Lexikon der Kartographie und Geomatik: Niederländische Kartographie
Niederländische Kartographie, bis 1581 Teil des Römisch-Deutschen Reiches wurde das eigenständige kartographische Schaffen durch die Deltalage und die Notwendigkeit der Entwässerung früh staatlich gefördert. Bereits Anfang des 17. Jhs. erfolgte eine systematische großmaßstäbige Kartierung der Polder und im 18. Jh. der Flussläufe 1 : 10 000; ab 1860 eine Kartierung des Wasserhaushalts des Königreichs Holland 1 : 50 000. Die Küstenlage hat zur intensiven Handelsschifffahrt und zu umfänglicher Seekartenproduktion geführt. Ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung der westeuropäischen Kartographie war die frühe Vermarktung kartographischer Erzeugnisse. Atlanten, Globen, Wand- und Seekarten blieben nicht nur Hilfsmittel für Seefahrer, Wissenschaftler und Fachleute, sondern wurden primär zum Interessengegenstand für Wohlhabende. Im 17. Jh. hatten niederländische Firmen fast ein Weltmonopol für Kartenproduktion und -vertrieb. Das niederländische Kolonialreich in Ost- und Westindien führte außerdem zu großen topographischen Kartierungsaktivitäten in den Tropen.
Das dichtbesiedelte, wohlhabende Land erforderte ab dem 17. Jh. eine partielle großmaßstäbige katasterartige Kartierung. Dieselben Umstände haben im 20. Jh. zur schnellen Vervollständigung von thematischen und topographischen digitalen Informationssystemen geführt.
Entwicklung der kartographischen Darstellung
Die topographische Kartierung der Niederlande fängt an mit Jacob van Deventer (1505-1575), der für die Habsburger 1553-55 die verschiedenen Landesteile der Niederlande kartierte und im Maßstab 1 : 180 000 darstellte. Seine Provinzkarten basierten auf einer von Gemma Frisius ausgearbeiteten Triangulation. Die erste moderne Gradmessung wurde 1615/16 von Willebrord Snellius ausgeführt; wegen mangelnder Mittel seitens des föderativen Staates hat man diesen frühen technischen Vorsprung nicht halten können.
Die topographische Kartierung im 17. Jh. galt vorrangig der großmaßstäbigen Kartierung der Polder im westlichen Landesteil. Die Polderkarten (Waterschapskaarten) im Maßstab von ca. 1 : 20 000 bis 1 : 30 000 dienten zur Regulierung des Wasserhaushalts durch die zuständigen Aufsichtsbehörden. Im 18. Jh. folgte eine großmaßstäbige, geheimgehaltene militärische Kartierung der östlichen und südlichen Gebiete.
Im 17. und 18. Jh. gab es wegen der weitreichenden Eigenständigkeit der einzelnen Provinzen keine einheitlichen Vermessungen. Die Aufnahmen erfolgten in unterschiedlicher Art und in verschiedenen Maßstäben. Verbreitung erlangten die daraus abgeleiteten mehrteiligen und reich verzierten Wandkarten. Diese unsystematischen Aufnahmen aus der Zeit vor 1800 sind hauptsächlich in Kartenbüchern überliefert. Ab 1800 erfolgte eine von Frankreich her in Gang gesetzte Katasterkartierung, die unter niederländischer Leitung 1830 fertiggestellt wurde. Sie war dann ab 1850 die Basis für die systematische topographische Kartierung 1 : 50 000, die 1864 beendet wurde. Von 1830 bis 1860 erfolgte eine offizielle Aufnahme der Flüsse unter Leitung von B.H. Goudriaan. Hergestellt wurden sechs Flusskartenwerke mit zusammen ca. 100 Blättern in Lithographie.
Landesvermessung und ihre Kartenwerke
Für die 1795 ausgerufene "Bataafse Republiek" war von 1801 bis 1811 unter C.R.Th. van Krayenhoff (1758-1840) eine systematische topographische Kartierung 1 : 115 200 erfolgt (publiziert in 8 Blättern. 1809-23), für die wieder eine Basismessung und Triangulation ausgeführt wurde. Die erfolgte Zentralisierung des Staatswesens wurde im nachnapoleonischen Königreich der Niederlande, von dem sich Belgien 1830 abtrennte, beibehalten. Im Jahre 1814 wurde eine "Topographische Inrichting" gegründet, die dann zusammen mit der Topographischen Aufklärungsbrigade der Armee für die topographische Kartierung verantwortlich gemacht wurde. Nach 1845 bis 1859 ausgeführten Aufnahmen 1 : 25 000 wurde das Kartenwerk 1 : 50 000 in 62 Blättern lithographisch herausgegeben; ein abgeleitetes Kartenwerk 1 : 200 000 folgte 1857-67. Von 1877 bis 1890 wurden Neuaufnahmen 1 : 25 000 als "Chromo-topographische Kaart" in 776 Blättern. fertiggestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Kartenserien 1 : 10 000 und 1 : 100 000 hinzugefügt. 1885 bis 1904 wurde eine erneute Basismessung ausgeführt. Der Netzentwurf der niederländischen topographischen Kartenwerke ist eine schiefständige stereographische Projektion, zentralisiert auf Amersfoort mit Schnittzirkel 122,4 km von Amersfoort.
