Direkt zum Inhalt

Lexikon der Mathematik: Mathieu-Funktion

eine π- oder 2π-periodische Lösung der Mathieuschen Differentialgleichung in z\begin{eqnarray}\begin{array}{cc}\frac{{d}^{2}w}{d{z}^{2}}+(\lambda -2q\cos 2z)w=0,\end{array}\end{eqnarray} wobei λ und q ≠ 0 zwei komplexe Parameter sind. Betrachtet man die Mathieusche Differentialgleichung als eine Differentialgleichung über ℝ, so ist sie ein Sonderfall der Hillschen Differentialgleichung, also einer Differentialgleichung mit periodischen Koeffizienten. Diese Differentialgleichung ist in der Schwingungslehre von großer Bedeutung. Ausgehend von einem Fundamentalsystemy1, y2 von (1), das den Bedingungen y1(0) = 1, \({y}_{1}^{\text{'}}(0)=0\) und y2(0) = 0, \({y}_{2}^{^{\prime} }(0)=1\) genügt, erhält man mit dem Satz von Floquet Aussagen über die Periodizität der Lösungen und darüber, ob diese gerade oder ungerade sind.

Für die Schwingungslehre noch wichtiger sind die daraus folgenden Aussagen über die Stabilität, d. h. hier die Beschränktheit der Lösungen auf ℝ: Für |y1(π)| < 1 sind alle Lösungen von (1) auf ℝ beschränkt. Im Falle |y1(π)| > 1 sind alle Lösungen unbeschränkt. Zusätzlich sind im Falle y1(π) = ±1 und \({y}_{1}^{^{\prime} }(\pi )={y}_{2}(\pi )=0\) alle Lösungen beschränkt. In allen anderen Fällen treten sowohl unbeschränkte als auch beschränkte Lösungen auf.

Der Parameter λ wird Eigenwert genannt, da die Differentialgleichung durch Umstellung zum Eigenwertproblem \begin{eqnarray}-\frac{{d}^{2}w}{d{z}^{2}}+2q\cos 2z=\lambda w\end{eqnarray} wird. In dieser Form ist die Differentialgleichung insbesondere für die mathematische Physik von Interesse.

Substitutiert man z durch iz, so entsteht die modifizierte Mathieusche Differentialgleichung \begin{eqnarray}\frac{{d}^{2}w}{d{z}^{2}}-(\lambda -2q\cosh 2z)w=0\,\,\,(q\ne 0).\end{eqnarray}

Man kann viele Eigenschaften der Lösungen der modifizierten Mathieuschen Differentialgleichung durch eben diese Substitution auf die Lösungen der Mathieuschen Differentialgleichung zurückführen.

Bezeichnet man weiterhin z = cos t, so entsteht die algebraische Mathieusche Differentialgleichung \begin{eqnarray}(1-{t}^{2}){y}^{^{\prime\prime} }-t{y}^{^{\prime} }+(\lambda +2q-4q{t}^{2})y=0,\end{eqnarray} wobei y(t) ≔ w(cos t).

Da die Mathieusche Differentialgleichung eine Differentialgleichung mit periodischen Koeffizienten ist, lassen sich, wie oben angedeutet, nach dem Satz von Floquet immer Lösungen der Gestalt \begin{eqnarray}{\text{me}}_{v}(z,q)={e}^{ivz}P(z)\end{eqnarray} finden, wobei P(z) eine π-periodische Funktion und v eine von λ und q abhängige Konstante ist. Aus diesem Grunde bezeichnet man die Funktionen me v(cot, q) auch als „Floquet-Lösungen“. Man beachte, daß v nicht eindeutig ist, denn die Addition einer geraden Zahl zu v entspricht lediglich der Multiplikation einer π-periodischen Funktion, die zu P geschlagen werden kann.

Wie man sofort erkennt, ist mit me v (z, q) auch me v (−z, q) eine Lösung zum charakteristischen Exponenten −v. Diese beiden Lösungen sind für nicht-ganzzahlige v, und nur dann, linear unabhängig und spannen somit den gesamten Lösungsraum auf. Für gegebenes v, q und λ ist dann me v(·, λ) bis auf einen konstanten Faktor eindeutig bestimmt, und es kann me v (z, q) = me v (−z, q) gewählt werden. Man normiert dann me v(z, q) durch \begin{eqnarray}\begin{array}{rcl}\frac{1}{\pi }\displaystyle \underset{0}{\overset{\pi }{\int }}{\text{me}}_{v}(z,q){\text{me}}_{v}(-z,q)dz & = & 1,\\ {\text{me}}_{v}(z,0) & = & {e}^{2vz}.\end{array}\end{eqnarray}

Hieraus baut man wiederum die geraden und ungeraden Lösungen ce v und se v auf: \begin{eqnarray}\begin{array}{lll}{\text{ce}}_{v}(z,q) & := & \frac{1}{2}({\text{me}}_{v}(z,q)+{\text{me}}_{-v}(z,q))\\ {\text{se}}_{v}(z,q) & := & \frac{1}{2i}({\text{me}}_{v}(z,q)-{\text{me}}_{-v}(z,q))\end{array}\end{eqnarray}

Die entsprechenden Lösungen der modifizierten Mathieuschen Differentialgleichung erhalten einen Großbuchstaben: \begin{eqnarray}\begin{array}{c}{\text{Me}}_{v}(z,q):={\text{me}}_{v}(-iz,q)\\ {\text{Ce}}_{v}(z,q):={\text{ce}}_{v}(iz,q)\\ {\text{Se}}_{v}(z,q):=-i{\text{se}}_{v}(iz,q)\end{array}\end{eqnarray}

Für ganzzahliges v existiert zumindest eine Floquet-Lösung, die dann entweder π-oder zumindest 2π-periodisch ist. Eine der beiden Funktionen ce oder se verschwindet in diesem Falle. Diese periodischen Lösungen spielen in der Theorie der Mathieuschen Differentialgleichung eine wichtige Rolle und werden deshalb als „Mathieufunktionen“ oder auch als „Lösungen erster Art“ bezeichnet. Die zweite, linear unabhängige Lösung ist in diesem Falle nie periodisch; sie heißen entsprechend „Lösungen zweiter Art“, werden aber eher selten benötigt.

Weiterhin verwendet man zum Teil die sog. „Lösungen dritter Art“, die so aus den Fundamentallösungen kombiniert werden, daß sie für zi∞ oder z → −i∞ gegen Null gehen.

[1] Abramowitz, M.; Stegun, I.A.: Handbook of Mathematical Functions. Dover Publications, 1972.
[2] Erdélyi, A.: Higher transcendential functions, vol. 3. McGraw-Hill, 1953.
[3] Meixner, J.; Schäfke, F.W.: Mathieusche Funktionen und Sphäroidfunktionen. Springer Berlin/Heidelberg, 1954.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.