Direkt zum Inhalt

Lexikon der Mathematik: Elliptische Geometrie

I. Unter der elliptischen Geometrie versteht man die Geometrie von Räumen konstanter positiver Krümmung. Oft wird für die elliptische Geometrie auch die Bezeichnung Riemannsche Geometrie verwendet.

In seiner berühmten Vorlesung „Über die Hypothesen, welche der Geometrie zugrundeliegen“ [4] führte Bernhard Riemann (1826-1866) aus, daß die innere Geometrie einer Fläche durch das sogenannte Linien- bzw. Bogenelement ds charakterisiert wird. (Ein Ausgangspunkt für diese Überlegungen war der bereits von Gauß eingeführte Begriff der inneren Geometrie einer Fläche.) Für die Kenntnis der inneren Geometrie ist nicht die äußere Form oder die Gleichung einer Fläche erforderlich, sondern es genügt, die Koeffizienten E, F und G zu kennen, die das Bogenelement mittels der Gleichung \begin{eqnarray}d{s}^{2}=Ed{u}^{2}+2Fdudv+Gd{v}^{2}\end{eqnarray} bestimmen (wobei u und v Parameter der Fläche sind). Die Krümmung und alle anderen interessierenden Größen auf einer Fläche können anhand des Bogenelements berechnet werden.

Riemann untersuchte die Geometrien auf Flächen konstanter Krümmung, die sich in drei Kategorien einordnen lassen:

  1. Riemannsche bzw. elliptische Geometrie als Geometrie auf einer Fläche konstanter positiver Krümmung,
  2. Euklidische Geometrie als Geometrie auf einer Fläche der Krümmung Null,
  3. Lobatschewskische bzw. hyperbolische Geometrie als Geometrie auf einer Fläche konstanter negativer Krümmung.

II. Die einfachste Fläche konstanter positiver Krümmung ist eine Kugeloberfläche (Sphäre) im dreidimensionalen euklidischen Raum. (Die Krümmung k einer Sphäre mit dem Radius r beträgt in jedem ihrer Punkte \(k=\frac{1}{{r}^{2}}\).) Somit ist die sog. sphärische Geometrie ein einfaches Modell für eine elliptische Geometrie, wobei jedoch zwei gegenüberliegende Punkte jeweils identifiziert werden müssen, d. h. ein Punkt der sphärischelliptischen Geometrie wird definiert als Paar gegenüberliegender (diametraler) Punkte der Sphäre. Gleichbedeutend damit, da nur innere Punkte der Sphäre (also der Kugeloberfläche) betrachtet werden, kann ein Punkt auch als Durchmesser der Kugel aufgefaßt werden. Der sphärische Abstand zweier Punkte ist der (euklidische) Winkel zwischen den zugehörigen Durchmessern. Sphärische Geraden sind im euklidischem Sinne die Großkreise der Sphäre, eine Definition, die auch praktisch sehr einleuchtend ist, denn die kürzeste Verbindung zweier Punkte auf der Kugeloberfläche ist ein Großkreisbogen zwischen diesen beiden Punkten.

III. Um zu einem weiter gefaßten Begriff der elliptischen Geometrie zu gelangen, läßt sich die sphärische Geometrie verallgemeinern. Man betrachtet dazu einen (n + 1)-dimensionalen euklidischen Raum \({{\mathbb{E}}}^{n+1}\) und definiert als elliptischen (also nichteuklidischen) Raum ℙ den zu \({{\mathbb{E}}}^{n+1}\) gehörigen projektiven Raum \({\mathbb{P}}({{\mathbb{E}}}^{n+1})\) aller Geraden durch den Koordinatenursprung. Punkte des elliptischen Raumes ℙ sind also die Ursprungsgeraden des euklidischen Raumes. Der n-dimensionale elliptische Raum läßt sich gleichbedeutend damit auch als Menge aller diametralen Punktepaare auf einer Hypersphäre des \({{\mathbb{E}}}^{n+1}\) auffassen.

