Lexikon der Mathematik: Descartes, René
Cartesius, Renatus, Philosoph, Mathematiker, geb. 31.3.1596 La Haye bei Tours, gest. 11.2.1650 Stockholm.
Descartes stammte aus dem mittleren französischen Adel. Sein Vater war Jurist und königlicher Berater am Parlament der Bretagne. Mit acht Jahren kam Descartes auf das Jesuitencollege La Flêche. In der Bildungsstätte, die einen ausgezeichneten Ruf genoß, erhielt er eine hervorragende Ausbildung. In La Flêche lernte Descartes auch Mersenne kennen, später einer der wichtigsten „Kommunikationszentren“ des wissenschaftlichen Frankreich. Seine mathematischen Erkenntnisse erwarb Descartes vor allem aus den Werken von Clavius und Viéta.
Nach Verlassen des Colleges führte Descartes das Leben eines Privatiers, wahrscheinlich in Paris, und studierte Rechtsfragen. Im Jahre 1619 erwarb er das Baccalaureat der Rechte, wenige Tage später auch das Lizentiat der Rechte in Poitiers. Das reichte jedoch nicht aus, um ein einflußreiches und einträgliches weltliches Amt zu erlangen. Dazu mußte man vermögend sein – Descartes erwarb ein kleines Gut – und militärische Erfahrungen haben – 1607 trat Descartes freiwillig in die Armee des Moritz von Nassau ein, die in Holland stationiert war. In Holland lernte er Stevin und van Snell kennen. Größten Einfluß übte auf ihn der Naturforscher Isaac Beeckman aus, der ihm auch zu Bildungsreisen riet. Descartes besuchte große Teile Mitteleuropas.
Auf diesen Reisen lernte er den Ulmer Rechen-meister Johann Faulhaber kennen, der ihn zu Studien über Polyeder anregte. 1618 schloss sich Descartes dem Heer des Maximilian V. von Bayern an, quittierte aber gegen Ende 1620 den Militärdienst und begab sich wiederum auf ausgedehnte Reisen nach Mittel- und Südeuropa. 1625 kehrte er nach Paris zurück und teilte seine Zeit zwischen „wilden“ Vergnügungen und Studien in Philosophie, Mathematik und Physik. 1629 nahm Descartes seinen Wohnsitz in Holland, wohl weil er dort größere geistige Freiräume erwartete. In Holland lebte er sorgenfrei in Amsterdam und in verschiedenen Landhäusern, in engem Kontakt zum wissenschaftlichen Leben des Landes. Er arbeitet an einem groß angelegten Werk „Le Monde“. Darin wollte er, auf heliozentrischer Grundlage, die Planetenentwicklung darlegen und physikalisch Phänomene deuten. Nach der Veurteilung Galileis (1633) entschied er sich jedoch dazu, nur einige „ungefährliche“ Teile des Werkes zu veröffentlichen. Der „Discours de la méthode…“ erschien 1637 anonym in Leyden. Descartes geriet trotzdem in das Kreuzfeuer katholischer Kritik, sein Gottesbegriff wurde verurteilt und seine Schriften später (1663) sogar auf den Index gesetzt. Descartes folgte deshalb 1649 einer Einladung der schwedischen Königin, als philosophischer Berater nach Stockholm zu kommen.
In der Philosophie des Descartes spielte die „Vernunft“ die entscheidende Rolle – die Methode des Philosophierens ist die des Zweifelns. Dargelegt ist das nicht nur im „Discours…“, sondern später auch in den „Meditationes…“ (1641) und in den „Principia philosophiae…“ (1644). Die Philosophie des Descartes stand in engem Zusammenhang zu seinen naturwissenschaftlichen und mathematischen Arbeiten. Die berühmten drei Anhänge zum „Discours…“ sollten die Descartessche philosophische Methode erläutern. Der Teil „La Géometrie“ wurde zu einem Ausgangspunkt der Entwicklung der analytischen Geometrie. Descartes versuchte eigentlich in „La Géometrie“, eine geometrische Basis für das Lösen algebraischer Probleme zu finden. Geometrischen Strecken wurden als „Längen“ Zahlenwerte zugeordnet. Mit Strecken können Rechenoperationen durchgeführt werden, auch ohne Beachtung der Dimensionstreue. Zwei Typen von Aufgaben unterschied Descartes:
- Das Lösen algebraischer Gleichungen durch geometrische Konstruktionen.
- Die Konstruktion geometrischer Örter.
Es gelang Descartes, obwohl das nach ihm benannte Koordinatensystem nur in Ansätzen vorkam, eine Reihe z.T. noch aus der Antike bekannter Aufgaben zu lösen. In der „Géometrie“ findet man auch die nach ihm benannte Vorzeichenregel, Ansätze einer einheitlichen algebraischen Symbolik und Anfänge funktionalen Denkens. Viele mathematischen Einzelleistungen Descartes sind nur aus dem Nachlaß bekannt, z. B. das Studium des kartesischen Blattes und der Eulersche Polyedersatz. Eine mathematische Musiktheorie (1618) wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht. Die beiden anderen Teile des Anhangs zum „Discours … “ befaßten sich mit physikalischen Fragen. Descartes entwickelte darin eine Lichttheorie, eine Art Emissionstheorie, und konnte damit eine Reihe von Phänomenen, z. B. die Entstehung des Regenbogens, deuten. Die Lichttheorie war Teil seiner kosmologischen Substanztheorie; alle Substanz besitzt Ausdehnung, Bewegung erfolgt durch Kontakt (Stoß, Druck, usw.). Descartes formulierte den „Satz von der Erhaltung der Bewegung“. Den Körpern selbst wohnen aber keine Kräfte inne. Die Entstehung des Weltsystems aus einer Menge materieller Teilchen gleichen Stoffes, aber verschiedener Größe, sei durch die von Gott initiierte Bewegung dieser Teilchen erklärbar. Es bildeten sich Materiewirbel, die einerseits von der Urmaterie kleine Teilchen abschleifen (z. B. Lichtteilchen), andererseits Zentralkörper, Kometen und Planeten bilden. Descartes gelang es so, eine geschlossene, aber durchaus nicht mathematisch durchgearbeitete, mechanische Welttheorie zu entwickeln: Die Welt sei in all ihren Erscheinungen erklärbar durch die mechanische Wechselwirkung korpuskularer Materie.
Diese Auffassung widersprach grundsätzlich dem bis dahin geltenden aristotelischen Weltbild. Die scheinbar plausible Welttheorie des Descartes wurde nur sehr langsam durch die Newtonsche Physik verdrängt, die naturwissenschaftlich begründet, nicht spekulativ, war.
So hypothetisch die kartesische „Physik“ war, so wenig vage war seine „Physiologie“, die auch erst nach seinem Tode erscheinen konnte. Hier versuchte er auf der Basis modernster chemischer und biologischer Erkenntnisse die Phänomene des Lebens zu deuten. Die Grundauffassung des Descartes, daß alle Tatsachen in belebter und unbelebter Natur naturwissenschaftlich-mechanisch erklärbar seien, hat bis weit in das 18. Jh. die Naturforschung geprägt.
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