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Lexikon der Mathematik: Fourier-Analyse

Die Fourier-Analyse, deren Ursprung bis in das 18. Jahrhundert zurückreicht, ist die Theorie der Fourier-Reihen und Fourier-Integrale mit ihren Anwendungen. Sie hat nicht nur die Entwicklung von Mathematik und Physik grundlegend gefördert, sondern besitzt bis heute zahlreiche Anwendungen in Naturwissenschaften und Technik.

Es sei f : ℝ ↠ ℂ eine auf [0, 2π] Lebesgue-integrierbare 2π-periodische Funktion. Die FourierReihe \(\mathcal{FR}(f)\) von f ist durch

\begin{eqnarray} \mathcal{FR}f(x)=\sum_{k \in \mathbb{Z}}\hat{f}(k)e^{ikx} \end{eqnarray}

mit Fourier-Koeffizienten

\begin{eqnarray} \hat{f}(k)=\frac{1}{2\pi}\int_{0}^{2\pi}f(t)e^{-ikt}dt \end{eqnarray}

definiert. Es bezeichne im folgenden sn : ℝ ↠ ℂ,

\begin{eqnarray} s_{n}(x)=\sum_{\vert k \vert \leq n}\hat{f}(k)e^{ikx} \end{eqnarray}

die n-te symmetrische Partialsumme. Dann kann die Darstellung von f als Fourier-Reihe punktweise (d. h. \( f(x)=\lim_{n\rightarrow \infty}s_{n}f(x)\ \mathrm{f}\ddot{\mathrm{u}}\mathrm{r}\ {x}\in \mathbb{R}\)), oder bzgl. eines normierten Funktionenraums H (d. h. \(f=\lim_{n\rightarrow \infty}s_{n}f\ \mathrm{in}\ H\) in H) betrachtet werden. Die Vorzüge dieser funktionalanalytischen Sicht werden im Fall des Hilbertraums H = L2 = L2([0, 2π]) deutlich: Für f, gH ist

\begin{eqnarray} \langle f,g \rangle=\int_{0}^{2\pi}f(t)\bar{g}(t)dt \end{eqnarray}

das Skalarprodukt und ||f|| =< f, f >1/2 die Norm in L2. Damit bilden die Funktionen

\begin{eqnarray} e_{k}(x)=(2\pi)^{-1/2}e^{ikx},k\in \mathbb{Z},\end{eqnarray}

ein vollständiges Orthonormalsystem. Allein aus dieser Tatsache folgt: Jede Funktion fL2 läßt sich eindeutig in eine trigonometrische Reihe entwickeln,

\begin{eqnarray} f=\sum_{k\in \mathbb{Z}}\hat{f}(k)e_{k} \end{eqnarray}

mit Fourier-Koeffizienten \(\hat{f}(k)=\lt f,{e}_{k}\gt \). Es gilt

\begin{eqnarray} \lim_{n\rightarrow \infty}\Vert f-s_{n}f\Vert^{2}=\lim_{n\rightarrow \infty}\int_{0}^{2\pi}\vert f(t)-s_{n}(t)\vert^{2}dt=0 \end{eqnarray}

(Konvergenz im quadratischen Mittel). Die Approximation sn besitzt die folgende Minimaleigenschaft: Ist

\begin{eqnarray} T_{n}=\{\sum_{\vert{k}\vert \leq n}\alpha_{k}e^{ikx}\vert\alpha_{k}\in\mathbb{C}\} \end{eqnarray}

der Unterraum der trigonometrischen Polynome höchstens n-ten Grades, so ist

\begin{eqnarray}\Vert f-t\Vert \gt \Vert f-s_{n}\Vert\end{eqnarray}

für alle tTn mit tsn.

Es gilt die Parsevalsche Gleichung

\begin{eqnarray} \langle f,g \rangle=\sum_{k\in \mathbb{Z}}\hat{f}(k)\bar{\hat{g}(k)}, \end{eqnarray} insbesondere ist \(\sum_{k\in \mathbb{Z}}\vert \hat{f}(k)\vert^{2}<\infty\) und \(\Vert f\Vert^{2}=\sum_{k\in \mathbb{Z}}\vert \hat{f}(k)\vert^{2}\). Der Satz von Fischer-Riesz liefert die Umkehrung: Für eine Folge komplexer Zahlen \((c_{k})_{k \in \mathbb{Z}}\) mit \(\sum_{k\in \mathbb{Z}\vert{c}_{k}\vert}^{2}<\infty\) ist \(\sum_{k\in\mathbb{Z}}c_{k}e^{ikx}\in \mathrm{L}^{2}\).

Da diese Eigenschaften für ein beliebiges Orhonormalsystem {ϕk} eines Hilbertraums gültig bleiben, heißt Σ < f, ϕk >ϕk die Fourier-Reihe von f bzgl. {ϕk}.

Die Frage nach punktweiser Konvergenz besitzt eine lange Tradition: Bereits ab 1740 diskutierten Mathematiker wie Bernoulli und d′Alembert die Möglichkeit, beliebige periodische Funktionen mittels trigonometrischer Reihen darzustellen. Die Reihenentwicklung (1) ist verbunden mit dem Namen des französischen Mathematikers Fourier, der sie (heuristisch) zur Lösung der Wärmeleitungsgleichung nutzte. Das exakte Studium der Fourier-Reihen, einhergehend mit einer Analyse des Funktionen-Begriffs, wurde von Dirichlet eingeleitet, der auch das erste Konvergenzkriterium beweisen konnte (1829): Ist f auf [0, 2π] integrierbar und in x differenzierbar, so gilt \(\lim_{n\rightarrow \infty}s_{n}f(x)\). Riemann, der für die Berechnung von FourierKoeffizienten seinen Integral-Begriff entwickelte, entdeckte das Lokalisationsprinzip (1853): Die Konvergenz bzw. Divergenz sowie gegebenenfalls der Wert der Fourier-Reihe einer Funktion f bei x ist durch das Verhalten von f in einer beliebig kleinen Umgebung von x eindeutig bestimmt.

