Metzler Lexikon jüdischer Philosophen: Theodor W. Adorno
Geb. 11.9.1903 in Frankfurt a.M.;
gest. 6.8.1969 in Visp (Wallis)
A. wurde als Sohn des jüdischen Weingroßhändlers Oscar Wiesengrund und der Sängerin Maria Calvelli Adorno, katholischen Glaubens, geboren. Nach frühem Kompositionsunterricht und frühem Abitur und einem Studium der Philosophie, Musikwissenschaft, der Psychologie und Soziologie promovierte A. 1924 mit einer Arbeit über Edmund Husserl. 1925 nach Wien übergesiedelt, studierte er bei Alban Berg Komposition, befreundete sich mit Anton Webern und machte die Bekanntschaft Arnold Schönbergs und Kurt Weills. 1928 Redakteur der musiktheoretischen Zeitschrift Anbruch in Wien, kehrte A. 1930 nach Frankfurt zurück und habilitierte sich bei Paul Tillich mit einer Arbeit über Kierkegaard. 1933 wurde dem Privatdozenten aufgrund seines jüdischen Vaters und seiner Verbindungen zum marxistischen Institut für Sozialforschung die Lehrbefugnis entzogen. Nach seiner Emigration wirkte A. zunächst seit 1934 als Fellow am Merton College in Oxford, um 1938 in die USA zu gehen. Im gleichen Jahr wurde er Mitarbeiter an der New Yorker Zweigstelle des Instituts für Sozialforschung und übernahm die musikalische Leitung des Princeton Office of Radio Research. Von 1941 bis 1950 lebte A. in Los Angeles, wo er seit 1941 gemeinsam mit Max Horkheimer an der Dialektik der Aufklärung arbeitete und Thomas Mann in den Jahren 1945/46 beim Verfassen des Doktor Faustus beriet. Die Dialektik der Aufklärung, 1944 beendet, erschien 1947 noch in Amsterdam. 1951 machte A. mit seinen Minima Moralia – Reflexionen aus dem beschädigten Leben auf sich aufmerksam. 1953 nach Frankfurt zurückgekehrt und an der dortigen Universität zum außerplanmäßigen Professor ernannt, entfaltete A. in den folgenden Jahren eine rege wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit, die ihn schnell zu einem der bekanntesten Intellektuellen der frühen Bundesrepublik werden ließen. Nach dem mit Karl R. Popper geführten sog. Positivismusstreit im Jahre 1961 wurde A. 1966 zum Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Soziologie gewählt. 1967 erschien die Negative Dialektik, 1969 die Ästhetische Theorie. Nach heftigen Auseinandersetzungen mit den revoltierenden Frankfurter Studenten starb A. am 6. August in seinem Urlaubsort Visp im Wallis an Herzversagen.
A., der biographisch dem assimilierten deutschen Judentum entstammt, als einen jüdischen Philosophen zu verstehen, heißt, die jüdisch-theologischen Motive seines Werks nachzuweisen. Diese Motive entfalten sich im Fortgang seines Werks dreifach: als von Walter Benjamin entlehnter Gedanke einer Hoffnung um des Hoffnungslosen willen, als aktualisiertes biblisches Bilderverbot sowie als ganz eigenständig fortentwickelte kabbalistische Idee eines der heillosen Welt zugehörigen erlösenden Lichts.
A. war als junger Mann über seine Freunde Siegfried Kracauer und Leo Löwenthal, die Kontakte zu Rosenzweigs Jüdischem Lehrhaus und nationaljüdischen Kreisen hatten, vor allem aber über Walter Benjamin mit Motiven eines theologisch aktualisierten Messianismus bekannt geworden – Motive, die A. zunächst mit Spott aufnahm. Zudem las A. mit seinem älteren Freund und Mentor Siegfried Kracauer Rosenzweigs Stern der Erlösung, ohne dem damals viel abgewinnen zu können. »Das sind Sprachphilosopheme« äußerte er »die ich auch nicht verstände, wenn ich sie verstünde« (Löwenthal). Mit Kracauer war er der Auffassung, daß Rosenzweig letztlich dem philosophischen Idealismus verhaftet bleibe. Zu dieser Zeit lehnte A. ebenfalls die messianische Deutung, die Walter Benjamin Goethes Wahlverwandtschaften gegeben hatte, ab. Bekanntermaßen schloß Benjamin seinen Essay mit den Worten »Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben.« Die spöttische Haltung A.s gegenüber Fragen jüdischer Religion und jüdischer Religions-philosophie hielt bis in die frühen dreißiger Jahre an: Martin Buber wurde von ihm als »Religionstiroler« und Leo Löwenthal und Erich Fromm als »Berufsjuden« verspottet.
