Lexikon der Kartographie und Geomatik: Atlaskartographie
Atlaskartographie
Wolfgang Denk, Karlsruhe und Christian Lambrecht, Leipzig
E atlas cartography, die Atlaskartographie ist ein Arbeitsfeld der Kartographie, das sich mit Planung, Organisation, Herstellung und Laufenthaltung von Atlanten befasst (Abb.).
Die ersten Atlanten des 16. bis 18. Jh. kamen dem Informationsbedürfnis eines sich ständig erweiternden Gesichtsfeldes entgegen. In den Karten wurden die Gestalt und Größe der Erde, die Verteilung von Meer und Land, Seen, Flüsse und Städte mit einfachen graphischen Mitteln in überwiegend kleinen und mittleren Maßstäben dargestellt.
Für die weitere Entwicklung der Atlaskartographie war das 19. Jh. von großer Bedeutung. Zum einen wurde der Handatlas ständig erweitert und verbessert – und damit das hohe Ansehen der deutschen Atlaskartographie begründet. Zum anderen wurde das geographische Wissen jener Zeit erstmals zu einem Gesamtbild in thematischen Atlanten und Schulatlanten zusammengefügt. Eng mit dieser Entwicklung verbunden sind die Namen weltbekannter Verlage wie z. B. Justus Perthes (Gotha), Ravenstein (Frankfurt), Westermann (Braunschweig), Wagner & Debes sowie Velhagen & Klasing (Leipzig).
Seit der Mitte des 20. Jhs. unterliegt die Atlaskartographie einem grundlegenden Wandel. So ist der "klassische" Atlas- bzw. Handatlastyp, der als Nachschlageatlas konzipiert und vornehmlich mit topographischen Karten ausgestattet war, mehr oder weniger vom Markt verschwunden. In Deutschland wurde er vor allem durch die Hausatlanten sowie die Weltatlanten und Universalatlanten ersetzt, die sich – wie der Schulatlas – durch einen hohen Anteil an thematischen Karten auszeichnen.
Mehr und mehr wird der Atlas heute als ein umfassendes Informationsmedium genutzt, das neben Karten auch Graphiken, Diagramme und Tabellen, Fotos, Luft- und Satellitenbilder sowie erläuternde Begleittexte bietet. Zu den Papieratlanten gesellen sich seit Mitte der 1990er Jahre zudem elektronische Atlanten auf CD-ROM oder als Online-Version. Hier eröffnet die Nutzung raumbezogener, interaktiver Bildschirmgraphiken ganz neue Möglichkeiten in der Analyse raumwissenschaftlicher Fragestellungen.
Auf der anderen Seite bestimmen heute Atlastypen unterschiedlichster Zwecke und Inhalte den Markt. Für diese Entwicklung gibt es vielfältige Gründe. Einige seien im Folgenden genannt: 1. Der wissenschaftliche, technische Fortschritt bringt zahlreiche neue Atlasprodukte hervor: a) Mit dem Overhead-Projektor Ende der 1960er Jahre folgt die Entwicklung der Transparentatlanten. b) Die Möglichkeiten der Erddarstellung mittels der Fernerkundung finden ihren kartographischen Ausdruck in Luftbildatlanten und Satellitenbildatlanten. c) Neue Erkenntnisse aus der Weltraumforschung erweitern unser Weltbild mit Weltraumatlanten, Himmelsatlanten, Planetenatlanten. d) Die modernen Digitaltechniken führen zu elektronischen Atlanten in Offline- oder Online-Version. Die Verarbeitung vektororientierter, animierter, interaktiver Informationen in Multimediaatlanten und interaktiven Atlanten ermöglicht neue Wege der graphisch-modellhaften Darstellung und der inhaltlichen Interpretation. 2. Geänderte und steigende Raumansprüche und Raumnutzung als Folge der hohen Mobilität, der vermehrten Freizeit und des Massentourismus finden ihren kartographischen Ausdruck in zahlreichen Freizeitatlanten; sie befriedigen individuelle und gruppenspezifische Nachfragebedürfnisse. Stellvertretend für viele andere Produkte seien erwähnt: Reiseatlas, Autoatlas, Wanderatlas und Treckingatlas. 3. Der erhöhte Bildungs- und Informationsbedarf der Gesellschaft dokumentiert sich in zahlreichen Atlanten zu Geographie, Geschichte, Kultur und Volkskunde sowie in Themaatlanten spezieller Sachverhalte. Zu nennen sind z. B. Geschichtsatlanten, Kulturatlanten, Sprachatlanten, medizinische Atlanten. 4. Das erhöhte Problembewusstsein gegenüber der Umwelt und die Notwendigkeit, die Naturhaushalte durch Planungen und Maßnahmen leistungsfähig zu erhalten, zu verbessern und notfalls wieder herzustellen, münden in die kartographische Dokumentation der Problembereiche Umweltgestaltung, Umwelterschließung und Umweltschutz (Umweltatlas).
