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Lexikon der Mathematik: Kopenhagener Interpretation

Interpretation der Quantenmechanik, die sich in den 20er Jahren in Kopenhagen durch die Arbeiten von N.Bohr und Mitarbeitern herausgebildet hat.

Dabei geht es vor allem um die Frage, wie man über Quantenphänomene sprechen kann; v.Weizäcker sagt, daß „die Natur früher ist als der Mensch, aber der Mensch früher als die Naturwissenschaft“ war. Das will sagen: An der schon vorhandenen Natur mit den zuerst faßbaren makroskopischen Erscheinungen hat der Mensch seine Sprache entwickelt, und die so entstandenen Begriffe standen der Entwicklung der Naturwissenschaft zur Verfügung. Den Begriffen sieht man ihren Gültigkeitsbereich nicht an. Erst der Gebrauch in der Wissenschaft kann ihre Grenzen aufzeigen.

Mit unserer Sprache haben wir keine Möglichkeit, die Erscheinungen im Bereich des Atoms als Ganzes zu erfassen. In bestimmten Experimenten gelingt eine angemessene Beschreibung der Materie mit von Null verschiedener Ruhmasse durch Begriffe, die aus der klassischen Teilchenphysik bekannt sind, z. B. beim Durchgang von solcher Materie durch die Wilsonsche Nebelkammer (das Teilchen ionisiert Wassermoleküle, an denen Wassertropfen kondensieren). In anderen Experimenten verhalten sich Objekte atomarer Ausdehnung wie Wellen, z. B. wenn ein Materiestrahl ein Gitter durchsetzt. Dann werden Beugungsbilder beobachtet.

Ähnlich zeigt sich Materie mit verschwindender Ruhmasse (zur damaligen Zeit war das nur das elektromagnetische Feld) wie ein Wellenphänomen. In einen anderen Experiment hat man wiederum den Eindruck, daß elektromagnetische Erscheinungen Teilchencharakter haben. Hierfür ist der Comptoneffekt ein Beispiel (Stoß von Photonen mit Elektronen).

Mit Teilchen- und Wellenbild erfassen wir mit der uns zur Verfügung stehenden Sprache Aspekte der Quantenwelt. Dabei ist es klar, daß die Begriffe des Wellen- bzw. Teilchenbildes nicht uneingeschränkt gültig sein können. Die Heisenbergsche Unschärferelationen zeigen die Gültigkeitsgrenzen des Teilchenbildes an: Nach der klassischen Teilchenphysik braucht man die Kenntnis von Ort und Impuls zu einem Zeitpunkt, um jede andere Lage berechnen zu können. Diese Kenntnis ist aber nach der Quantenphysik ausgeschlossen. Jedoch können wir im Rahmen der durch die Quantenmechanik gesetzten Grenzen immer noch von Ort und Geschwindigkeit sprechen (Nebelkammer!).

Bohr hat diese Situation mit dem Begriff „Komplementarität“ versucht zu erfassen: Beide Bilder ergänzen sich. Auch vom Welle-Teilchen-Dualismus ist die Rede, und man meint damit natürlich nicht, daß beide Bilder gleichzeitig eine strenge Beschreibung von Quantenphänomenen liefern.

Da wir Experimente nur mit unserer Sprache beschreiben können, müssen wir nach der Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik einen Schnitt machen zwischen den zu untersuchenden Quantenphänomenen auf der einen Seite, und der im Rahmen der klassischen Physik ablaufenden Beschreibung des Experiments auf der anderen. Diese Grenze ist jedoch nicht starr gegeben. Es ist in Grenzen willkürlich, was zum Phänomen und was zur experimentellen Einrichtung gezählt werden soll.

In der Kopenhagener Interpretation wird die Rolle der Beoachtung besonders herausgearbeitet. Im Gegensatz zur Makrophysik kann die Beobachtung das System so stark stören, daß solche Begriffe wie Bahn des Elektrons im Atom sinnlos werden.

Der erwähnte Schnitt zwischen Mikro- und Makrophysik wird besonders problematisch, wenn das Universum selbst Gegenstand der Quantentheorie wie in in der Quantenkosmologie wird. Seine Überwindung ist der Ausgangspunkt für eine Interpretation der Quantenmechanik aus sich selbst heraus.

[1] Heisenberg, W.: Die physikalischen Prinzipien der Quantentheorie. Verlag von S. Hirzel Leipzig, 1930.
[2] Heisenberg, W.: Physik und Philosopie. Verlag Ullstein Frankfurt/M.-Berlin, 1959.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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