Theologisches Denken war A. aus seinen Studien zu Kierkegaard ebenso vertraut wie aus seiner Zusammenarbeit mit Paul Tillich bzw. seiner Bekanntschaft mit Walter Benjamin und dessen Werk. Gleichwohl lassen sich explizit theologische Motive nicht vor 1935 datieren, als A. auf eine kritische Einwendung Horkheimers gegen Henri Bergson und dessen Verdrängung des Todes brieflich reagierte: »[…] es ist erstaunlich, wie völlig hier die Konsequenzen Ihres ›Atheismus‹ (an den ich freilich je weniger glaube, je vollkommener er sich expliziert: denn mit jeder Explikation steigt seine metaphysische Gewalt) solchen aus meinen theologischen Intentionen begegnen, die Ihnen so unbehaglich sein mögen wie sie wollen, aber deren Konsequenzen jedenfalls eben in nichts von Ihren sich unterscheiden – könnte ich doch das Motiv der Rettung des Hoffnungslosen als Zentralversuch aller meiner Versuche einsetzen, ohne daß mir mehr zu sagen bliebe; es sei denn, daß ich zu jener Verzeichnung des Leidens und des Nichtgewordenen den Leser hinzudenke, vom dem Sie schweigen und der doch der einzige Leser wäre, dem diese Geschichte des kreatürlichen Leidens zugeeignet wäre. Und freilich glaube ich: so wie keiner meiner Gedanken das Recht zu atmen hätte, wenn er nicht, Ihrem Atheismus konfrontiert, sich als verhüllend und wahr erwiese, so sicher wäre keiner Ihrer Gedanken zu denken ohne dies Wozu als Kraftquelle durch den Tod hindurch, die um so gewaltiger in Ihre Erkenntnisse hineinwirkt, je dichter Sie diese dagegen absperren; wie eine Art von Strahlen, die nicht nur von keiner Mauer aufgehalten werden, sondern gerade die Macht besitzen, das Innerste der Mauer selbst zu zeigen.«
Der unmittelbare Bezug dieser Passage ist das Ende des erwähnten Aufsatzes, in dem Horkheimer der Geschichtsschreibung nach dem Zerfall des Vertrauens auf das Ewige alleine die Möglichkeit zuschreibt, den Anklagen der vergangenen Menschheit Gehör zu schenken. Die hier verwendete Bildersprache ruft kabbalistisch-mystische Hinweise wie die einer verhüllenden Wahrheit, sie durchdringender Strahlen sowie einer Mauer vor der Wahrheit auf. Hier ist Kafkas Erzählung Vor dem Gesetz ebenso gegenwärtig wie die kabbalistische Lehre vom »Bruch der Gefäße« und den »Schalen«, deren »Funken« in die unerlöste Welt dringen. Freilich verschränkt sich dies kabbalistische Motiv im Werk A.s, zumal in seinen moralund ästhetiktheoretischen Arbeiten mit einem traditionell jüdischen Motiv, dem Bilderverbot, das er vor allem gemeinsam mit Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung entfaltet hat. Geschichtsphilosophie und Ästhetik, Dialektik der Aufklärung und Negative Dialektik leben aus dem Spannungsverhältnis eines restaurativ-utopischen Messianismus und einer negativistischen Kritik alles Bestehenden um der rettenden Wahrheit willen, die, um überhaupt den geschichtlichen Verfallsprozeß aufhalten zu können, der Verhüllung – und das heißt dem Bilderverbot – anheimfallen muß.
