Lexikon der Mathematik: Invariante Maße auf Julia-Mengen
Unter einem invarianten Maß auf einer Julia Menge \({\mathcal{J}}\) einer rationalen Funktion f versteht man ein Wahrscheinlichkeitsmaß μ auf \({\mathcal{J}}\) derart, daß für jede μ-meßbare Menge E ⊆ \({\mathcal{J}}\) gilt
Aus allgemeinen Resultaten der Funktionalanalysis folgt, daß stets ein invariantes Maß auf \({\mathcal{J}}\) existiert. Zur genaueren Erläuterung sei \({\mathfrak{B}}\) die σ-Algebra der Borel-Mengen von \({\mathcal{J}}\) und M(\({\mathcal{J}}\)) die Menge aller Wahrscheinlichkeitsmaße auf dem meßbaren Raum (\({\mathcal{J}}\), \({\mathfrak{B}}\)). Für \(z\in \hat{{\mathbb{C}}}\) sei δz das im Punkt z konzentrierte Dirac-Maß, d. h. für \(E\subset \hat{{\mathbb{C}}}\) gilt δz(E) = 1, falls z ∈ E, und δz(E) = 0, falls \(z\notin E\). Es gilt δz ∈ M(\({\mathcal{J}}\)) für alle z ∈ \({\mathcal{J}}\). Weiter ist M(\({\mathcal{J}}\)) eine konvexe Menge. Die schwach-*-Topologie auf M(\({\mathcal{J}}\)) ist die schwächste Topologie auf M(\({\mathcal{J}}\)) derart, daß für jedes φ ∈ C(\({\mathcal{J}}\)) die Abbildung Φρ : M(\({\mathcal{J}}\)) → ℂ mit \({\Phi }_{\varphi }(\mu )=\mathop{\int }_{{\mathcal{J}}}\varphi d\mu \) stetig ist. Dabei ist C(\({\mathcal{J}}\)) der Raum aller stetigen Funktionen φ : \({\mathcal{J}}\) → ℂ. Mit dieser Topologie ist M(\({\mathcal{J}}\)) ein kompakter topologischer Raum.
Die Menge M(\({\mathcal{J}}\), f) ⊆ M(\({\mathcal{J}}\)) aller invarianten Maße ist nicht leer, kompakt und konvex. Es ist μ ein Extremalpunkt von M(\({\mathcal{J}}\), f) genau dann, wenn μ ein ergodisches Maß ist, d. h. für alle B ∈ \({\mathfrak{B}}\) mit f−1(B) = B gilt μ(B) = 0 oder μ(B) = 1. Die Menge aller dieser Maße sei E(\({\mathcal{J}}\), f). Ein invariantes Maß μ auf \({\mathcal{J}}\) kann auch als invariantes Maß \(\hat{\mu }\) auf \(\hat{\mathbb{C}}\) mit supp \(\hat{\mu }\subset {\mathcal{J}}\) aufgefaßt werden, wenn man für \(E\subset \hat{{\mathbb{C}}}\) setzt
Zur Konstruktion eines solchen Maßes sei f eine rationale Funktion vom Grad d ≥ 2 und ℰ(f) die Menge aller \({z}_{0}\in \hat{{\mathbb{C}}}\) derart, daß
Invariante Maße spielen eine wichtige Rolle bei der Untersuchung von Julia-Mengen rationaler Funktionen (siehe auch Iteration rationaler Funktionen). Um dies näher zu erläutern, sind einige Vorbereitungen notwendig. Dazu sei im folgenden f stets eine rationale Funktion vom Grad d ≥ 2 und \({\mathcal{J}}\) die Julia-Menge von f. Weiter sei μ ein invariantes Maß auf \({\mathcal{J}}\) und \({\mathfrak{B}}\) die σ-Algebra, auf der μ definiert ist. Zur einfacheren Formulierung einiger Ergebnisse sei vorausgesetzt, daß \(\infty \notin {\mathcal{J}}\). Viele der folgenden Überlegungen gelten auch für invariante Maße auf \(\hat{{\mathbb{C}}}\), was jedoch nicht gesondert erwähnt wird, da dies in der Regel aus dem Zusammenhang hervorgeht.
