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Lexikon der Geowissenschaften: Tunnelbau

Tunnelbau, Tunnel, Stollen und Kavernen machen als Bauwerke im Gebirge mit der Schaffung spezifischer Spannungssituationen, besondere Bauweisen erforderlich. Bauraumerkundungen, Anpassung der Konstruktion an die geologischen Bedingungen und Sicherungsmaßnahmen in Form eines provisorischen Verbaues und des endgültigen Ausbauens spielen eine entscheidende Rolle. Im Tunnelbau ist das Gebirge nicht nur Baugrund, sondern zugleich Baustoff aber vor allem mittragendes Element. Um den Hohlraum, dem Ort besonderer Spannungskonzentrationen, entsteht aber gleichzeitig auch eine Belastungssituation. Nachfolgend wird auf Tunnel im Halbfest- und Festgestein, nicht jedoch auf solche im Lockergestein oder Tunnel in halboffener oder Deckelbauweise eingegangen.

Die klassische, aus dem Bergbau übernommene Bauweise folgt einem bestimmten Ausbruchsschema und sichert in starrer Bauweise mittels Holz-, Stahl- oder Betonausbau. Der Betonausbau kennt vorgefertigte Betonelemente, die in Fugen aneinander stoßen und den Halbraum schlüssig auskleiden. Als Alternative sind in situ gegossene Ortbetonschalen anzusehen. Das wesentliche Element des starren Ausbaus ist mit zwei Merkmalen zu begründen: a) Alle Gebirgsspannungen, die sich durch Umlagerungsprozesse um den Halbraum bilden, liegen auf dem Ausbau, der entsprechend dimensioniert werden muß. b) Der starre Ausbau läßt keine Deformationen und damit keinen Spannungsabbau in den Hohlraum hinein zu. Die auftreffenden Radial- und die sich um den Halbraum entwickelnden Tangentialspannungen verlaufen im Ausbau. Die tunnelbauimanenten Meßmethoden wie Konvergenzmessungen, Laser-Lichtraummessungen, Gleitmikrometer, Meßanker, Extensiometer und Druckmeßdose können einerseits die hohen Drücke und andererseits das Unterdrücken der Deformation nachweisen. Als nachgiebige Ausbaumethode hat die sogenannte Neue Österreichische Tunnelbauweise (NÖTM) internationale Bedeutung erlangt. Sie ist kein Vortriebsschema sondern ein Tunnelbaukonzept mit Anspruch, das Gebirge zum Abtragen der Last mit heranzuziehen. Der Ausbau bestehend aus Spritzbetonschale, Anker und Tunnelbögen ist nachgiebig, d.h. die Ausbaumittel und das den Halbraum umgebende Gebirge deformieren sich und bauen dadurch Spannungen ab. Anker und Gebirge bilden einen eigenen, gewölbeartigen Baukörper, dessen Ausmaß von der Gebirgsqualität und der Geometrie des Hohlraumes bestimmt wird. Radialspannungen σr, Konvergenzen Δr, Ausbauwiderstände pi und die Zeit T charakterisieren die Wechselwirkungen zwischen Gebirge und Ausbauelementen.

Das Prinzip der Verformungsmessungen mittels Meßankern, Extensiometern und Konvergenzmessungen ist in Abbildung 1 wiedergegeben. Spannungsmessungen für radiale und tangentiale Kraftwirkungen sind in Abbildung 2 im Prinzip dargestellt. Die Meßvorrichtung sind Druckmeßdosen bestehend aus Druckkissen und hydraulischem Ventil. Neben den hydraulisch arbeitenden Druckkissen sind elektrische Dehnungsmeßstreifen, induktive Geber, Schwingsaiten und spannungsoptisch aktive Materialien als Spannungsmeßeinrichtungen in Verwendung. Vor jedem Eingriff ist im ungestörten Gebirge ein „primärer” Spannungszustand vorhanden. Ursachen hierfür sind der lithostatische Druck und tektonische, gerichtete Spannungen. Unmittelbar nach dem Auffahren des unterirdischen Hohlraums stellt sich ein „sekundärer” Spannungszustand ein, der sich aus Spannungs- und Massenumlagerungen ableitet. Das in der Fürste oft bis zu mehreren Metern aufgebrochene Gebirge wirkt gravitativ als Auflockerungsdruck auf den Ausbau. Bei entsprechender Gesteinsbeschaffenheit können zusätzlich Schwelldrücke und Quelldrücke auftreten. Nach Abklingen der Konvergenzen nach dem Einbau der Sicherungsmittel hat sich ein bleibender, quantitativ geringer „tertiärer” Spannungszustand eingestellt. Die primäre, im Gebirge vorhandene Spannung hat maßgeblich Einfluß auf die Konvergenz eines Hohlraumes ( Abb. 3).