Der Abstand zweier Punkte G1 und G2 von ℙ wird definiert als Winkel der zu G1 und G2 gehörenden Geraden g1 und g2 des euklidischen Raumes \({{\mathbb{E}}}^{n+1}\): \begin{eqnarray}d({G}_{1},{G}_{2}):=\angle ({g}_{1},{g}_{2});d({G}_{1},{G}_{2})\in \left[0;\frac{\pi }{2}\right].\end{eqnarray}

In der elliptischen Geometrie sind somit (im Gegensatz sowohl zur euklidischen als auch zur hyperbolischen Geometrie) Abstände und somit Längen von Strecken beschränkt, es existieren keine Strecken, die länger sind als \(\frac{\pi }{2}\).

Geraden des elliptischen Raumes ℙ sind Mengen von Punkten G, deren zugehörige Geraden g in \({{\mathbb{E}}}^{n+1}\) in einer Ebene liegen. Da diese Ebenen stets durch den Koordinatenursprung gehen müssen, haben zwei voneinander verschiedene elliptische Geraden h1 und h2 stets genau einen gemeinsamen Punkt G, welcher der Schnittgeraden der beiden entsprechenden euklidischen Ebenen ei und ϵ2 entspricht. Der Winkel zweier Geraden h1 und h2 wird auf den Schnittwinkel der zugehörigen euklidischen Ebenen zurückgeführt: \begin{eqnarray}\angle ({h}_{1},{h}_{2}):=\angle ({\varepsilon }_{1},{\varepsilon }_{2});\angle ({h}_{1},{h}_{2})\in \left[0;\frac{\pi }{2}\right].\end{eqnarray}

Die Beziehungen zwischen den Seitenlängen und Winkelgrößen eines Dreiecks in der elliptischen Geometrie sind durch die Sätze der sphärischen Trigonometrie gegeben. Weiterhin gilt, daß die Innenwinkelsumme eines jeden Dreiecks größer ist als ein gestreckter Winkel. Der Flächeninhalt eines Dreiecks läßt sich als Überschuß seiner Innenwinkelsumme über π berechnen. Dieser Überschuß wird als sphärischer bzw. elliptischer Exzeß bezeichnet. Für Dreiecke mit sehr kleinen Abmesungen ist der elliptische Exzeß nahezu Null, es gilt also näherungsweise der euklidische Innenwinkelsatz. Auch alle anderen metrischen Eigenschaften der elliptischen Geometrie, inklusive der trigonometrischen Beziehungen, nähern sich bei Betrachtung sehr kleiner Ausdehnungen denen der euklidischen Geometrie an.

IV. Eine besonders interessante Eigenschaft der elliptischen Geometrie ist die Dualität von Punkten und Geraden (in der 2–dimensionalen elliptischen Geometrie) bzw. allgemein die Dualität von Punkten und Hyperebenen. In der elliptischen Ebene (bzw. in der sphärischen Geometrie) schneiden sich alle zu einer gegebenen Geraden g senkrechten Geraden in einem Punkt, dem Pol von g. Umgekehrt gibt es zu jedem Punkt P eine Polare, d. h. eine Gerade, zu der P Pol ist. (Auf der Erdoberfläche ist beispielsweise der Äquator die Polare zu Nord- und Südpol, welche im Sinne der elliptischen Geometrie einen einzigen Punkt bilden.) Dies bedeutet, daß durch jede Gerade eindeutig ein Punkt und zu jedem Punkt eindeutig eine Gerade bestimmt wird. Interpretiert man nun die Winkel zwischen den Geraden der elliptischen Ebene als Abstände und bezeichnet die Punkte als Geraden und umgekehrt, so entsteht wiederum ein Modell der elliptischen Ebene. Punkte und Geraden sind also gewissermaßen vertauschbar. Für einen dreidimensionalen elliptischen Raum besteht eine vergleichbare Dualität zwischen Punkten und Ebenen, allgemein ist die Polare eines Punktes im n–dimensionalen elliptischen Raum \({\mathbb{P}}({{\mathbb{E}}}^{n+1})\) eine Hyperebene von ℙ, hat also die Dimension n − 1.

