Lexikon der Kartographie und Geomatik: kartographische Generalisierung
kartographische Generalisierung
Jürgen Bollmann, Trier
Die kartographische Generalisierung, E cartographic generalization, umfasst Theorien, Methoden und Verfahren zur Reduzierung und Verallgemeinerung von kartographischen Informationen. Im Prozess der Generalisierung werden dabei aus einer Informationsmenge, die aus der Realität abgeleitet wird oder die in Form von Geodaten bzw. als Kartenzeichen vorliegt, bestimmte Teilmengen ausgewählt, zur Bildung von übergeordneten Einheiten zusammengefasst oder durch allgemeinere bzw. abstraktere Informationen ersetzt. Die Generalisierung verfolgt dabei das Ziel, die transformierten Informationen maßstabsbedingt einer größenreduzierten Kartenfläche anzupassen oder sie vereinfacht bzw. fragestellungsorientiert in digitaler oder graphischer Form z. B. im Rahmen von Geoinformationssystemen zur Verfügung zu stellen.
Die kartographische Generalisierung ist vor allem im Zusammenhang mit den Maßstabsreihen der topographischen Landeskartenwerke systematisch untersucht und entwickelt worden. Dabei wurden aus Karten mit relativ großem Maßstab (Ausgangsmaßstab) Abbildungsstrukturen für Karten mit kleinerem Maßstab (Folgemaßstab) abgeleitet. Zur Zeit wird die kartographische Generalisierung vor allem im Zusammenhang mit der Verarbeitung von digitalen Karten und graphischen Karten in Informationssystemen bzw. am Bildschirm untersucht und weiterentwickelt (rechnergestützte Generalisierung, Modellgeneralisierung).
1. Ziele der Generalisierung Der Prozess der Generalisierung stützt sich im Wesentlichen auf verschiedene Formen der gedanklichen Abstraktionen, wie sie in Sprach-, Kodierungs- oder generell in Erkenntnisprozessen eine Rolle spielen und mit deren Hilfe aus wahrgenommenen situations- oder objektbezogenen Wissensstrukturen allgemeine Begriffsstrukturen abgeleitet werden (kartographische Abstraktion). Auf vier grundlegende Ziele sind Generalisierungsmaßnahmen ausgerichtet.
Erstes und zentrales Ziel ist die Angleichung von Informations- und Graphikstrukturen an die verkleinerte Dimension von Objektgrundrissen in der Karte. Aufgrund visuell-kognitiver und technischer Gründe können bei kleiner werdendem Maßstab abgebildete Objekte im Verhältnis zu ihrer realen Größe nur bis zu einer bestimmten minimalen Zeichengröße (Minimaldimension von Kartenzeichen) verkleinert werden. Sie müssen daher bei Erreichung dieser in engen Grenzen festlegbaren Minimalgrößen in Relation zum Abbildungsmaßstab relativ vergrößert werden. Die daraus entstehende Ungleichheit von geometrischen und substantiellen Objektrelationen wird dann durch Generalisierungsmaßnahmen ausgeglichen oder zumindest maßstabsbezogen vergleichbar gemacht.
Zweites Generalisierungsziel ist die Ausrichtung von Informationsstrukturen auf bestimmte Ziele der visuellen Kartenpräsentation (kartographische Präsentation). Betroffen von dieser Ausrichtung ist u. a. die graphische Dimension von Kartenzeichen und -mustern. So werden zur raschen Unterrichtung oder zur Vermittlung von einfachen Sachverhalten Zeichen und Zeichenmuster z. B. relativ vergröbert, d. h. grundrisslich vergrößert dargestellt, was gegenüber "feineren" Zeichenstrukturen (Feinheitsgrad) weitergehende Generalisierungsmaßnahmen erforderlich macht.
Drittes Generalisierungsziel ist die Ausrichtung von Informationen auf ein bestimmtes Aggregationsniveau oder einen vorgegebenen Komplexitätsgrad von abzubildendem Wissen. So werden beispielsweise bei der Generalisierung von Bodenkarten flächenbezogene Aggregationsniveaus und bei Planungskarten den Planungsebenen zugeordnete Objektstrukturen unabhängig vom Kartenmaßstab erhalten.
Das vierte Generalisierungsziel verlangt die Angleichung von Informationen und Kartenzeichen an ein fragestellungs- und themenspezifisches Abstraktionsniveau. Dabei kann eine Ungleichheit in der Repräsentation von Informationen angestrebt werden, in dem z. B. abstraktere thematische Sachverhalte von realen Objekten und Sachverhalten in Form einer Basiskarte unterschieden werden (Abb.).