P. du Bois-Reymond stellte eine stetige Funktion f mit \(\lim_{n\rightarrow \infty}s_{n}f(0)=+\infty\) vor (1876). Deshalb wurde der Satz von Fejér(1904) mit Erleichterung aufgenommen: Ist f in x stetig, so gilt \(\lim_{n\rightarrow \infty}\sigma_{N}f(x)\) wobei \(\sigma_{N}f(x)\) die Fejér-Summe bezeichnet.

Konvergiert die Fourier-Reihe einer stetigen Funktion, oder allgemeiner von f ∈ L2, zumindest fast überall (Problem von Lusin, 1915)? Erst 1966 konnte Carleson diesen Sachverhalt beweisen. Hunt verallgemeinerte das Ergebnis (1968): Für fLp, p > 1, gilt \(\lim_{n\rightarrow \infty}s_{n}f(x)=f(x)\) fast überall. Die Voraussetzung p > 1 ist wesentlich, wie Kolmogorows Beispiel (1926) einer integrierbaren Funktion mit überall divergenter Fourier-Reihe zeigt.

Heute kann die Theorie der Entwicklung einer Funktion von einer Variablen in eine trigonometrische Reihe als weitgehend abgeschlossen gelten. Fourier-Reihen von Funktionen mehrerer Variablen sind weniger gut untersucht. Ferner lassen sich Fourier-Reihen für Distributionen erklären.

Die lineare Abbildung, die jeder integrierbaren 2π-periodischen Funktion f die Folge ihrer Fourier-Koeffizienten \((\hat{f}(k))_{k\in\mathbb{Z}}\) zuweist, heißt diskrete Fourier-Transformation. Dieses Konzept wird verallgemeinert durch die (kontinuierliche) Fourier-Transformation, die jeder (i. allg. nicht-periodischen) Funktion ξ : ℝ ↠ ℂ aus einem geeigneten Funktionen-Raum ihre Fourier-Transformierte ξ,

\begin{eqnarray} \hat{\xi}(x)=(2\pi)^{-1/2}\int_{-\infty}^{\infty}\xi(t)e^{-itx}dt,x\in\mathbb{R} \end{eqnarray}

zuordnet.

Eine weithin bekannte Anwendung der Fourier-Analyse ist die Zerlegung eines T-periodischen Vorgangs f : ℝ ↠ Ȓ, wie das Schwingen einer Saite oder ein periodisch auftretendes Signal, in (harmonische) Grund- und Ober-Schwingungen,<?PageNum _175

\begin{eqnarray} f(t)=\frac{a_{0}}{2}+\sum_{n=1}^{\infty}(a_{n}cos 2\pi nvt+b_{n}\sin 2\pi nvt) \end{eqnarray}

mit der Frequenz υ = 1/T. Die Amplituden entsprechen den Fourier-Koeffizienten.

Der Ansatz, Funktionen bzgl. eines Orthonormalsystems zu entwickeln, dient wie vor 250 Jahren auch heute der Untersuchung zahlreicher gewöhnlicher und partieller Differentialgleichungen (z. B. sind Fourier-Reihen bei Sturm-Liouville- Gleichungen oder dem Dirichlet-Problem auf dem Kreis von Bedeutung). Auch die kontinuierliche Fourier-Transformation, oder allgemeiner die sog. Fourier-Integral-Operatoren, finden bei Differentialgleichungen wie z. B. der Schrödinger-Gleichung Anwendung.

Darüber hinaus bewährt sich die Fourier-Analyse als wichtiges ‘Werkzeug′ in vielen Bereichen der mathematischen Analysis. Mit der schnellen Fourier-Transformation (Cooley/Tukey 1965) steht zudem ein effizienter numerischer Algorithmus zur Berechnung der Fourier-Koeffizienten eines Signals für Anwendungen in der modernen Technik (Signalverarbeitung, Spektroskopie, u. v. m.) zur Verfügung.

Eine Weiterentwicklung aus den 1980er Jahren ist die Wavelet-Theorie, die u. a. in der Bildverarbeitung sehr erfolgreich eingesetzt wird.

Es ist angesichts dieser praxisnahen Anwendungen bemerkenswert, daß fundamentale Eigenschaften von Fourier-Reihen auf folgendem abstrakten Sachverhalt beruhen: Die 2π-periodischen Funktionen f : ℝ ↠ ℂ können identifiziert werden mit Abbildungen auf der kompakten abelschen Gruppe ℝ/2π ℤ mit der durch ℝ induzierten Quotienten- Topologie. Die Fourier-Reihen von Funktionen auf allgemeinen (lokal-) kompakten Gruppen sind Gegenstand der Harmonischen Analyse.

Literatur

[1] Edwards, R.E.: Fourier Series, A Modern Introduction, Vol. I und II. Springer-Verlag New York, 1979.

[2] Stein, E. M.; Weiss, G.: Fourier Analysis On Euclidean Spaces. Princeton University Press Princeton, 1971.

[3] Zygmund, A.: Trigonometric Series, Vol. I und II. Cambridge University Press Cambridge, 1977.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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