Lexikon der Kartographie und Geomatik: Kartographie
Kartographie
Jürgen Bollmann, Trier
Die Wissenschaft und Technik von der graphischen, kommunikativen, visuell-gedanklichen und technologischen Verarbeitung georäumlicher Informationen vor allem auf der Grundlage von Karten, E cartography.
Die wissenschaftliche und technologische Erkenntnisgewinnung in der Kartographie ist 1. auf den Zusammenhang zwischen aus der georäumlichen Realität abgeleiteten Datenstrukturen (Geodaten) und den Bedingungen und Eigenschaften kartographischer Abbildungen ausgerichtet, 2. auf den Zusammenhang der mit diesen Abbildungen verbundenen kartographischen Repräsentation von kartographischen Informationen und kartographischem Wissen und deren entsprechenden mentalen Repräsentation und Verarbeitung durch den Kartennutzer sowie 3. auf den Zusammenhang zwischen im Rahmen von Kommunikationsprozessen (kartographische Kommunikation) eingesetzten und angebotenen Präsentationsformen (kartographische Präsentation) und deren Wirkung für die Lösung raumbezogener Probleme bzw. für die Unterstützung von Handlungen und Tätigkeiten im Rahmen kartographischer Handlungsfelder. Erkenntnisse der kartographischen Technik beziehen sich dabei auf Modelle, Methoden und Verfahren zur Konzeption, Herstellung und Anwendung kartographischer Medien, heute vor allem im Rahmen digitaler und elektronischer Systeme.
Entsprechend diesen Aufgaben arbeitet die Kartographie mit Hilfe von Theorien, Methoden und Modellbildungen, die häufig unmittelbar in anwendungsorientierte Regeln oder technische Verfahren überführt werden.
Die Kartographie gliedert sich in die Teilgebiete wissenschaftstheoretische Grundlagen der Kartographie, Allgemeine Kartographie, Angewandte Kartographie und Regionale Kartographie. Andere Gliederungen der Kartographie resultieren zum großen Teil aus ihrer historischen Entwicklung (Kartographiegeschichte) und ihren spezifischen fachlichen Bindungen. So wird das Gesamtgebiet der Kartographie häufig auch in die Teilgebiete Theoretische Kartographie und Praktische Kartographie gegliedert. Daneben sind auch noch Gliederungen als Allgemeine Kartographie im Sinne einer Theoretischen Kartographie und als Spezielle Kartographie im Sinne einer Angewandten Kartographie üblich.
In der Vergangenheit gab es keinen adäquaten Begriff für das Gesamtgebiet der Kartographie. Die Kartenherstellung vollzog sich, wie z. B. in der griechischen Antike, im Rahmen der Kosmographie oder im 18. und 19. Jh. im Rahmen der Vermessung (Geodäsie, Landesvermessung) und Geographie. Im 15. - 17. Jh. etablierte sich die Kartographie aufgrund des enormen Bedarfs an Länder-, Welt- und Seekarten als relativ eigenständige Arbeitsfelder im militärischen, staatlichen und zivilen bzw. privaten Bereichen. Im 19. Jh., in Deutschland vor allem ab 1925, entwickelte sich die Kartographie zu einer Wissenschafts- und Technikdisziplin mit eigenständigen Lehr- und Forschungseinrichtungen an Universitäten und Hochschulen. Dies resultiert vor allem aus dem Bedarf an komplexen thematischen Karten, die u. a. in den Geowissenschaften, der raumbezogenen Planung und Verwaltung, dem Umweltschutz und dem Tourismus in großer Anzahl und Themenvielfalt genutzt werden. Neue Impulse kommen heute aus dem Einsatz von digitalen Karten und elektronischen Karten in Geoinformationssystemen, Auskunftssystemen und Navigationssystemen. Ursprünglich wissenschaftlich eng mit der Geodäsie und Vermessung sowie der Geographie und den Geowissenschaften verbunden, ist die Kartographie heute eine Fachdisziplin mit spezifischen Bereichen der theoretischen, sozial-empirischen und graphisch-technologischen Erkenntnisgewinnung und Verfahrensentwicklung.
