kreislauf von der Emission über die Ausbreitung in der Atmosphäre einschließlich möglicher Veränderungen bis hin zur Deposition.
Bei dem Aufenthalt in der Atmosphäre können die Schadstoffe Wirkungen auf die belebte und die unbelebte Natur ausüben. Diese Wirkungen werden als Immissionen bezeichnet. Die Wirkungen auf den Menschen reichen von einer Belästigung bis hin zur Gesundheitsgefährdung. Ausschlaggebend für die Immission ist die Dosis, die sich aus der Dauer der Einwirkung einer Luftverschmutzung und deren Konzentration ergibt. Die Dosis-Wirkungs-Beziehung hängt sowohl vom individuellen Schadstoff ab als auch vom physischen und psychischen Zustand des menschlichen Organismus. Die Luftbeimengungen werden vorwiegend über die Lunge und in gewissem Maße auch über die Haut aufgenommen. Die Aufnahme der Schadstoffe aus der Luft ist nur ein Teil der Gesamtbelastung des Menschen. Gleichzeitig erfolgt über die Nahrungsmittelkette eine weitere Kontamination, da sich Schadstoffe auch im Futter von Tieren und den pflanzlichen Lebensmitteln anreichern. Auch bei Pflanzen können Wirkungen von Schadstoffen festgestellt werden, die von Kümmerwuchs über Verfärbung bis hin zu verfrühtem Blattabwurf reichen. Während die Vegetationsschäden in der Nähe von Erzhütten auf den höheren Ausstoß von SO2 zurückgeführt werden können, ist eine eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehung bei den neuartigen Waldschäden nicht zu erkennen. Diese großflächigen Waldschäden treten vorwiegend in den ursprünglich weniger belasteten Reinluftgebieten fernab der Emissionsquellen auf. Die möglichen Ursachen dieser Waldschäden sind vielmehr auf die komplexen Wechselwirkungen zwischen Art und Menge des Ferntransportes von Schadstoffen, den Witterungseinflüssen (Trockenheit, Temperaturextreme), natürlichen Schädlingen (Insekten, Wild) und forstwirtschaftlichen Maßnahmen (Düngung, Baumart) zurückzuführen. Die Wirkungen von Luftbeimengungen und deren Folgeprodukte auf Materialien resultieren in großen volkswirtschaftlichen Schäden. Gesteinsspezifische Verwitterungsformen führen zum Verfall von Gebäuden und Denkmälern, und die Metallkorrosion zerstört die Oberfläche von Metallen. Diese physikalischen Vorgänge laufen zwar auch unter natürlichen Umweltbedingungen ab, werden aber durch das Vorhandensein von Schadstoffen in der Luft beschleunigt. Zur Beurteilung der gesundheitlichen und ökotoxikologischen Relevanz der Schadstoffkonzentrationen muß ein Vergleich mit vorgegebenen Grenz-, Richt- und Vorsorgewerten erfolgen. Dabei ist zwischen einer mittleren Belastung und einer kurzfristigen Spitzenbelastung zu unterscheiden. Zur Beurteilung werden daher verschiedene statistische Kenngrößen der Immissionskonzentration (Mittelwert, Perzentilwert) herangezogen. Es gibt eine ganze Reihe von Vergleichswerten für verschiedene Luftschadstoffe, die in der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft, in Arbeitsplatz-Richtlinien, in Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft und in den Luftqualitätsleitlinien der Weltgesundheitsorganisation festgelegt sind.
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