Lexikon der Kartographie und Geomatik: Karteninterpretation
Karteninterpretation
Brigitta Schütt, Trier
Die Karteninterpretation, E map interpretation, dient der systematischen Erschließung von Karteninhalten in Einzelkarten oder Kartenwerken. Ziel der Karteninterpretation ist i. a. eine Bewertung des Zusammenwirkens der verschiedenen Raumparameter in räumlichen Einheiten (Karteninterpretation als Methode der Landeskunde). Bei den zu interpretierenden Kartenwerken kann es sich gleichermaßen um topographische Karten wie auch um thematische Karten handeln. Im weiteren Sinne wird unter Karteninterpretation eine Form des Kartenlesens verstanden. Die systematische Karteninterpretation umfasst vier Arbeitsschritte: 1. das Erkennen von Objekten nach Lage und Art (Kartenlesen), 2. das quantitative bzw. semiquantitative Erfassen von Rauminhalten, 3. das qualitative Vergleichen der in einem bestimmten Raum in unterschiedlicher Dichte und Ausprägung auftretender Phänomene und 4. die Deutung der Befunde als Karteninterpretation i. e. S.
Der Interpretation der Karte geht die Feststellung technischer Einzelheiten wie der Maßstab, Bearbeitungsstand und die mögliche Einordnung des Blattes in ein Kartenwerk voraus. Die geometrischen Grundlagen der Karte werden den Angaben am Kartenrand (Gitternetz) entnommen.
Das Lesen topographischer Karten im Gelände diente ursprünglich vor allem der Orientierung. Demgegenüber werden thematische Karten meist ohne direkten Vergleich mit dem Objekt zu unterschiedlichsten Zwecken genutzt. Bei der Interpretation von Karten führen das Erkennen und Erfassen von Objekten im Raum zu einer räumlichen Vorstellung, die anhand des Vergleichs von Raummerkmalen und deren Bewertung dem Betrachter schließlich eine Geländebeurteilung erlaubt. Vielfach erfordert die erfolgreiche Umsetzung des letzten Schritts das Vorhandensein von Vorkenntnissen, sowohl was die allgemeinen Geländebedingungen, als auch die allgemeinen geomorphologisch-morphogenetischen und kulturhistorischen Rahmenbedingungen betrifft. Die aus der Karte ablesbaren primären Informationen werden oftmals erst über Einbeziehung sekundärer Informationen interpretierbar. Neben diesem Sachwissen ist die Kenntnis um kartographische Darstellungsmethoden und der Möglichkeiten und Grenzen der kartographischen Darstellungstechniken von grundlegender Bedeutung für eine hohe Qualität des Ergebnisses der Karteninterpretation.
1. Erkennen von Objekten. Jede Kartenauswertung beginnt mit dem Erkennen eines Objekts, seiner Klassifizierung und seiner qualitativen räumlichen Zuordnung. Diese initialen Arbeitsschritte der Karteninterpretation sind i. a. rein qualitativer Natur; Ergebnis sollte eine erste Strukturierung des Betrachtungsraumes sein. Schnelligkeit und Zuverlässigkeit des Wahrnehmens hängen sowohl von der Dichte und Lesbarkeit des Karteninhalts wie auch vom Kartenverständnis des Benutzers ab.
