Lexikon der Kartographie und Geomatik: Karteninterpretation als Methode der Landeskunde
Karteninterpretation als Methode der Landeskunde, in der klassischen Landeskunde im Sinne der vor allem historisch-retrospektiv orientierten Länderkunde nimmt die Interpretation topographischer Karten (Karteninterpretation) traditionell eine zentrale Stellung unter den Arbeitsmethoden ein. Durch systematische Analyse der vielfach sehr dichten Informationen topographischer Karten werden entsprechend den Vorstellungen des landeskundlichen Gliederungsschemas nach Hettner (1927) Auswertungskarten hergestellt, die jeweils einzelne thematische Aspekte behandeln. Durch Verschneiden dieser – nun thematisch gewichteten – Informationsebenen wird die Ausgliederung vorwiegend naturräumlich oder vorwiegend kulturhistorisch geprägter Landschaftsräume möglich. In einem ersten Schritt wird anhand des Namenguts der topographischen Karte versucht, die landschaftliche Zugehörigkeit des Betrachtungsraumes abzuleiten. Die folgende systematische Aufschlüsselung der komplexen Informationen der topographischen Karte beginnt in der Regel mit einer Erfassung und Strukturierung der Reliefeigenschaften. Hierbei bietet sich neben einer Ausgliederung der Großformen eine quantitative Aufnahme des Reliefs an (Kartometrie, Morphometrie, geomorphologische Detailkartierung. Die sich hieraus potentiell ergebenden Hinweise auf die aktuelle Morphodynamik können eine wichtige Grundlage für die spätere Bewertung des Besiedlungs- und Verkehrsnetzes darstellen. Ergänzend zum Relief wird das Gewässernetz aufgenommen, das vor allem Rückschlüsse auf die nicht als primäre Informationen in der topographischen Karte enthaltenen klimatischen, strukturellen und petrographischen Gebietseigenschaften zulässt. Die Aufnahme des Gewässernetzes aus der topographischen Karte folgt in der Regel den Vorgaben der Blaue-Linien-Methode und unterliegt deshalb insbesondere im großmaßstäbigen Bereich nicht systematisierbaren Unsicherheiten. Die Ausgliederung der Landnutzung und der Vegetationsbedeckung erlaubt über die reine Verbreitungsfeststellung hinaus Rückschlüsse auf die lokalen Wasserhaushaltsbedingungen und die Bodengüte. Darüber hinaus läßt sie vielfach unmittelbare Beziehungen zu Reliefeigenschaften wie der Exposition und der Hangneigung erkennen. Art und Verbreitung der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung geben weiterhin Hinweise auf den Grad der Umwandlung der Naturlandschaft in eine Kulturlandschaft; aus dem Vergleich mit älteren Ausgaben des gleichen Kartenwerks lassen sich zusätzlich Veränderungen der Kulturlandschaft in Raum und Zeit ablesen. Ebenfalls gibt das Auftreten typischer Flurnamen wie Heide, Bruch, Alm, Alpe usw. Hinweise auf die aktuelle oder ehemalige Landnutzung. Über die land- und forstwirtschaftliche Nutzung hinausgehend geben topographische Karten nur vereinzelt, wie für größere Fabrikanlagen, Abbaugebiete (Minen), Deponien, Fischereianlagen, Naturschutzgebiete, Truppenübungsplätze usw. Hinweise auf die wirtschaftliche Nutzung eines Gebietes. Für eine Analyse des Siedlungsbildes bieten sich zunächst standardisierte Informationen wie die Schriftgröße der Ortsnamen an, die unmittelbare Rückschlüsse auf die Größe der Siedlung (Anzahl der Bewohner) erlauben. Entsprechend dem vorherrschenden Siedlungstyp (geschlossene Siedlungen, Gruppensiedlungen, Streusiedlungen) erfolgt eine Differenzierung in ländliche und städtische Siedlungen. Bei den geschlossenen Siedlungen geben darüber hinaus Siedlungsform (Haufendörfer, Rundlinge, gereihte Siedlungen, Schachbrettanlagen, Hufendörfer usw.) und Flurnamen erste Hinweise auf die Besiedlungsgeschichte. Die Analyse des Verkehrsnetzes erfordert ebenso wie die Analyse des Siedlungsbildes vertiefte historisch-geographische Betrachtungsweisen, da sich in Mitteleuropa gleichermaßen das römische und das mittelalterliche Straßennetz bis in die Gegenwart vererbt haben. Gleichzeitig erfordert die Analyse des Verkehrsnetzes unbedingt einen Abgleich mit den naturräumlichen Bedingungen, insbesondere mit den lokalen Relief- und Wasserhaushaltsbedingungen. Nach der Analyse der verschiedenen Einzelerscheinungen kommt es schließlich anhand der Ausdifferenzierung und Charakterisierung von Landschaftseinheiten zu einer Synthese. Die aus der Karte ablesbaren primären Informationen werden jedoch oftmals erst über Einbeziehung sekundärer Informationen zu den allgemeinen geomorphologisch-morphogenetischen und kulturhistorischen Rahmenbedingungen bewertbar. Neben diesem Sachwissen ist die Kenntnis um kartographische Darstellungsmethoden und der Möglichkeiten und Grenzen der kartographischen Darstellungstechniken eine wichtige Voraussetzung für eine korrekte Bewertung und Deutung von Karteninformationen.
BST
Literatur: [1] HAKE, G. & GRÜNREICH, D. (1994): Kartographie. Berlin/New York. [2] HETTNER, A. (1927): Die Geographie: ihre Geschichte, ihr Wesen und ihre Methoden. Breslau. [3] LIENAU, C. & UHLIG, H. (1978): Flur und Flurformen. Zweite, stark überarbeitete Fassung. (= Materialien zur Terminologie der Agrarlandschaft, I). Gießen. [4] HÜTTERMANN, A. (1993): Karteninterpretation in Stichworten. Berlin, Stuttgart.
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