In der Dialektik der Aufklärung, zumal in den Abschnitten über die »Elemente des Antisemitismus« versuchen sich Horkheimer und A. an einer geschichtsphilosophischen Deutung des Verhältnisses von Judentum und Christentum, bei dem die Askese des jüdischen Gottesgedankens gegenüber den regressiven Zügen eines vermenschlichten Gottes verteidigt wird: »Die Anhänger der Vaterreligion werden von denen des Sohnes gehaßt als die, welche es besser wissen. Es ist die Feindschaft des sich als Heil verhärtenden Geistes gegen den Geist. Das Ärgernis für die christlichen Judenfeinde ist die Wahrheit, die dem Unheil standhält, ohne es zu rationalisieren und die Idee der unverdienten Seligkeit gegen Weltlauf und Heilsordnung festhält, die sie angeblich bewirken sollen.« Im Gedanken einer versöhnenden Erinnerung, die noch in ihrer rituellen Form den Einspruch wider die listige Unterwerfung der Natur artikuliert, ersteht der schon von Rosenzweig postulierte Einbruch des Ewigen ins Zeitliche als Essenz des jüdischen Glaubens wieder auf: »Den Juden schien gelungen, worum das Christentum vergebens sich mühte: Die Entmächtigung der Magie vermöge ihrer eigenen Kraft, die als Gottesdienst sich wider sich selbst kehrt. Sie haben die Angleichung an Natur nicht sowohl ausgerottet als sie aufgehoben in den reinen Pflichten des Rituals. Damit haben sie ihr das versöhnende Gedächtnis bewahrt, ohne durchs Symbol in Mythologie zurückzufallen.«
Als Unterpfand des hier postulierten Eingedenkens fungiert das Bilderverbot, das am Gedanken der Erlösung gerade deshalb festhalten kann, weil es strikt verbietet, sich die Erlösung vorzustellen oder auszumalen. Nur dort, wo durch die Askese des Bilderverbots der Gedanke der Erlösung nicht an die Gegenwart oder eine nur als Verlängerung der Gegenwart gedachte Zukunft verraten wird, besteht auch die Möglichkeit eines rettenden Eingedenkens an die Opfer der Geschichte. Nur so erhält der Gedanke einer »Rettung des Hoffnungslosen« seinen Sinn. So können die Autoren der Dialektik der Aufklärung das Bilderverbot als Prinzip der Negativität erläutern, als »das Verbot, das Falsche als Gott anzurufen, das Endliche als das Unendliche, die Lüge als Wahrheit. Das Unterpfand der Rettung liegt in der Abwendung von allem Glauben, der sich ihr unterschiebt, die Erkenntnis in der Denunziation des Wahns. Gerettet wird das Recht des Bildes in der treuen Durchführung seines Verbots.« Für die pessimistischen Anhänger Freuds und Marxens wird so unnachsichtige Ideologiekritik zur Vorbedingung einer unvordenklichen Erlösung. Der damit verbundene Verzicht auf falsche und voreilige Tröstung der Verzweiflung alles Sterblichen treibt ein messianisches Denken, das weder auf den Gedanken der Erlösung verzichten noch den geringsten Tribut an eine Affirmation der verfallenen Gegenwart zollen will, in eine Spannung, der sich nur noch durch Absage ans Wirkliche und eine Flucht ins Mögliche standhalten läßt.