Dem starren oder nachgiebigen Ausbau muß eine Ausbruchsmethode vorangehen, die jedoch nicht zwangsläufig auf die Ausbauart abgestimmt sein muß. Je nach seinen ingenieurgeologischen Eigenschaften (Gesteinsart und Trennflächen, Wasserführung, Anisotropie des Gebirgsverbandes) wird das Gebirge sprengtechnisch oder maschinell gelöst. Anzustreben ist eine möglichst erschütterungsfreie Vortriebsarbeit, welche durch Tunnelvortriebsmaschinen gewährleistet ist. Diese arbeiten im Voll- oder Teilschnitt. Eine häufige durch die geologischen Verhältnisse nahegelegte Vorgehensweise ist das Auffahren eines Pilotstollens mit einer Tunnelvortriebsmaschine zur Erkundung der Geologie und nachfolgend das sprengtechnische Aufweiten auf den Vollquerschnitt.

Im Tunnelbau wird die Standfestigkeit des aufzufahrenden Gebirges wesentlich durch die geologischen Lagerungsverhältnisse, d.h. Lage und Ausbildung der Trennflächen, die Wasserführung und die Gesteinsbeschaffenheit bestimmt. Danach richtet sich auch in erster Linie das Ausbruchsschema. Strosse, Kern und Kalotte werden sukzessive oder im Vollausbruch entfernt. Vortriebsart und Sicherungsarbeiten werden getrennt nach den in Abbildung 4 dargestellten Bereichen klassifiziert. Die Gebirgsklassifikation gibt ansatzweise das Ausbruchsschema vor. Ein vorlaufender Kalottenausbruch gegenüber dem Strossen- und gegebenenfalls Sohlausbruch ist durch die Standfestigkeit bzw. das Verformungsverhalten des Gebirges bedingt. Strossen- und Sohlausbruch werden in gebrächem Gebirge nachlaufend auf relativ kurze Strecken, 100 bis 200 m, gebaut. Bei wenig standfestem Gebirge ist auf möglichst kurze Entfernungen ein Sohlschluß herzustellen. Abbildung 5 zeigt typische Abfolgen des nachlaufenden Kalotten-Strossen-Sohlenvortriebs. Wenn das Gebirgsverhalten keinen Vollausbruch oder Kalotten-Strossen-Sohle-Vortrieb zuläßt, muß auf kleinere Teilquerschnitte umgestellt werden. Die Auflösung des Tunnelquerschnittes erfolgt in verschiedenen Teilquerschnitten mit typischem Ulmenstollenvortrieb bzw. vorlaufend geteilter Kalotte. Modernere Tunnelbauweisen streben nach Möglichkeit den Ausbruch des Gesamten Tunnelquerschnittes (Vollprofil-Vortrieb) in einem Vorgang an. Bei schlechten Gebirgsklassen muß der Gesamtquerschnitt in kleine Teilquerschnitte aufgelöst werden. Dabei treten jeweils neue Spannungsumlagerungen ein. Bei der Vollprofil-Bauweise kann das Gebirge schrittweise in Abschlägen gelöst und nach der NÖTM sofort gesichert werden. Abschläge entstehen beim Sprengvortrieb während bei maschinellen Bohr- und Fräsarbeiten kontinuierlich fortschreitende Ablösungen entstehen. [ERu]


Tunnelbau 1 : Verformungsmessungen im Hohlraum mittels Meßankern (1), Stangenextensiometern (2) und Konvergenzmessungen (3). Tunnelbau 1

Tunnelbau 2 : Radial- (1) und Tangentialspannungen (2) mit hydraulischen Druckdosen (Druckkissen). Tunnelbau 2

Tunnelbau 3 : Einfluß der Primärspannung auf das Verformungsverhalten eines Tunnelquerschnitts. Tunnelbau 3

Tunnelbau 4 : tunnelbautechnische Bezeichnungen in a) Querschnitt und b) Längsschnitt. Tunnelbau 4

Tunnelbau 5 : Schema der unterschiedlichen Ausbruchsfolgen bei der NÖTM. Tunnelbau 5
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