Eine (meßbare) Zerlegung ξ von \({\mathcal{J}}\) ist eine Teilmenge von \({\mathfrak{B}}\) mit A ∩ B = Ø für alle A, B ∈ ξ mit A ≠ B und \(\mathop{\cup }\limits^{}\{A:A\in \xi \}={\mathcal{J}}\). Auf der Menge aller Zerlegungen von \({\mathcal{J}}\) wird eine Ordnungsrelation ≤ eingeführt durch ξ ≤ η, falls jede Menge A ∈ ξ eine Vereinigung von Mengen aus η ist. Jede Familie {ξj : j ∈ I} (wobei I eine beliebige Indexmenge ist) von Zerlegungen von \({\mathcal{J}}\) besitzt ein Supremum \({\bigvee }_{j\in I}{\xi }_{j}\) und ein Infimum \({\bigwedge }_{j\in I}{\xi }_{j}\) d. h. für alle k ∈ I gilt
Die Entropie einer endlichen Zerlegung ξ = {A1,…,Ak} von \({\mathcal{J}}\) ist definiert durch
Für \(\varphi \in C\left( \mathcal{J},\,\mathbb{R} \right)\), d. h. φ : \({\mathcal{J}}\) → ℝ stetig, sei
Ein Maß μ ∈ M(\({\mathcal{J}}\), f) heißt Gibbs-Maß bezüglich φ, falls
- Für jede Menge \(E\subset {\mathbb{C}}\) gilt 0 ≤ dimHE ≤ 2.
- Ist E eine höchstens abzählbare Menge, so ist dimHE = 0.
- Gilt E ⊂ F, so gilt dimHE ≤ dimHF.
- Ist E eine zusammenhängende Menge mit mindestens zwei Punkten, so ist dimHE ≥ 1. Ist E speziell ein rektifizierbarer Weg, so ist dimHE = 1, und \({\ell }_{1}(E)\) ist die Länge von E.
- Ist E eine nicht-leere offene Menge, so ist dimHE = 2, und \(\frac{\pi }{4}{\ell }_{2}(E)\) ist das zwei-dimensionale Lebesgue-Maß von E.
Diese Überlegungen lassen sich auf Mengen \(E\subset \hat{{\mathbb{C}}}\) übertragen, wenn man statt der Euklidischen Metrik in ℂ die chordale Metrik in \(\hat{{\mathbb{C}}}\) benutzt.
Die Borel-Dimension eines beliebigen Maßes μ auf \(\hat{{\mathbb{C}}}\) ist definiert durch
Ein konformes Maß mit Exponent δ > 0 ist ein Maß μ auf \({\mathcal{J}}\) mit
Ist f expandierend auf \({\mathcal{J}}\) und besteht die Fatou- Menge von f aus genau zwei Zusammenhangskomponenten, so ist \({\mathcal{J}}\) eine Jordan-Kurve. Weiter ist \({\mathcal{J}}\) entweder eine Kreislinie oder \(1\lt {\dim }_{\text{H}}{\mathcal{J}}\lt 2\). Man nennt Kurven \(\Gamma \subset {\mathbb{C}}\) mit dimH Γ > 1 auch fraktale Kurven. Ist speziell
Abschließend sei U ein vollständig invariantes stabiles Gebiet von f, d.h. f(U) = f−1(U) = U. Dann ist \(\partial U={\mathcal{J}}\), und das harmonische Maß \({\omega }_{U}^{a}\) ist für jedes a ∈ U ein invariantes Maß auf \({\mathcal{J}}\). Ist speziell f ein Polynom, so existiert ein vollständig invariantes stabiles Gebiet \(U={\mathcal{A}}(\infty )\) von f, das den Punkt ∞ enthält. In diesem Fall stimmt das harmonische Maß \({\omega }_{U}^{\infty }\) mit dem Maß maximaler Entropie überein, und es gilt dim \({\omega }_{U}^{\infty }=1\).
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