Lexikon der Mathematik: analytische Zahlentheorie
die Behandlung zahlentheoretischer Fragestellungen mit Methoden der reellen und komplexen Analysis.
Das erste Beispiel der Verbindung zwischen zahlentheoretischen Problemen und analytischen Funktionen sind die von Euler definierten erzeugenden Funktionen (additive Zahlentheorie). Zur Illustration der Methode der erzeugenden Funktionen betrachten wir das Münzproblem: Auf wie viele Arten kann man einen Betrag von 12 Euro mit Münzen der Werte 1 Euro, 2 Euro und 5 Euro auszahlen? Folgende Potenzreihenentwicklungen sind leicht herleitbar:
Das Produkt dieser drei Funktionen von 𝓏 ist ebenfalls in Potenzreihe entwickelbar:
wobei der Koeffizient C(n) gerade die Anzahl der Möglichkeiten angibt, die Zahl n als Summe der Zahlen 1, 2, 5 darzustellen, wobei jede dieser Zahlen beliebig oft vorkommen darf. Man erhält mit ein wenig Rechnung C(12) = 13. Mit Hilfe der Partialbruchzerlegung der linken Seite von (1) kann man im Prinzip mit einigem Rechenaufwand eine explizite Formel für C(n) herleiten.
Eine andere natürliche Frage ist die nach dem asymptotischen Verhalten der Koeffizienten C(n) für n → ∞; diese läßt sich mit ein paar Grenzwertbetrachtungen lösen: Für n → ∞ ist C(n) asymptotisch gleich
Wie in diesem Beispiel lassen sich analytische Methoden häufig erfolgreich auf Probleme der additiven Zahlentheorie anwenden. Dank der bahnbrechenden Arbeit von Riemann „Ueber die Anzahl der Primzahlen unterhalb einer gegebenen Größe“, die 1859 publiziert wurde, kann man mit analytischen Methoden auch Informationen über Fragen der Primzahlverteilung gewinnen. Einen Schlüssel hierzu bietet die Riemannsche ζ -Funktion, ein wichtiges Resultat ist der Primzahlsatz, der besagt, daß die Anzahl der Primzahlen ≤ x für x → ∞ asymptotisch gleich x/log x ist. Weitergehende Konsequenzen für die Verteilung der Primzahlen (und etliche andere Probleme) hätte ein Beweis der Riemannschen Vermutung, die eine der großen Herausforderungen der analytischen Zahlentheorie darstellt. Das Werk [2] ist ein von Riemanns Arbeit ausgehendes Buch über die Riemannsche ζ-Funktion, das die historische Entwicklung berücksichtigt.
Die von Riemann initiierten funktionentheoretischen Methoden zur Behandlung von Fragen über die Primzahlverteilung sind vielfach verfeinert worden, z. B. durch die Untersuchung Dirichletscher L-Reihen und deren Verallgemeinerungen.
Zur analytischen Zahlentheorie gehören auch noch die sog. Siebmethoden, die ihren Urahn im Sieb des Eratostenes haben (Eratostenes, Sieb des). Damit kann man z. B. Fragen über die Verteilung quadratischer Nichtreste modulo Primzahlen behandeln, oder Untersuchungen über die Verteilung von gewissen Folgen in Restklassen durchführen.
Ein weiteres interessantes Problem der analytischen Zahlentheorie ist die noch offene Frage, ob es unendlich viele Primzahlzwillinge, d. h. Paare von Primzahlen p, q mit p − q = 2, gibt; Teilresultate hierzu wurden mit analytischen Methoden gewonnen.
Die ebenfalls noch unbewiesene Goldbachsche Vermutung, nämlich daß jede gerade Zahl > 3 eine Summe von zwei Primzahlen sei, rechnet man ebenfalls zur analytischen Zahlentheorie, da auch hier mit Methoden der Analysis Teilresultate erzielt wurden: Vinogradow hat 1937 gezeigt, daß jede genügend große ungerade Zahl als Summe von drei Primzahlen darstellbar ist.
[1] Brüdern, J.: Einführung in die analytische Zahlentheorie. Springer Berlin, 1995.
[2] Edwards, H.M.: Riemann’s Zeta Function. Academic Press New York, 1974.
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