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Lexikon der Mathematik: Erneuerungstheorie

Die Erneuerungstheorie beschäftigt sich mit Untersuchungen über das Ausfallen und Ersetzen bzw. Reparieren von Teilen (Elementen) eines arbeitenden Systems mit statistischen Methoden und ist so ein Teilgebiet der Zuverlässigkeitstheorie.

Dabei werden die Lebensdauer der Elemente sowie die Reparaturzeiten als Zufallsgrößen angesehen. Man unterscheidet in der wahrscheinlichkeitstheoretischen Modellbildung verschiedene Typen von Erneuerungs- bzw. Ersatzmodellen.

Bei der sogenannten „unverzüglichen Erneuerung“ wird ein fehlerhaftes Element sofort ohne Zeitverzögerung durch ein neues, mit dem alten identisches Element, ersetzt. Demgegenüber gibt es die „verzögerte Erneuerung“, bei der ein Element nach dem Auftreten eines Fehlers einer Reparatur mit bestimmter zufällig modellierter Zeit unterzogen wird, in deren Ergebnis das Element wieder gebrauchsfähig ist.

In der Erneuerungstheorie beschäftigt man sich mit der Verteilung und den charakteristischen Eigenschaften insbesondere zweier stochastischer Prozesse, der zufälligen Zeit Sk, die bis zur k-ten Erneuerung verstreicht, und der zufälligen Anzahl N(t) der Erneuerungen bis zum Zeitpunkt t.

(Sk)k=1,2,… heißt Erneuerungsprozeß und ist ein stochastischer Prozeß aus der Klasse der Punktprozesse.

1. Unverzügliche Erneuerung. Sei Ti die Lebensdauer eines bestimmten Elements nach der (i − 1)-ten Erneuerung. Dann ist in diesem Modell die Folge (Ti)i=1,2,… eine Folge unabhängiger positiver Zufallsgrößen mit der identischen Lebensdauerverteilung \begin{eqnarray}F(t)=P({T}_{i}\lt t),\,\,\,i=1,2,\ldots.\end{eqnarray}

Für den Erneuerungsprozeß (Sk) gilt: \begin{eqnarray}{S}_{k}={X}_{1}+\cdots +{X}_{k}.\end{eqnarray} (Sk) wird einfacher Erneuerungsprozeß genannt. Die Verteilung des Zählprozesses (N(t))t≥0 kann für jedes T > 0 mit Hilfe der Verteilung des Erneuerungsprozesses (Sk)k≥1 angegeben werden; es gilt: \begin{eqnarray}\begin{array}{cc}P(N(t)\lt n)=P({S}_{n}\ge t)=1-P({S}_{n}\lt t).\end{array}\end{eqnarray}

Die Verteilungsfunktion Fk(t) der Zufallsgröße Sk, k = 1, 2,… erhält man rekursiv durch Faltung von Fn−1(t) und f (t): \begin{eqnarray}\begin{array}{cc}{F}_{n}(t)=\displaystyle \underset{0}{\overset{t}{\int }}{F}_{n-1}(t-y)f(y)dy,\end{array}\end{eqnarray} wobei f (y) = F′(y) die Dichte von F(t) ist; man vergleiche hierzu auch die Erläuterungen zu Erneuerungsproblem.

Wichtige Kenngrößen bei Erneuerungsprozessen sind der Erwartungswert für die zufällige Anzahl N(t) der bis zum Zeitpunkt t stattfindenden Erneuerungen, die sogenannte Erneuerungsfunktion \begin{eqnarray}\begin{array}{lll}H(t)=E(N(t)) & = & \displaystyle \sum _{n=0}^{\infty }n[{F}_{n}(t)-{F}_{n+1}(t)]\\ & = & \displaystyle \sum _{n=1}^{\infty }{F}_{n}(t)\end{array}\end{eqnarray} (dieser Wert existiert immer, d. h. es ist H(t) < ∞ für alle t > 0), und die die sogenannte Erneuerungsdichte \begin{eqnarray}h(t):=\frac{dH(t)}{dt},\end{eqnarray} die unter Verwendung von (1) und (2) berechnet werden können.

