Lexikon der Mathematik: lineare Differentialgleichung
eine gewöhnliche Differentialgleichungn-ter Ordnung für die Funktion y, die in y, y′, …, y(
Mit 𝕂 = ℝ oder 𝕂 = ℂ, einem offenen Intervall I ⊂ ℝ, und stetigen Funktionen b, ai : I → 𝕂 hat sie also die Form
b heißt Inhomogenität der Differentialgleichung. Falls b(x) = 0 für alle x ∈ I, so heißt die lineare Differentialgleichung homogene Differentialgleichung, sonst inhomogene Differentialgleichung. Eine Differentialgleichung für y, die nicht in allen y, y′, …, y(
Die 𝕂-wertigen Lösungen (Lösung einer Differentialgleichung) der Gleichung (1) bilden einen n-dimensionalen affinen Raum über 𝕂. Die Lösungen der zugehörigen homogenen Gleichung
bilden einen n-dimensionalen Vektorraum.
Jede Lösung von (1) ist von der Form y = yp + yh. Dabei ist yp eine partikuläre (spezielle) Lösung der inhomogenen Gleichung (1) und yh eine geeignete Lösung der homogenen Gleichung (2), d. h., mit einem Fundamentalsystemy1, …, yn von (2) ist
mit geeigneten ci ∈ 𝕂.
Sind also y1, y2 zwei Lösungen der linearen Gleichung (1), so ist y1 − y2 eine Lösung der zugehörigen homogenen Gleichung (2). Zum Lösen einer linearen Differentialgleichung benötigt man also ein Fundamentalsystem der homogenen Gleichung und eine partikuläre Lösung der inhomogenen Gleichung. Ein allgemeines Verfahren zur Bestimmung eines Fundamentalsystems existiert nur für den Spezialfall der linearen Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten. Ist allerdings ein Fundamentalsystem der homogenen Gleichung bekannt, so kann man eine partikuläre Lösung der inhomogenen Gleichung durch Variation der Konstanten erzeugen.
Mit y1 := y, y2 := y′, …, yn := y(n−1), y := (y1, …, yn)T, b(t) := (0, …, 0, b(t))T und
ist die lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung (1) äquivalent zu dem folgenden System von n linearen Gleichungen 1. Ordnung (lineares Differentialgleichungssystem):
Viele Sätze über lineare Differentialgleichungssysteme können so direkt auf lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung übertragen werden.
Von besonderem Interesse ist der Spezialfall der linearen Differentialgleichung zweiter Ordnung, der in vielen physikalischen Anwendungen auftritt. Mit Funktionen p, q, f hat sie die allgemeine Form
Die Inhomogenität f wird bisweilen als Störung der homogenen Differentialgleichung bezeichnet, da sie in vielen Anwendungen als eine von außen wirkende Störung aufgefaßt werden kann.
Falls p und q Konstanten sind (lineare Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten), gibt es geschlossene Formeln für die allgemeine Lösung der homogenen linearen Differentialgleichung
Das zugehörige charakteristische Polynom
hat die Nullstellen
Abhängig vom Radikanden in (4) ergeben sich drei Fälle:
1.) p2/4−q > 0 : Die beiden reellen verschiedenen Nullstellen λ1,2 führen zu den linear unabhängigen Lösungen
2.) p2/4 − q = 0 : Die reelle doppelte Nullstelle λ führt zu den beiden linear unabhängigen Lösungen
3.) p2/4 − q< 0 : Die beiden konjugiert komplexen Nullstellen λ1,2 = α ± i β führen zu den beiden linear unabhängigen reellen Lösungen
Damit ergibt sich für die allgemeine Lösung von (4) die Formel
mit Konstanten c1, c2 ∈ ℝ, die man für eine konkrete Lösung aus Anfangs- bzw. Randbedingungen erhält.
Für die systematische Berechnung einer partikulären Lösung der inhomogenen Differentialgleichung kann das Verfahren der Variation der Konstanten verwendet werden.
[1] Kamke, E.: Differentialgleichungen, Lösungsmethoden und Lösungen I. B. G. Teubner Stuttgart, 1977.
[2] Walter, W.: Gewöhnliche Differentialgleichungen. Springer-Verlag Berlin, 1972.
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