Im berühmten letzten Aphorismus der Minima Moralia findet sich die wohl prägnanteste Formulierung eines gleichsam konjunktivischen Messianismus: »Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung aus sich darstellten. Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint: alles andere erschöpft sich in der Nachkonstruktion und bleibt ein Stück Technik. Perspektiven müßten hergestellt werden, in denen die Welt ähnlich sich versetzt, verfremdet, ihre Risse und Schründe offenbart, wie sie einmal als bedürftig und entstellt im Messianischen Lichte daliegen wird. Ohne Willkür und Gewalt, ganz aus der Fühlung mit den Gegenständen heraus solche Perspektiven zu gewinnen, darauf allein kommt es dem Denken an. Es ist das Allereinfachste, weil der Zustand unabweisbar nach solcher Erkenntnis ruft, ja, weil die vollendete Negativität, einmal ganz ins Auge gefaßt, zur Spiegelschrift ihres Gegenteils zusammenschießt. Aber es ist auch das ganz Unmögliche, weil es einen Standort voraussetzt, der dem Bannkreis des Daseins, wäre es auch nur um ein Winziges, entrückt ist, während doch jede mögliche Erkenntnis nicht bloß dem, was ist, erst abgetrotzt werden muß, um verbindlich zu geraten, sondern eben darum selber auch mit der gleichen Entstelltheit und Bedürftigkeit geschlagen ist, der sie zu entrinnen vorhat.« Diese Zeilen sind von der Gewißheit durchdrungen, daß schon die Kraft der Unterscheidung zwischen gut und böse selbst einzig der Vorstellung einer anderen, besseren Welt entspringt – eine Vorstellung, von der indes ungewiß bleiben muß, ob sie jemals Wirklichkeit werden kann. Diese Kraft zur Unterscheidung und das, worauf sie verweist, bezeichnet A. als »Transzendenz«, sie hinterläßt einen Schein, der letztlich auf den Willen der Menschen zurückgeht, es nicht bei der Trostlosigkeit einer unheilvollen Immanenz zu belassen. Somatische Leidensfähigkeit sowie die Fähigkeit, sich erlittenen Unrechts zu erinnern, wird hier als jene Instanz entfaltet, die traditionell von der Theologie verwaltet wurde. Der Aufruf der somatischen Leidensfähigkeit vollzieht in Einem die Synthese eines zu Ende gedachten sensualistischen Materialismus mit einer auf dem Eingedenken beruhenden Erkenntnis. Erkenntnis aber – so die theoretische Konklusion dieser Überlegungen – kann von Leidenserfahrung nicht abgekoppelt werden und entspricht dem, was traditionellerweise unter ihr verstanden wurde, nämlich die affektfreie, kognitive Erfassung der Welt, gerade nicht: »Bewußtsein könnte gar nicht über das Grau verzweifeln, hegte es nicht den Begriff von einer verschiedenen Farbe, deren versprengte Spur im negativen Ganzen nicht fehlt. Stets stammt sie aus dem Vergangenen, Hoffnung aus ihrem Widerspiel, dem, was hinab mußte oder verurteilt ist; solche Deutung wäre« – so schrieb A. – »dem letzten Satz von Benjamins Text über die Wahlverwandtschaften ›Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben‹ wohl angemessen« (Negative Dialektik).
Freilich hält sich der eben auch hedonistische Materialist A. nicht weiter mit der Frage nach dem Woher dieser Hoffnung auf und begibt sich damit einer theologischen Reflexion im strengen Sinne. Die Folie somatisch und psychisch erlittenen Leids scheint dem vollauf zu genügen. Unter dieser Voraussetzung schießen Materialismus und Theologie zur Ununterscheidbarkeit zusammen – anders als bei dem von A. bemühten Benjamin, für den die Theologie noch gegenüber dem Materialismus eine Leitfunktion einnahm. Gleichwohl wurden A.s Überlegungen in drei Richtungen theologisch gedeutet: als konsequent zu Ende gedachte negative Theologie, als eine am subjektiven Leiden orientierte Variante bürgerlich-subjektivistischer Religiosität sowie als konsequent zu Ende gebrachte, esoterische Christologie.
Daß letzteres ernstlich nicht in Frage kommt, ergibt sich nicht nur aus der Dialektik der Aufklärung, in der Horkheimer und A. das Christentum als Ausdruck einer vergeistigten Idolatrie kritisieren. Wohl aber läßt sich sein Werk als »negative Theologie« kennzeichnen, eine Bezeichnung, die vor allem Horkheimer A.s Werk posthum zugesprochen hat. Die von einigen Autoren aufgestellte Behauptung, es handele sich bei diesem Werk gar um eine letzte Form bürgerlich-subjektivistischer Theologie, da A. den Bannkreis des eigenen Leidens nie überwunden habe, hat sich schließlich an der Paradoxie einer theologischen Reflexion zu messen, die den Akt des Glaubens ebendeshalb negiert – und damit den Bannkreis der Subjektivität verläßt – indem er den Glauben selbst ablehnt und damit dieses subjektive menschliche Vermögen selbst noch unter das Bilderverbot stellt: »Die Möglichkeit, für welche der göttliche Name steht, wird festgehalten von dem, der nicht glaubt« (Koch/Kodalle). Gleichwohl: Damit ist in äußerster Zuspitzung nichts anderes gesagt, als daß es eine bestimmte Form des menschlichen Denkens ist, von der die Möglichkeit Gottes, des »ganz Anderen«, abhängt. Ein Gott, der angesichts der Verzweiflung auch des historischen Augenblicks nach Auschwitz von einer Wirklichkeit zu einer Möglichkeit depotenziert wird und in dieser Möglichkeit alleine von der Askese ideologiekritischen Denkens bestimmt wird, ist nicht mehr der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, sondern der Gott der Philosophen; und zwar so, wie ihn eine Philosophie, die von der Metaphysik ebenso Abschied genommen hat wie von der Hypertrophie des modernen Bewußtseins, in ihrem alternativenlosen Beharren auf der Kraft subjektiver Erfahrung gar nicht anders erfahren kann. Wenn man freilich die Depotenzierung von Gottes Wirklichkeit zu einer Möglichkeit christologisch deutet und dabei die Sehnsucht nach einem »Ganz anderen« als einen absoluten Gedanken versteht, der sich in die Form des »Geringsten und Schäbigsten« zurückgezogen hat, so verbleibt man selbst in der Beliebigkeit einer Metaphysik, die das Mögliche für geringer als das Wirkliche hält.