<?PageNum _75Allgemein läst sich für jeden stationären Erneuerungsprozeß mit E(Ti) = μ zeigen, daß gilt: \begin{eqnarray}H(t)=\frac{t}{\mu },\,\,\,\,h(t)=\frac{1}{\mu }.\end{eqnarray}

Um den Beginn eines Prozesses (t = 0) beliebig, d. h. nicht notwendig bei einer Erneuerung, wählen zu können, ist es oft zweckmäßig, für T1 eine andere Verteilung anzusetzen als für die übrigen Ti, i = 2, 3,…. Ein solcher Erneuerungsprozeß wird auch als modifizierter oder allgemeiner Erneuerungsprozeß bezeichnet.

Einige Grenzwertsätze der Erneuerungstheorie besagen, daß sich auch beliebige modifizierte Erneuerungsprozesse unter bestimmten Bedingungen wie stationäre Erneuerungsprozesse verhalten. So besagt das elementare Erneuerungstheorem: \begin{eqnarray}\mathop{\mathrm{lim}}\limits_{t\to \infty }\frac{H(t)}{t}=\frac{1}{\mu },\end{eqnarray} und das Theorem von Blackwell (1948): \begin{eqnarray}\mathop{\mathrm{lim}}\limits_{t\to \infty }\,(H(t+\alpha )-H(t))=\frac{\alpha }{\mu },\,\,\,\alpha \gt 0.\end{eqnarray}

Beispiel: Sind die zufälligen Zeiten Ti exponentialverteilt mit dem Parameter λ > 0, so gilt \begin{array}{l}F(t)=P({T}_{i}\lt t)=1-{e}^{-\lambda t},\\ f(t)=\lambda {e}^{-\lambda t},\\ E({T}_{i})=\frac{1}{\lambda },\end{array} und man erhält \begin{eqnarray}{F}_{n}(t)=\displaystyle \sum _{k=n}^{\infty }\frac{{(\lambda t)}^{k}}{k!}{e}^{-\lambda t},\end{eqnarray} woraus wiederum folgt: \begin{eqnarray}\begin{array}{lll}P(N(t)=n) & = & {F}_{n}(t)-{F}_{n+1}(t)\\ & = & \frac{{(\lambda t)}^{n}}{n!}{e}^{-\lambda t}.\end{array}\end{eqnarray}

Folglich ist die Anzahl der Erneuerungen bis zum Zeitpunkt t ein Poissonprozeß mit dem Erwartungswert und der Erneuerungsdichte: \begin{eqnarray}H(t)=\lambda t,\,\,\,\,h(t)=\lambda.\end{eqnarray}

2. Verzögerte Erneuerung. Sei Ti die Lebensdauer eines bestimmten Elements nach der (i − 1)-ten Erneuerung und Ri die zufällige Reparaturzeit des i-ten Elements. In diesem Modell sind (Ti)i=1,2,  … und (Ri)i=1,2,  Folgen unabhängiger positiver identisch verteilter Zufallsgrößen mit der Lebensdauerverteilung \begin{eqnarray}F(t)=P({T}_{i}\lt t),\,\,\,\,\,i=1,2,\ldots,\end{eqnarray} und der Reparaturzeitverteilung \begin{eqnarray}G(t)=P({R}_{i}\lt t),\,\,\,\,\,\,i=1,2,\ldots.\end{eqnarray}

Dann repräsentiert die Summenfolge \begin{eqnarray}{S}_{k}=({T}_{1}+{R}_{1})+({T}_{2}+{R}_{2})+\cdots +({T}_{k}+{R}_{k})\end{eqnarray} einen sogenannten alternierenden Erneuerungsprozeß, wobei Sn die (zufällige) Zeit bis zur erfolgten Instandsetzung nach dem n-ten Ausfall bedeutet. Durch die Zusammenfassung \begin{eqnarray}{Z}_{i}={T}_{i}+{R}_{i},\,\,\,\,\,\,\,i=1,2,\ldots \end{eqnarray} gelangt man zu einem einfachen Erneuerungsprozeß in Zi und kann dadurch Aussagen dieser Erneuerungsprozesse auf alternierende Erneuerungsprozesse übertragen.

In Verbindung mit dem alternierenden Erneuerungsprozeß spielt in der Praxis die sogenannte Verfügbarkeit V(t) eine Rolle, die gleich der Wahrscheinlichkeit ist, daß ein Element zu einem vorgegebenen Zeitpunkt t ordnungsgemäß arbeitet.

Literatur

[1] Cox, D.; Smith, W.: Erneuerungstheorie (russ.). Moskau, 1967.

[2] Gnedenko, B.W.; Beljajew, J.,K.; Solowjew,A.D.: Mathematische Methoden der Zuverlässigkeit. Akademie-Verlag Berlin, 1968.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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