Lexikon der Mathematik: hypergeometrische Funktion
Lösung der hypergeometrischen Differentialgleichung
Die hypergeometrische Reihe konvergiert zwar im allgemeinen nur für |z| < 1, definiert dann aber<?PageNum _468 durch meromorphe Fortsetzung auf ganz ℂ eine Funktion. die hypergeometrische (Basis-)Funktion F(a, b; c; ·). Ist a oder b gleich Null oder einer negativen ganzen Zahl, so bricht die Reihe ab, und F(a, b; c; z) ist einfach ein Polynom in z; nur in diesem Falle gilt die Konvergenz der hypergeometrischen Reihe auch außerhalb des Einheitskreises.
In der Notation der verallgemeinerten hypergeometrischen Funktion schreibt man dann für F(a, b; c; z) auch 2F1(a, b; c;z).
Will man die Lösungen der hypergeometrischen Differentialgleichung diskutieren, so ist es praktisch, diese Definition etwas zu verallgemeinern und stattdessen Funktionen vom Typ
Durch die Möbius-Transformation
Die Zahlen α, α′, usw. in der hypergeometrischen Differentialgleichung heißen hierbei die „Exponenten“. Bis auf Ausnahmefälle, bei denen jeweils die Differenz der Exponenten eine ganze nichtnegative Zahl ist, also etwa α′ − α ∈ ℕ0, bestimmen diese Zahlen nun im wesentlichen das Verhalten zweier linear unabhängiger Lösungen der Differentialgleichungen. So gibt es z. B. zwei linear unabhängige Lösungen w1 und w2, für die in einer Umgebung der Null
Ist α = α′, so spricht man von einem „Ausnahmefall erster Ordnung“. In diesem Falle sehen die Lösungen wie folgt aus:
Man erhält also eine Lösung mit einem logarithmischen Pol. Man kann dieses Ergebnis auch aus einem Grenzwertübergang α → α′ heraus verstehen.
Ist α′ − α ∈ ℕ, so bezeichnet man dies als einen „Ausnahmefall zweiter Ordnung“. Auch in diesem Falle erhält man eine gewöhnliche Lösung mit dem jeweils größeren Exponenten und eine weitere Lösung mit einem logarithmischen Pol.
Bis auf Ausnahmefälle erster und zweiter Ordnung sind nun die Lösungen der hypergeometrischen Differentialgleichung gegeben durch:
Wie man hier gut erkennt, kontrolliert γ das Verhalten bei der singulären Stelle z = 1.
Betrachtet man von den oben erwähnten MöbiusTransformationen nur die sechs Spezialfälle, die die Punkte 0, 1 und ∞ permutieren, so erhält man hiermit aus jeder der vier oben formulierten Lösungen der hypergeometrischen Differentialgleichung jeweils sechs weitere Lösungen der gleichen Differentialgleichung, also insgesamt 24 Funktionen. Jeweils acht dieser Lösungen stellen im oben formulierten Sinne Entwicklungen um den Punkt z = 0, den Punkt z = ∞ und den Punkt z = 1 dar. Von diesen acht Lösungen für einen gegebenen Punkt gehören weiterhin jeweils vier zu dem ungestrichenen Exponenten, vier weitere zu dem gestrichenen Exponenten. Man erhält auf diese Weise jeweils vier Gleichungen pro Exponent und pro Entwicklungspunkt. Von diesen Gleichungen, die zuerst von Kummer systematisch untersucht worden sind, lauten z. B. die Gleichungen für den Exponenten α und den Ursprung als Entwicklungspunkt:
Die für die Lösung mit dem Exponenten α′ geltenden Gleichungen findet man hieraus durch Vertauschen von α mit α′, die Entwicklungen für die Exponenten β, β′ um 1, bzw. γ, γ′ um re durch Substitution von z durch
Da die Reihendarstellungen der hypergeometrischen Basisfunktion F selbst im Inneren des Einheitskreises konvergieren, wird dieses Konvergenzgebiet durch die sechs vorgenommenen Möbiustransformationen auf sechs Gebiete in der komplexen Zahlenebene abgebildet, nämlich auf das Innere des Einheitskreises selbst, das Äußere des Einheitskreises, das Innere des Einheitskreises um den Punkt 1, das Äußere dieses Kreises, sowie die Halbebenen
Da um jeden der Punkte 0, ∞ und 1 mindestens zwei linear unabhängige Lösungen der hypergeometrischen Differentialgleichung existieren, die hypergeometrische Differentialgleichung jedoch von zweiter Ordung ist und diese beiden Lösungen damit schon die Gesamtheit der Lösungen aufspannen, müssen lineare Relationen zwischen den Entwicklungen um die verschiedenen Punkte existieren. <?PageNum _470Dies sind die sog. „Zusammenhangsformeln“, die zuerst von Euler und Gauß gefunden wurden. Sie verknüpfen jeweils zueinander „benachbarte“ hypergeometrische Funktionen in Form einer in der Basisfunktion F linearen Gleichung mit rationalen Koeffizienten. Dabei sind die zu F(a, b; c; z) benachbarten Funktionen gerade F(a ± 1, b; c; z), F(a, b ± 1; c; z) und F(a, b; c ± 1; z), unterscheiden sich also nur in einem Parameter um plus oder minus Eins. Durch rekursive Anwendung dieser Formeln erhält man dann Beziehungen zwischen „verwandten“ Funktionen, also Funktionen, deren Parameter sich nur um ganze Zahlen unterscheiden. Es gibt damit zu je drei beliebigen verwandten hypergeometrische Funktionen F1, F2, F3 rationale Funktionen A1, A2, A3 so, daß
Eine vollständige Liste dieser Relationen findet sich z. B. in [1].
Eine hypergeometrische Funktion läßt sich auch für Re c > Re b > 0 durch das hypergeometrische Integral darstellen:
Untersucht man die Abhängigkeit der hypergeometrischen Basisfunktion von den Parametern a, b und c, so findet man, daß
Die Wichtigkeit der hypergeometrischen Funktion bzw. der hypergeometrischen Differentialgleichung liegt darin begründet, daß sich jede homogene lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung mit nicht mehr als drei regulären Singularitäten – einschließlich ∞ – in die hypergeometrische Differentialgleichung transformieren läßt. Damit lassen sich viele spezielle Funktionen, die solche Differentialgleichungen erfüllen, als Sonderfälle der hypergeometrischen Funktion schreiben. Einige elementare Beispiele finden sich in der Tabelle.
[1] Abramowitz, M.; Stegun, I.A.: Handbook of Mathematical Functions. Dover Publications, 1972.
[2] Olver, F.W.J.: Asymptotics and Special Functions. Academic Press, 1974.
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