2. Erfassen von Raumeinheiten. Zur Absicherung dieser zunächst vorläufigen räumlichen Strukturierung werden im Folgenden die für die Differenzierung herangezogenen Objekte und Eigenschaften über die rein qualitativ angelegte visuelle Wahrnehmung hinaus quantifiziert (Kartometrie, Morphometrie). Dies geschieht durch Ausmessen flächenhafter (z. B. der Hangneigung oder der Exposition) und linienhafter Erscheinungen (z. B. der Tallänge oder der Länge des Wegenetzes) und durch Auszählen punktueller Erscheinungen (z. B. die Anzahl der Quellen in einem Flusseinzugsgebiet). Auch die Bildung von Indizes durch mathematische Verknüpfung von quantitativen Raumparametern (z. B. der Gerinnenetzdichte als dem Verhältnis von Gerinnenetzlänge und Flusseinzugsgebietsfläche oder der Straßennetzdichte als dem Verhältnis von Straßenlänge und Fläche der Verwaltungseinheit bzw. Einheitsfläche) dient der Erfassung der strukturellen Eigenheiten eines Raumes. In Abhängigkeit von der Zielsetzung und dem betrachteten Maßstab bietet es sich oftmals an, die zeitaufwendigen quantitativen Erhebungen durch semi-quantitative Schätzungen zu substituieren; dies kann gleichermaßen die Abschätzung von Quantitäten oder Flächen beinhalten und erfolgt i. d. R. durch eine Klassenzuordnung. Insbesondere bei kleinen Kartenmaßstäben, bei denen infolge der Generalisierung ohnehin eine Informationsselektion vorliegt, ist die semiquantitative Schätzung der oftmals Genauigkeit nur vortäuschenden Auszählung oder Ausmessung vorzuziehen. Aus der Analyse topographischer Karten können Auswertungskarten als Zwischenprodukt entstehen, aus denen sich oftmals thematische Karten ableiten lassen.
3. Vergleich von Phänomenen. Die durch Zählen, Messen oder Schätzen gewonnenen quantitativen oder semiquantitativen Informationen über die Häufigkeit, Dichte und Verbreitung einzelner Raumparameter bieten eine standardisierte Grundlage für vergleichende Analysen. Werden in den Vergleich geometrische Größen (z. B. Flächen, Strecken) einbezogen, bedient man sich der Arbeitsmethoden der Kartometrie. Bezieht sich dieser Vergleich a) auf einen Vergleich zwischen Karte und Gelände, dient er der Verifikation bzw. Spezifikation der bislang festgestellten Raummuster. Die gleiche Zielsetzung verfolgt der Vergleich b) zwischen Karte und anderen Informationsträgern wie Statistiken oder Quellentexten. Demgegenüber dient der Vergleich c) von Karten desselben Gebietes aber unterschiedlichen Alters dazu, die Entwicklung der Landschaft oder einzelner Landschaftselemente abzuleiten und zielt ebenso wie der Vergleich d) von Karten desselben Gebietes aber unterschiedlicher thematischer Inhalte darauf hin, die in Raum und Zeit komplexen Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Raumparametern zu analysieren. Vor allem der zuletzt aufgeführte Arbeitsansatz wird zunehmend unter Zuhilfenahme von Geoinformationssystemen umgesetzt.
4. Bewertung von Raumparametern. Der Vergleich zwischen verschiedenen Objekten stellt innerhalb einer Karte einen fließenden Übergang zur Deutung bzw. Bewertung von Raumparametern dar, und entspricht damit der Karteninterpretation im engeren Sinne. Diese Tätigkeitsmerkmale haben i. a. eine Charakterisierung der Eigenart der räumlichen Beziehungen, ihrer Entwicklungen, Funktionen und Strukturen zum Ziel. Hierbei können das Nebeneinander oder die räumliche Trennung verschiedener Elemente oder Komplexe gleichermaßen von Relevanz für eine Raumbewertung sein. Vielfach erfolgt die Deutung bereits vor dem Hintergrund fachspezifischer Fragestellungen wie z. B. eine Differenzierung und Analyse des betrachteten Raumes nach naturräumlichen Aspekten, eine Bewertung des Naturraumpotentials oder eine Ausweisung von Retentionsflächen.
Literatur: [1] HAKE, G. & GRÜNREICH, D. (1994): Kartographie. Berlin/New York. [2] HÜTTERMANN, A. (1993): Karteninterpretation in Stichworten. Berlin, Stuttgart. [3] MUEHRCKE, P.C & MUEHRCKE, J.O. (1992): Map Use. Reading, Analysis, Interpretation, Madison.
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