In den letzten 30 Jahren hat sich die Kartographie im Zusammenhang mit der allgemeinen Formalisierung von Informations- und Kommunikationsprozessen, ausgehend von der Kybernetik, und Semiotik (kartographische Zeichentheorie), den Kommunikationswissenschaften und der Informations- und Kommunikationstechnologie, in fragestellungsorientierter und methodischer Hinsicht erheblich verändert. Traditionell stand die Karte als Erkenntnisobjekt im Vordergrund. Heute wird zusätzlich untersucht, mit welcher Funktion und in welcher Form Karten oder andere kartographische Medien als handlungsunterstützende Instrumente und dabei in multimedialer Umgebung am Bildschirm in spezifischen Anwendungsbereichen genutzt werden (Kartennutzung). Auf der Grundlage dieser Fragestellungen und Aufgaben ergibt sich die Gliederung der verschiedenen Teilgebiete der kartographischen Erkenntnisgewinnung.
Das Teilgebiet wissenschaftstheoretische Grundlagen der Kartographie(vgl. Abb.) befasst sich mit der wissenschaftlichen Qualität, Relevanz und Vernetzung kartographischer Theorien, Methoden und Techniken sowie deren Vermittlung und Erarbeitung in Lehre und Forschung. Erkenntnisse über die verschiedenen historischen Phasen der Kartographieentwicklung werden dabei im Bereich Kartographiegeschichte bzw. der Wissenschaftsgeschichte der Kartographie erarbeitet.
Im Teilgebiet Allgemeine Kartographie sind die Erkenntnisbereiche der kartographischen Abbildung und Darstellung, der kartographischen Informationsverarbeitung und der kartographischen Kommunikation zusammengefasst. Im Bereich Abbildung und kartographische Darstellung existieren umfassende theoretische, z. T. empirisch abgesicherte, graphisch-konzeptuelle und technologische Erkenntnisse. Diese bilden vor allem im Zusammenhang mit der Integration von DV-gestützten Methoden und Verfahren (kartographische Informatik, digitale Kartographie) sowie der Berücksichtung von situativen Dispositionen und Leistungsmöglichkeiten des Kartennutzers (empirische Kartographie) die Grundlagen für umfassende kartographische Modellbildungen.
Das Teilgebiet Angewandte Kartographie gliedert sich zum einen aufgrund organisatorischer und den Karteninhalt betreffenden Kriterien in die Bereiche Topographische Kartographie und Thematische Kartographie und zum anderen in institutionell relativ unabhängige Anwendungsbereiche, wie etwa die Planungskartographie, Seekartographie und Schulkartographie. Oder es gibt Bereiche, in denen Erkenntnisse aus der Allgemeinen Kartographie für spezifische Kartenanwendungen wie etwa für Umweltkarten, Touristenkarten oder Pressekarten spezifiziert und konkretisiert werden. Die Erkenntnisgewinnung in der Angewandten Kartographie richtet sich aufgrund der Ausweitung von kartographischen Handlungsfeldern, wie etwa im Rahmen der Nutzung von Informations-, Auskunfts-, Navigations- oder Führungs- und Leitsystemen, zunehmend auf anwendungsspezifische Erkenntnisse über Kommunikationsziele, Nutzerbedürfnisse, informationsverarbeitende Prozesse und technische Rahmenbedingungen, unter denen Karten eingesetzt werden.
Das Teilgebiet Regionale Kartographie befasst sich mit der Entwicklung und dem Status kartographischer Erkenntnisse, Tätigkeiten und Produkte sowie der Nutzung von Karten und anderen kartographischen Medien in abgegrenzten Staaten bzw. in vergleichbaren Räumen und Gebieten. Eine regionale Unterscheidung ergibt sich daraus, dass die Kartographie in den verschiedenen Regionen aufgrund spezifischer kultureller, nationaler und regionaler Anforderungen und Bedingungen z. T. stark von einander abweichende Strukturen aufweist.
In Form einer anhaltenden fachlichen Diskussion wird in der Kartographie das Verhältnis zwischen theoretischer und empirischer Erkenntnisgewinnung im Rahmen der Allgemeinen Kartographie und der praktischen Umsetzung von Erkenntnissen in den verschiedenen Anwendungsbereichen der Kartographie thematisiert. Eine Möglichkeit zur Verbindung und Integration von Theorie und Praxis ergibt sich dabei durch eine im Rahmen der praktischen Anwendung permanent durchzuführenden systematischen Evaluation theoretisch entwickelter und ggf. empirisch überprüfter Modelle, Verfahren und Systeme. Voraussetzung einer solchen Evaluierung ist das vorherige Ausrichten von kartographischen Erkenntnissen auf die Bedingungen und Ziel der modernen Mediennutzung, wie dies beispielsweise in der digitalen Kartographie bzw. der kartographischen Informatik zunehmend angestrebt wird bzw. zum Teil schon wissenschaftliche Praxis ist.
Literatur: HAKE, G. & GRÜNREICH, D. (1994): Kartographie. Berlin, London, New York.
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