2. Bereiche der Generalisierung
Kartographische Generalisierung bestimmt die verschiedenen Bereiche der kartographischen Informationsverarbeitung von der Datenerfassung im Gelände über die Kartenherstellung und -nutzung bis zur gedanklichen Verarbeitung von aus Karten abgeleitetem Wissen. So werden im Rahmen der Erfassungsgeneralisierung, als erstem Bereich, bei der topographischen Aufnahme oder bei der fachwissenschaftlichen Kartierung und Messung vom Angebot der georäumlichen Realität nur Teilmengen von Objekten und von denen nur ausgewählte Merkmale und grundrissbezogene Stützpunkte bzw. Teilaspekte erfasst. Im zweiten Bereich, der Datengeneralisierung, werden z. B. Rohdaten für bestimmte Aufgabenfelder statistisch komprimiert und mit allgemeinen Bedeutungen belegt. Bei der Generalisierung von kartographischen Modelldaten, wie z. B. von ATKIS-Daten des DLM25, werden für die Fachdatenintegration fachlich relevante Objektklassen ausgewählt oder zur Abbildung in kleineren Maßstäben u. a. klassenlogische Zusammenfassungen durchgeführt (Modellgeneralisierung). Der dritte Bereich, die eigentliche Kartengeneralisierung, umfasst die Reduzierung und Vereinfachung graphischer Elemente in Karten in Verbindung mit den repräsentierten Daten und Informationen. Im Vordergrund stehen die Beziehungen zwischen georäumlichen Grundrissformen und -relationen sowie die zugeordneten Graphikmuster, die bei kleiner werdendem Maßstab überproportional vergrößert werden müssen. Als vierter Bereich wirken die visuell-kognitiven Prozesse der Informationsverarbeitung quasi als gedankliche Wissens-Generalisierung durch den Kartennutzer. Sowohl die visuelle Informationsentnahme aus Karten als auch die kognitive Weiterverarbeitung führt zu einschneidenden Selektionen und begrifflichen Transformationen. So werden die relativ genauen Grundrissrelationen in der Karte u. a. aufgrund eingeschränkter Wahrnehmungs- und Gedächtnismöglichkeiten auf einfache euklidische oder fachliche Merkmale reduziert (vgl. kognitive Karte) (Tab.).
3. Methoden und Verfahren der Generalisierung
Die konkreten Methoden und Verfahren der Generalisierung (Generalisierungsmaßnahmen) basieren im Wesentlichen auf allgemeinen graphischen oder klassenlogischen Vorgängen, wie Vereinfachung, Vergrößerung, Zusammenfassung, Auswahl, Klassifikation, Bewertung und Verdrängung. Außerdem werden Merkmale der Visualisierung als Verbindung zwischen Information und Zeichen sowie der Induktion als Erkennen von ganzheitlichen Strukturen berücksichtigt. Die Methoden und Verfahren sind überwiegend auf die verschiedenen Grundriss- und Inhaltskategorien von Karten ausgerichtet.
So stehen bei der geometrischen Generalisierung grundrissbezogene Vereinfachungen, Zusammenfassungen und Verdrängungen im Vordergrund. Verfahren zur Vereinfachung bzw. Glättung von Linien reichen von systematischen Stützpunktselektionen, z. B. bei Fluss- oder Straßennetzen, über die Berechnung von Distanzen und Winkeln zwischen Nachbarsegmenten bis zu statistischen Verfahren, nach denen der Informationsgehalt von Stützpunkten berechnet und über deren Elimination entschieden wird (Liniengeneralisierung). Bei der Zusammenfassung und Vereinfachung von Flächen, wie z. B. Landnutzungsflächen, muss neben der Umrisslinie die Gesamtform betrachtet werden (Flächengeneralisierung). Dazu werden Rastermethoden eingesetzt, mit deren Hilfe z. B. Kleinstflächen oder Korridore durch Verdickungen und Verdünnungen systematisch bearbeitet werden.
Geländeoberflächen in Form von Höhenlinien oder auf der Basis von digitalen Geländemodellen werden mit Hilfe von Glättungsalgorithmen unter Berücksichtigung von benachbarten Linien vereinfacht (Reliefgeneralisierung). Oder es kommen integrierte Filterprozesse und heuristische Verfahren zur Anwendung, bei denen Kammlinien und Tallinien vereinfacht und daraus neue Oberflächen abgeleitet werden.
Ein weiterer Bereich sind die Methoden und Verfahren der Siedlungsgeneralisierung. Diese umfassen vor allem die Vereinfachung von Hausgrundrissen, dann die Zusammenfassung von Einzelhäusern. Für die geometrische Generalisierung hat sich das Problem der Verdrängung von Objekten als Folge der graphischen Verbreiterung von Straßen als besonders komplex herausgestellt. Dazu sind Spezialverfahren entwickelt worden, die allerdings in der praktischen Anwendung noch nicht genutzt werden.
