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Lexikon der Geowissenschaften: Zwillinge

Zwillinge, Verwachsungen zweier Kristallindividuen mit festgelegter Orientierungsbeziehung. Die Gesetzmäßigkeiten (Zwillingsgesetze), nach denen die beiden Individuen zueinander orientiert sein können, sind äußerst vielfältig. Von besonderem Interesse sind diejenigen Orientierungsbeziehungen, die einem kristallographischen Symmetrieelement entsprechen. Als solche können z.B. Spiegelebenen auftreten, die dann als Zwillingsebenen bezeichnet werden. In diesem Fall spricht man von einem „Zwilling nach (hkl)”. Die Zwillingsebene bezieht sich nur auf die Orientierung und nicht auf die physikalische Zwillingsgrenze, die sehr kompliziert oder unregelmäßig wie im Fall eines Penetrationszwillings sein kann. Fällt die Zwillingsebene mit der physikalischen Grenzfläche zusammen, dann spricht man von einem Berührungs- oder Kontaktzwilling. Wiederholt sich die Zwillingsbildung mehrfach, entstehen Drillinge ( Abb. 1), Vierlingeusw. Mehrfache Verzwilligung liegt z.B. oft beim Albit (Albitgesetz) vor. Man spricht man dann von einer polysynthetischen Verzwilligung.

Ähnlich wie die Orientierungsbeziehung zwischen den eben besprochenen Zwillingen durch eine Spiegelebene gegeben ist, können diese auch über eine Drehachse, eine sog. Zwillingsachse, verknüpft sein. In diesem Fall spricht man analog von einem „Zwilling nach [hkl]”. Bei Quarzkristallen können beide Zwillingsvarianten vorkommen, sowohl nach der (11



)-Ebene, dem sog. Brasilianer-Zwilling, als auch nach der [0001]-Achse, dem sog. Dauphineer-Zwilling. Einen Spezialfall stellt die meroedrische Verzwilligung dar, die nur in Kristallen auftreten kann, die eine niedrigere Symmetrie als die ihres Gitters besitzen. Als Zwillingselemente können alle Symmetrieelemente vorkommen, die nicht in der Kristallstruktur, sehr wohl aber im zugehörigen Gitter vorhanden sind. Daher kann ein Zwilling aus zwei Individuen aufgebaut sein, deren Orientierungen durch eine Inversionsoperation ineinander überführt werden. In einem Röntgenbeugungsexperiment treten die Bragg-Reflexe beider Individuen eines derartigen Inversionszwillings an den gleichen Stellen im reziproken Raum auf. Daher bedarf es ausgefeilter Meß- und Auswertemethoden zum Erkennen einer derartigen Verzwilligung.

Als weiteres Beispiel für eine Verzwilligung sei der Gips (CaSO4·2H2O) genannt. Er kristallisiert monoklin und bildet häufig tafelige Kristalle mit den Formen {110}, {111} und {010} ( Abb. 2a). Zwei solcher Individuen können nun nach der möglichen Fläche (100) verzwilligen, die jedoch selbst nicht an diesen speziellen Kristallformen auftritt. (100) wird also Zwillingsebene, wobei zwischen den beiden Zwillingen ein einspringender Winkel von etwa 105º entsteht ( Abb. 2b). Häufig lassen sich Zwillingsbildungen bei Kristallen an einspringenden Winkeln erkennen. Weiterhin ist aus diesem Beispiel ersichtlich, daß sich die Symmetrie des Zwillings gegenüber dem Einzelkristall um eine Symmetrieebene erhöht hat. Besonders wichtig sind die Zwillingsgesetze bei den Feldspäten, z.B. das Karlsbader Gesetz, bei dem (100) Zwillingsebene ist und die Kantenrichtung [001] die Zwillingsachse bildet. Zwillingsachsen sind Symmetrieachsen der Zwillinge und nicht Symmetrieachsen der betreffenden Einzelkristalle. Ebenso können natürlich auch Symmetrieebenen eines Kristalls nie Zwillingsebenen sein.

Findet die Verzwilligung bereits während des Kristallwachstums statt, spricht man von Wachstumszwillingen. Technische Bedeutung haben die durch mechanische Deformation entstehenden Gleitzwillinge (Gleitung),die beim Calcit (Marmor) und bei den Metallen eine wichtige Rolle spielen, denn sie sind die Ursache des plastischen Verhaltenskristalliner Stoffe. Auch bei Modifikationsänderungen polymorpher kristalliner Phasen kommt es häufig zu Zwillingsbildungen. Ein typisches Beispiel ist der seiner Tracht nach meist in Deltoidikositetraedern, also kubisch erscheinende Leucit (KAlSi2O6). In Wirklichkeit besteht der Leucit bei Raumtemperatur jedoch aus Zwillingslamellen einer tetragonalen Tieftemperaturmodifikation. Die Zwillingslamellen verschwinden beim Erhitzen auf 620ºC, denn darüber liegt das Existenzgebiet des kubischen Hochtemperaturleucits.

Nicht selten finden sich auch Zwillingsbildungen, bei denen eine Verzwilligung nach zwei Gesetzen gleichzeitig erfolgt. Ein Beispiel ist der trikline Kalifeldspat Mikroklin (Feldspäte), der oft aus einem gegitterten Lamellenwerk von Zwillingen nach (010) (Albitgesetz) und nach [010] (Periklingesetz) besteht. Der Fall der scheinbaren optischen Isotropie doppelbrechender Kristalle ist auf die sublichtmikroskopische Verzwilligung optisch entgegengesetzter aktiver Kristalle zurückzuführen. Ein Beispiel dafür liefern die nach dem Dauphinéer Gesetzt verzwillingten Rechts-Links-Quarze (Quarz), die in den Schnitten senkrecht zur c-Achse bei Drehung um 360º zwischen gekreuzten Polarisatoren stets Aufhellung zeigen. [EW,GST]


Zwillinge 1: pseudohexagonaler zyklischer Drilling von Chrysoberyll nach (031). Zwillinge 1:

Zwillinge 2: Einzelkristall von Gips (a) und „Schwalbenschwanzzwilling” mit (100) als Zwillingsebene (b). Zwillinge 2:
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