Lexikon der Kartographie und Geomatik: Kartenverständnis
Kartenverständnis, E map comprehesion, die in bestimmten Phasen ablaufenden Komplexe von kognitiven und psychomotorischen Tätigkeiten zum Erwerb von kartographischen Kenntnissen z. B. im Schulunterricht (vgl. Kartenkompetenz). In Abhängigkeit von der erkenntnistheoretischen Stellung und den speziellen unterrichtlichen Funktionen der Karte werden in Verbindung mit dem Wissenserwerb systematisch Fähigkeiten zur Kartennutzung, insbesondere im Rahmen des Geographieunterrichts, entwickelt. Die nachstehend aufgeführten Phasen durchdringen sich gegenseitig und stellen keine formale zeitliche Abfolge dar.
1. Kartenlesen. Es beginnt mit dem schrittweisen Erlernen der äußeren Struktur und der inhaltlichen Bedeutung der verschiedenen Kartenzeichen. Hinzu kommt die Gewöhnung an den selbstständigen Umgang mit der Zeichenerklärung. Eine wichtige Rolle spielt das Übersetzen der graphischen Zeichen in Begriffe und das Umdeuten in Vorstellungen von der Wirklichkeit. Aber auch Himmelsrichtungsbestimmungen und einfache Lagebestimmungen auf der Karte gehören ebenso wie die Gewinnung einer räumlichen Vorstellung des Darstellungsgebietes hierzu (vgl. kognitive Karte). Eine weitere wesentliche Aufgabe im Rahmen des Kartenlesens ist für den Schüler mit der Orientierung nach der Karte in der Natur (Gelände) im Sinne der Rückübersetzung der Kartenzeichen zu lösen.
2. Das Beherrschen des Kartenlesen ist die Voraussetzung für das Kartenauswerten, andererseits werden beim Kartenauswerten die Fähigkeiten des Kartenlesens vervollkommnet und gefestigt. Kartenauswertung umfasst das gedankliche Erfassen der wesentlichen räumlichen Strukturen des Abbildungsgebietes und die Gewinnung eines Komplexeindrucks aus dem syntaktischen Zusammenwirken verschiedener Kartenzeichen. Eine einfachere Aufgabe stellen Entfernungsmessungen dar, oftmals mit umfassenden Lagebeschreibungen verbunden. In den gleichen Zusammenhang ist die detaillierte Beschreibung eines Kartenausschnitts (Merkmalsanalyse) zu stellen. In unterschiedlichem Maße steht mit Erkenntnisgewinnung das Erkennen von Beziehungen und gesetzmäßigen Zusammenhängen der auf der Karte dargestellten Elemente (Kartenanalyse) in Verbindung. Die synoptische Kartenauswertung ist eine vergleichende Analyse des Inhalts verschiedener Kartenklassen zwecks Erarbeitung synthetisierender Aussagen.
3. Kartenkenntnis-Gewinnung. Der Schüler erwirbt Kartenkenntnisse vor allem durch häufige Kartenbenutzung unter Anleitung. In erster Linie geht es hierbei um die Herausbildung von komplexen Kartenvorstellungen im Sinne des Einprägens von "Kartenbildern" unterschiedlicher Kartentypen. Hinzu kommt noch die maßstäbliche und inhaltliche Transponierung von Kartenvorstellungen als gedankliche Übertragung. Im Prinzip handelt es sich dabei um die Ausführung eines gedanklichen Kartenvergleichs.
4. Kartographisches Zeichnen. Es festigt nicht nur die Fähigkeiten des Kartenlesens und Kartenauswertens sowie die Gewinnung von Kartenvorstellungen schlechthin, sondern kann auch die Einführung in das Lesen und Auswerten bestimmter Kartenklassen fördern.
Ein vollständiges, sicheres und stets anwendungsbereites Kartenverständnis ist nur durch gründliche Kartenkenntnis und Übung im kartographischen Zeichnen in einer erweiterten Phase zu erreichen.
Als notwendige Ergänzung dieser traditionellen Klassifikation des Kartenverständnisses sind neue Unterrichtsziele im Zusammenhang mit der Nutzung digitaler kartographischer Medien, z. B. im Internet oder im Rahmen des CBT zu formulieren. Sie erweitern das Kartenverständnis um die Fähigkeit, digitale kartographische Medien effektiv zu nutzen sowie eine kritische Beurteilung dieser Medien vornehmen zu können.
FHN
Literatur: BREETZ, E. (1972): Betrachtungen zur systematischen Entwicklung des Kartenverständnisses im Geographieunterricht. In: Zeitschr. f. d. Geographieunterricht, Berlin, 24. Jg., 251-260, 340-350.
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