Bei der Generalisierung von inhaltlich-substantiellen Informationen, z. B. in thematischen Karten, wird zum einen auf die Methoden und Verfahren der geometrischen Generalisierung zurückgegriffen und zum anderen werden Aggregationsmethoden bzw. Verfahren der Begriffsgeneralisierung als inhaltliche Generalisierung (semantische Generalisierung) angewendet. So wird die Anzahl von Klassen reduziert. Sie kann verbunden werden mit Objektreduzierungen und -vereinfachungen, etwa im Rahmen der Optimierung von Diagrammplatzierungen.
4. Forschung und Entwicklung
Insgesamt zielt die Forschung und Entwicklung in der Generalisierung auf den Einsatz von integrierten Verfahren und Systemen. Mit deren Hilfe sollen verschiedene Kartenelemente im Zusammenhang generalisiert werden. Dazu existieren Ablaufschemata und System-Prototypen, in denen einzelne Phasen der Generalisierung, wie etwa zur Analyse der Ausgangsinformationen, der Aufbau topologischer Strukturen, die Festlegung von Maßnahmenprioritäten oder die Auswahl von Prozeduren festgelegt werden. Ein zusätzliches Problem der geometrischen Generalisierung ist dabei, neben den geometrischen Merkmalen die semantisch-begrifflichen Bedeutungen von Grundrissen zu berücksichtigen.
Die kartographische Generalisierung ist ein zentrales Forschungs- und Anwendungsgebiet der Kartographie. Die notwendige Weiterentwicklung von Methoden und Verfahren muss in methodologischer und technologischer Hinsicht betrachtet werden. Ursprünglich bestand der Vorgang der praktischen Generalisierung darin, dass im Kartenherstellungsprozess von einem Kartenbearbeiter auf der Basis individueller Fähigkeiten und Fertigkeiten konzeptionell vorbereitete Generalisierungsmaßnahmen unmittelbar durchgeführt werden. Früher manuell, heute am Bildschirm mit Hilfe von DTP- oder CAD-Systemen, wird z. B. als ein typischer Generalisierungsvorgang die maßstabsbedingte Überlagerung von Kartenzeichen interaktiv durch Verdrängungsoperationen nivelliert (interaktive Generalisierung).
Parallel zur praktischen Generalisierung haben sich zuerst Generalisierungsgrundsätze und praktische Regeln und danach ein eigener Methoden- und Verfahrensbereich entwickelt, so in den 1960er Jahren z. B. die Ansätze von F. Töpfer zum regelhaften Generalisieren (Wurzelgesetz). Aufgrund der Komplexität der zu lösenden Aufgaben wird diskutiert, in wieweit es überhaupt möglich ist, vollautomatische Generalisierungsprozeduren zu entwickeln. Mit dieser Frage hängen mehrere grundsätzliche Probleme der Funktion, Wirkung und des Modellcharakters von Karten zusammen. So muss in der Zukunft davon ausgegangen werden, dass die Herstellung von Karten zum größten Teil von regelbasierten Systemen vollautomatisch übernommen wird, was bei fehlenden automatischen Generalisierungsverfahren dazu führt, dass Karten mit Hilfe interaktiver Eingriffe nachbearbeitet werden müssten. Ein objektiver Modellcharakter von Karten ist dabei allerdings nur dann gegeben (Kartenmodell), wenn der individuelle und prinzipiell nicht nachvollziehbare Eingriff durch einen Kartenbearbeiter so gering wie möglich gehalten wird. Insofern verbirgt sich hinter den Bemühungen zur vollautomatischen Generalisierung ein grundsätzliches methodologisches Problem der Kartographie, dass sowohl aus wissenschaftstheoretischer Sicht als auch aus Sicht der Kartenanwendung diskutiert und gelöst werden muss.
Literatur: [1] Schweizer Gesellschaft für Kartographie (Hrsg.) (1990): Kartographisches Generalisieren. Kartographische Publikationsreihe Nr. 10, Zürich. [2] MULLER, J.C., LAGRANGE, I.P. & WEIBEL, R. (1995): GIS and Generalization – Methodology and Practice. GISDATA, Vol. 1, Taylor & Francis, London. [3] GRÜNREICH, D. & RAPPE, B. (1997): Wissensakquisition für die kartographische Generalisierung. In: Kartographische Schriften, S. 112-120, Bonn. [4] BOLLMANN, J. (1999): Kartographische Generalisierung und gedankliche Abstraktion in der Bildschirmkommunikation. In: Lechthaler, M. & Gartner, G. (Hrsg.): FS für Fritz Kelnhofer. (= Geowiss. Mitt. der TU Wien, Heft 52), Wien, 13-22.
kartographische Generalisierung (Tab.):kartographische Generalisierung (Tab.): Bereiche der Generalisierung.
kartographische Generalisierung:kartographische Generalisierung: Ziele der Generalisierung.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.