Die von A. vorgetragene Negative Theologie ist nicht deshalb negativ, sondern weil sie konsequent ihrem eigenen Zeitkern treu bleibt und das heißt die weltgeschichtliche Erfahrung der nationalsozialistischen Vernichtungslager in sich aufgenommen hat. Vor dem Hintergrund von »Auschwitz« wird alle Hoffnung zum Frevel an ihr selbst und rückt die Erfahrung des Todes mit einer Wucht ins Denken, die Hoffnung ebenso dementiert, wie den Versuch, der Endlichkeit durch das Nachdenken über sie zu entrinnen. Vor dem Hintergrund der Verzweiflung bleibt so alleine der kreatürliche Wunsch nach Erlösung übrig, wird der oftmals verlachte Gemeinplatz, es sei der Wunsch der Vater des Gedankens, noch einmal zu einem Argument, zu einem Argument freilich, das sich ein letztes Mal der Bilder der jüdischen, der mystischen Tradition bedient:
»Die kleinsten innerweltlichen Züge« so endet die Negative Dialektik, »hätten Relevanz fürs Absolute, denn der mikrologische Blick zertrümmert die Schalen des nach dem Maß des subsumierenden Oberbegriffs hilflos Vereinzelten und sprengt seine Identität, den Trug, es wäre bloß Exemplar. Solches Denken ist solidarisch mit Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes.« Indes wird auch dieser der Not entsprungene Gedanke des Absoluten in einer letzten Anstrengung der Theologie entzogen, indem das Absolute selbst noch als Ausdruck eines Zwangs gekennzeichnet wird. Sollte also nach den nationalsozialistischen Todesfabriken und dem mit ihr gekoppelten Ende der Kultur auch die Theologie an ihr unwiderrufliches Ende gekommen sein – auch eine »negative Theologie«? Oder zeigt sich endlich, daß die mit dem Bilderverbot verbundene Zurückweisung jeder Vergottung der Immanenz, also des »sich erniedrigenden Gottes« auf eine Wahrheit verweist, die denn doch der Verzweiflung mindestens um ein Geringes entzogen ist und es dem Denken wenigstens erlaubt, weiter zu denken. Diese Wahrheit zu benennen hat A. um ihrer selbst willen sich stets enthalten. Wie auch sollte sie angesichts des für ihn stets unverbrüchlich gültigen Bilderverbots ausgesprochen werden können?
Werke:
- Minima Moralia, Frankfurt a.M. 1970 (1951).
- Die Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a.M. 1967 (Amsterdam 1947).
- Negative Dialektik, Frankfurt a.M. 1967 (1966). –
Literatur:
- H. Gumnior und R. Ringguth, Horkheimer, Reinbek 1973.
- G.P. Knapp, Th.W.A., Berlin 1980.
- Th. Koch/K.M. Kodalle, Negativität und Versöhnung, Stuttgart 1973.
- M. Brumlik, Theologie und Messianismus im Denken A.s, in: ders., Vernunft und Offenbarung, Berlin 2001, 87–114.
Micha Brumlik
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