Beitrag zur Weltkartographie
Mit Entdeckungsreisen haben die Niederländer zur Entschleierung des Erdbildes, insbesondere in Australien und Ozeanien beigetragen. Außer der Nord-, West- und Südküste Australiens und der Westküste von Neuseeland wurden Inseln im Pazifik, von der Osterinsel bis zu den Kurilen (Vriesstraße; jetzt proliv Friza), entdeckt und in Nordeuropa Spitzbergen aufgenommen. Wichtige Entdecker sind W.C. Schouten (1580-1625) und J. le Maire (1585-1616; Kap Horn), Abel Tasman (1603-1659) und W. Barentsz (1550-1597). Bedeutender ist der Beitrag der Niederländer an Gradmessungen und Triangulation sowie an der Kommerzialisierung kartographischer Produkte. Mindestens 150 Jahre waren die Niederlande führend in der Herstellung von Handatlanten und Seeatlanten und Serien von Wandkarten der Erdteile, europäischer Staaten und niederländischer Provinzen, aus denen vereinzelt Riesenatlanten zusammengestellt wurden (Atlas des Großen Kurfürsten).
Kartographische Betriebe und Verlage
Um 1580 verlagerte sich das Zentrum der Karten- und Atlantenproduktion von Antwerpen nach Amsterdam. Die wissenschaftliche Kartographie setzte hier mit P. Plancius (1552-1622) ein. Er entwarf eine große Weltkarte, die C. Claesz. 1592 in 18 Blättern (233 × 146 cm) publizierte; es folgten zahlreiche mehrblättrige Wandkarten. Die Erzeugnisse von A. Ortelius und G. Mercator wurden von ihren Amsterdamer Nachfolgern weitergeführt, namentlich von den kartographischen Verlagshäusern Hondius-Janssonius und Blaeu. Jodocus Hondius vervollständigte Mercators Atlas. Joan Blaeu verwendete für seinen Atlas wieder den Titel Theatrum orbis terrarum, den Ortelius bereits für den ersten Atlas von 1570 gewählt hatte. Ein Teil der Atlasausgaben wurde in Lateinisch, Deutsch, Englisch, Spanisch und Französisch veröffentlicht. Die Konkurrenz zwischen den beiden Firmen führte zur Ausgabe eines 12bändigen Prunkatlas. Daneben wurden auch Taschenatlanten und Globen hergestellt.
Nach der ersten Ausgabe des Seeatlas "Spieghel der Zeevaerdt" (Leiden 1584) von Lucas Jansz. Waghenaer in Enkhuizen verlagerte sich diese Branche auch nach Amsterdam, wo Willem Blaeu (z. B. "Licht der Zee-vaert"; Amsterdam 1608-30) und Johannes Janssonius solche aus Seekarten bestehenden Ausgaben verlegten (z. B. "Thresoor der Zeevaerdt", Amsterdam 1592). Von 1675 bis 1885 hielt die Firma Van Keulen das Monopol im Seekarten- und Seeatlantenverkauf. Ab 1586 wurden auch Globen hergestellt.
Am Ende des 17. Jhs. waren die wichtigsten Verleger von Wandkarten und Atlaskarten in Amsterdam die Firmen Visscher, Danckerts, Allard, de Wit und im 18. Jh. die Verlage Covens und Mortier sowie Ottens.
Moderne Kartographie
Das Liegenschaftskataster hält die Katasterkarte 1 : 10 000 aktuell mit der Möglichkeit, online mit dieser Datei verbunden zu sein. Im Jahre 2000 war die großmaßstäbige digitale Basiskarte der Niederlande (GBKN) im Maßstab 1 : 1 000 fertiggestellt, dezentral betreut vom Kataster, Gemeinden und Stadtwerken der Provinzen. Vom Topografische Dienst zu Emmen wird eine Kerndatei 1 : 10 000 aktualisiert, von der abgeleitete Kartenserien 1 : 50 000 und 1 : 250 000 angefertigt werden. Die Kartenserie 1 : 25 000 wird durch Verkleinerung aus der Datei 1 : 10 000 abgeleitet. Die Produkte sind analog oder digital, in Raster- oder Vektorform erhältlich. Die topographischen Karten der Niederlande sind im Vergleich zur deutschen Graphik durch stärkere Generalisierung und breitere Verwendung von Farbflächen anstatt z. B. von Haussignaturen gekennzeichnet. Der Umfang der Kartenwerke beträgt 666 Blätter 1 : 10 000, 303 Blätter 1 : 25 000, 101 Blätter 1 : 50 000, 1 : 100 000 (nur für das Militär) und 2 Blätter 1 : 250 000; der Herstellungszeitraum umfasst etwa 1,5 Jahre, der Aktualisierungszyklus beträgt vier Jahre.