Zahlreiche Fachatlanten widmen sich dieser Aufgabe, in dem sie beispielsweise Themen zu Landesnatur und Flächennutzung, zu Böden und Altlasten, Grundwasser und Wasserversorgung, Luft, Lärm, Energie und Abfall darstellen. Beispiele sind: Hydrologische Atlanten, Klimaatlanten, Floristische Atlanten, Agraratlanten, Industrieatlanten; aber auch Ressourcenatlanten sowie Planungsatlanten gehören in diese Kategorie. 5. Umfassende Bestandsaufnahmen zu räumlichen Strukturen, Funktionen und Entwicklungsprozessen für die Darstellung geographischer Bezugsräume unterschiedlicher Größe sowie als Grundlagenmaterial für die Landes- und Regionalplanung finden ihren Ausdruck in komplexen thematischen Atlanten. Die Spannweite reicht von Stadtatlanten und Gebietsatlanten über National- und Landesatlanten bis Großraumatlanten.
Die Änderung der Nachfragestruktur, vom reinen Nachschlageatlas hin zum Themenatlas, stellen staatliche und gewerbliche Kartographie vor schwierige Aufgaben. Neben organisatorischen, konzeptionellen und technologischen Fragen geht es dabei besonders um die finanzielle Sicherung der Vorhaben. Gerade für die gewerbliche Kartographie, die nach ökonomischen Gesichtspunkten produzieren muss, spielt das kalkulatorische Risiko eine entscheidende Rolle. Ganz allgemein lässt sich hier feststellen, dass die gewerbliche Kartographie den Forderungen nach aufwendiger und inhaltsreicher Thematik nur in dem Maße gerecht werden kann, wie es der knapp bemessene Kostenrahmen des Betriebes erlaubt. Staatliche und gewerbliche Kartographie haben sich dieser Entwicklung durch eine sinnvolle und zweckmäßige Arbeitsteilung angepasst. Die Produkte der gewerblichen Kartographie sind vornehmlich marktorientiert ausgerichtet und versuchen mit ihren Produkten einerseits eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, andererseits individuelle und gruppenspezifische Nachfragebedürfnisse zu befriedigen. Es sind dies beispielsweise die Weltatlanten zur allgemeinen, meist geographischen Information und Bildung. Sie sind meist mit attraktiv gestalteten Atlasseiten und oft mit umfangreichem Atlasregister ausgestattet. Beispiele dafür sind: Nachschlageatlanten, Weltatlanten und Universalatlanten, internationale Atlanten sowie Hausatlanten. Hohe Auflagenzahlen erreichen auch Schulatlanten und Themenatlanten zu allgemein interessierenden Sachverhalten wie Tourismus und Freizeit sowie Satellitenbild- und Luftbildatlanten. In jüngerer Zeit werden Weltatlanten zunehmend als Atlas-Lizenzausgaben und in digitaler Version auf CD-ROM angeboten.
Die Produkte der staatlichen Kartographie sowie wissenschaftlicher Institutionen sind dagegen vorwiegend wissenschafts- und problemorientiert. Sie beschäftigen sich mit einem breiten Themenspektrum zu Natur und Ressourcen, Raumnutzung und Raumanspruch sowie der künftigen Raumentwicklung unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit; aber auch kulturelle, volkskundliche und geschichtliche Themen kommen zur detaillierten Darstellung. Produkte sind: Stadtatlanten, Umwelt- und Planungsatlanten, Nationalatlanten, Fachatlanten. Neben analogen Papieratlanten werden auch in diesem Produktionsbereich zunehmend elektronische Atlanten, meist in der Funktion eines interaktiven Atlas angeboten. Planung, Konzeption und Herstellung von Atlanten ist vor allem Aufgabe der Atlasredaktion. Diese stützt sich, wie z. B. bei der Durchführung von separaten Atlasprojekten (vgl. Atlas Bundesrepublik Deutschland), auf spezielle kartographische Methoden und Verfahren der Atlaskonzeption, -technik und -organisation.
Literatur: [1] STAMS, W. (1977): Entwicklungstendenzen der Atlaskartographie. In: Petermanns Geographische Mitteilungen, 121, 61-70. [2] DENK, W. (1990): Atlaskartographie. Theoretische und praktische Probleme dargestellt am Beispiel des "Tübinger Atlas des Vorderen Orients (TAVO)". Wiesbaden. [3] Vierhundert Jahre Mercator, vierhundert Jahre Atlas: "Die ganze Welt zwischen zwei Buchdeckeln"; eine Geschichte der Atlanten. Hrsg. von Hans Wolff (1995) im Auftrag der Bayerischen Staatsbibliothek. Weißenhorn.
Atlaskartographie:Atlaskartographie: Produktions- und Aufgabenbereich (nach W. Stams, ergänzt).
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