V. Die elliptische Geometrie muß nicht, wie in II. und III. beschrieben, als in den euklidischen Raum eingebettete Struktur aufgefaßt, sondern kann durch eine eigenständige Axiomatik fundiert werden. Die oben beschriebenen Strukturen stellen Modelle des im folgenden skizzierten Axiomensystems dar.

Gegenüber dem Hilbertschen Axiomensystem der euklidischen Geometrie (Axiome der Geometrie) sind für einen axiomatischen Aufbau der elliptischen Geometrie Veränderungen in allen Axiomengruppen, vor allem jedoch bei den Inzidenz– und Anordnungsaxiomen nötig. Die Inzidenzaxiome sind um das folgende wichtige Axiom zu ergänzen:

  • Zwei voneinander verschiedene Geraden haben stets genau einen Punkt gemeinsam.

Dieses Axiom verdient deshalb besondere Beachtung, da es beinhaltet, daß in der elliptischen Geometrie keine parallelen Geraden existieren. Ein zusätzliches Parallelenaxiom ist aus diesem Grunde nicht erforderlich.

Der größte Unterschied zwischen den Axiomen der euklidischen und der elliptischen Geometrie besteht bei den Anordnungsaxiomen. In der euklidischen Geometrie befinden sich die Punkte auf einer Geraden in einer linearen Anordnung, in der elliptischen Geometrie sind sie zyklisch angeordnet, was sich durch durch die Einführung einer Unterteilungsrelation für Punktepaare (siehe [1]) oder die folgenden Axiome der zyklischen Ordnung axiomatisieren läßt.

  • Stehen drei Punkte P, Q und R einer Geraden g in zyklischer Ordnung, so sind P, Q und R verschiedene Punkte von g.
  • Sind P, Q und R drei verschiedene Punkte einer Geraden g und stehen P, Q und R nicht in zyklischer Ordnung, so stehen die Punkte R, Q und P in zyklischer Ordnung.
  • Stehen P, Q und R in zyklischer Ordnung, so stehen auch Q, R und P sowie R, P und Q in zyklischer Ordnung.
  • Stehen P, Q und R sowie P, R und S in zyklischer Ordnung, so stehen auch P, Q und S in zyklischer Ordnung.
  • Zu zwei verschiedenen Punkten P und Q existiert stets ein Punkt R, so daß P, Q und R in zyklischer Ordnung stehen.

Als Axiom, das die Anordnung der Punkte in der elliptischen Ebene bestimmt, ist z. B. das PaschAxiom (Axiome der Geometrie) hinzuzufügen.

Die Axiome der Kongruenz bzw. die Bewegungsaxiome ( falls ein abbildungsgeometrischer axiomatischer Aufbau der elliptischen Geometrie durchgeführt wird) unterscheiden sich von den entsprechenden Axiomen der euklidischen Geometrie weniger stark als die Inzidenz- und Anordnungsaxiome. Im Unterschied zur euklidischen Geometrie ist als Stetigkeitsaxiom nur das Cantor-Axiom (oder ein dazu äquivalentes Axiom, z. B. Axiom des Dedekind-Schnitts) erforderlich. Das Archimedes-Axiom wird für den axiomatischen Aufbau der elliptischen Geometrie nicht benötigt.

Literatur

[1] Bogomolov, S. A.: Vvedenije V Neevklidovu Geometriju Rimana. Onti Gosudarstvennoe Techniko-Teoretitscheskoe Isdatelstvo Moskau, Leningrad, 1934.

[2] Efimov, N. W.: Höhere Geometrie. Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin, 1960.

[3] Gans, D.: An Introduction to Non-Euclidean Geometry. Academic Press Inc. San Diego, 1973.

[4] Riemann, B.: „Über die Hypothesen, welche der Geometrie zugrunde liegen“, in: Das Kontinuum und andere Monographien (Reprint). Chelsea, 1973.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.