Im Zeitabschnitt 1990 bis 2000 hat die amtliche thematische Kartographie den Wechsel von der Herstellung analoger Karten auf die Herstellung und Aktualisierung von Dateien vollzogen. Anstelle der das ganze Land abdeckenden Kartenserien 1 : 50 000 der Bodenkarte, geologischen Karte, geomorphologischen Karte und Wasserhaushaltskarte und der Flusskartenserie 1 : 5 000 gibt es jetzt Dateien, aus denen man den gewünschten Ausschnitt und die Schichtenkombinationen ausdrucken kann. Auch der Hydrographische Dienst geht in gleicher Weise vor, wobei Blätter von der Nordsee und der Karibik für die Internationale Seekarte im ECDIS-System angefertigt werden.
In der Verlagskartographie hat die Wolters-Noordhoff Atlas Productions in Groningen fast ein Monopol in der Herstellung von Schul- und Handatlanten, z. B. der Bosatlas (vergleichbar dem Diercke Weltatlas in der BRD). Die Produkte liegen jetzt auch digital vor. Vom ANWB (vergleichbar dem ADAC in der BRD) ging eine Initiative aus, die zu Autonavigationssystemen geführt hat; Firmen sind hier Teleatlas (erst Den Bosch, jetzt Gent) und Navigation Technologies (NacTech) in Best. Für die Datenverdichtung ist AND in Rotterdam zuständig und für adressengekoppelte, für kartographische Auswertung geeignete Daten ANDES in Eindhoven. Der wichtigste Stadtkartenproduzent ist die Firme Falkplan-Suurland in Eindhoven.
Vor dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Nationalatlas von Indonesien hergestellte (Atlas van Tropisch Nederland, 1938), später folgten zwei Ausgaben des Atlas van Nederland, dem Nationalatlas der Niederlande (1963-77 und 1984-90), hergestellt von der Stiftung Wissenschaftlicher Atlas der Niederlande und des Staatsverlags (Staatsuitgeverij SDU).
Eine Kartographieausbildung mit Hochschulniveau gibt es an der Hogeschool Utrecht; eine Universitätsausbildung im Rahmen des Geographiestudiums erfolgt in Utrecht; sie hat auch eine wichtige historisch-kartographische Komponente. Das International Institute for Aerospace Survey and Earth Sciences (ITC) zu Enschede bietet englischsprachige Ausbildungen zu Masters in Geomatics an. Kartographische Forschung wird an der Universität Utrecht und am ITC betrieben. Es ist insgesamt eine gute kartographische Infrastruktur vorhanden, gefördert von der Niederländischen Vereinigung für Kartographie (NVK), mit einer eigenen Zeitschrift (Kartografisch Tijdschrift) und website www.kartografie.nl. Hochentwickelt ist die Erforschung und Dokumentation der Geschichte der niederländischen Kartographie; von vielen Einzelkarten und Kartenwerken erfolgten Faksimileausgaben. Die wichtigsten Kartensammlungen in den Niederlanden sind die der Universitätsbibliothek zu Amsterdam, der Geographischen Fakultät der Universität Utrecht, der Freien Universität zu Amsterdam, der Reichsuniversität zu Leiden, der Königlichen Bibliothek zu Den Haag, des Allgemeinen Reichsarchivs zu Den Haag und des Topographischen Dienstes zu Emmen.
FOG
Literatur: [1] BRINK, P. van den (1995): Almanak verzamelingen topografisch beeldmateriaal. Den Haag. [2] KOEMAN, C. (1983): Geschiedenis van de kartografie van Nederland. Alphen aan de Rijn. [3] KOEMAN, C. (1967-1971): Atlantes Neerlandici: bibliography of terrestrial, matritime and celestial atlases and pilot books, published in the Netherlands up to 1880. Amsterdam. 5 Vols. [4] KROGT, P.C.J. (1995): Commercial cartography in the Netherlands. In: La cartografia dels Països Baixios, 4rt Cicle de conferencies sobre historia de la cartografia, 71-140. Barcelona.
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