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Lexikon der Mathematik: Näherungsmethoden in der Quantenmechanik

Methoden zur approximativen Berechnung von Eigenwerten und -funktionen von Observablen, insbesondere des Hamilton-Operators, und der Zeitabhängigkeit von Wellenfunktionen zur Bestimmung von Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen Zuständen.

Diese Methoden werden in den verschiedenen Darstellungen der Quantenmechanik formuliert. Im wesentlichen handelt es sich um folgende Verfahren:

1. In der Störungstheorie geht man von einem physikalischen System aus, für dessen („ungestörten“) Hamilton-Operator \({\hat{H}}^{(0)}\) man die Eigenwerte \({E}_{n}^{(0)}\) und -funktionen \({\psi }_{n}^{(0)}\) berechnen kann. Das eigentlich interessierende System hat aber den Hamilton-Operator \(\hat{H}={\hat{H}}_{0}+\varepsilon \hat{V}\), wobei ϵ ein kleiner Parameter und \(\varepsilon \hat{V}\) eine „Störung“ ist. \(\hat{V}\) kann wiederum eine Potenzreihe in nicht negativen Potenzen von ϵ sein. Hier ist u. a. die asymptotische Störungstheorie zu nennen, bei der das Plancksche h die Rolle von ϵ spielt. Man spricht hier auch von quasiklassischer Näherung.

Es sind nun noch zwei Fälle zu unterscheiden:

a) \({\hat{H}}^{(0)}\) und \(\hat{V}\) sind zeitunabhängig (Schrödingersche Störungsrechnung): In diesem Fall wird nach dem Eigenwert En und der Eigenfunktion ψn von \(\hat{H}\) gefragt. Unter der Annahme, daß die \({\hat{\psi }}_{n}^{(0)}\), ein vollständiges Funktionensystem bilden, wird ψn nach diesen Eigenfunktionen des ungestörten Systems entwickelt, \({\psi }_{n}={{\rm{\Sigma }}}_{m}{\psi }_{m}^{(0)}{c}_{mn}\), und für En der Reihenansatz \({E}_{n}={{\rm{\Sigma }}}_{k}{E}_{n}^{(k)}\) gemacht. Damit wird man auf ein Gleichungssystem zur iterativen Bestimmung von En und ckn für k = 1,… geführt.

b) \({\hat{H}}^{(0)}\) ist zeitunabhängig und \(\hat{V}\) ist zeitabhängig (Diracsche Störungsrechnung). Hierbei handelt es sich um ein Anfangswertproblem: Durch eine schwache Störung, die zum Zeitpunkt t = 0 zu wirken beginnt, wird ein System aus einem Anfangszustand φ in einen Zustand ψ(t) gebracht, und man fragt nach der Wahrscheinlichkeit dafür, in welchem Zustand sich das System nach der Störung befindet, und welchen Mittelwert Observable dann haben.

Für die Wellenfunktion ψ(t) wird \(\hat{U}(t)\hat{S}(t)\phi \) angesetzt, wobei \(\hat{U}(t)={e}^{-\frac{i}{\hslash }{\hat{H}}^{(0)}t}\). \(\hat{S}(t)\) wird Streuoperator genannt. Nach Wahl einer Basis im Hilbertraum ergibt sich daraus die (Dysonsche) S-Matrix. Mit ψ(t) führt die zeitabhängige SchrödingerGleichung auf

\begin{eqnarray}[\frac{\hslash }{i}\frac{d}{dt}+\varepsilon \tilde{V}(t)]\hat{S}(t)=0\end{eqnarray}

mit \(\hat{S}(0)=1\) und \(\tilde{V}(t)={\hat{U}}^{-1}(t)\hat{V}(t)\hat{U}(t)\) (Wechselwirkungsbild oder Wechselwirkungsdarstellung). Mit der Anfangsbedingung wird die Gleichung für \(\hat{S}\) in eine Integralgleichung umgewandelt, die durch die formale Störungsreihe

\begin{eqnarray}\begin{array}{c}\hat{S}(t)=1+\displaystyle \sum _{n=1}^{\infty }{(-\frac{i\varepsilon }{\hslash })}^{n}\displaystyle \underset{-\infty }{\overset{t}{\int }}d{t}_{1}\displaystyle \underset{\infty }{\overset{{t}_{1}}{\int }}d{t}_{2}\ldots \\ \quad\quad \displaystyle \underset{\infty }{\overset{{t}_{n-1}}{\int }}d{t}_{n}\tilde{V}({t}_{1})\ldots \tilde{V}({t}_{n})\end{array}\end{eqnarray}

gelöst wird. Zur angenäherten Bestimmung der Wellenfunktion wird die Summation nach endlich vielen Gliedern abgebrochen.

2. Beim Ritzschen Variationsverfahren wird der Minimalwert der Energie näherungsweise bestimmt. Der zugehörige Zustand φ wird nach den Funktionen \({\phi }_{n}^{(0)}\) eines vollständigen Orthonormalsystems entwickelt, \(\phi =\displaystyle {\sum }_{n=0}^{\infty }{\phi }_{n}^{(0)}{c}_{n}\). Der gesuchte Wert E für die Energie hängt dann i. allg. zunächst von allen cn ab. Notwendige Bedingung für die Existenz eines Minimums ist

\begin{eqnarray}\frac{\partial E}{\partial {c}_{k}}=0\end{eqnarray}

für alle k. Die Näherung besteht nun darin, daß man für φ eine dem System angepaßte funktionale Struktur wählt, die nur von endlich vielen ck abhängt.

3. Zur Bestimmung von Energie und Zustandsfunktion eines Systems von Elektronen wird das Hartree-Fock-Verfahren angewendet, wenn die Zahl N der Elektronen nicht zu groß ist (N bis etwa 30 bei neutralen Atomen). Der Ansatz für den Zustand ψ lautet \(\psi =\frac{1}{N!}\det \quad ({\psi }_{{n}_{i}}(k))\), er wird aus den Einteilchenwellenfunktionen \({\psi }_{{n}_{i}}(k)\) aufgebaut, wobei k die Orts- und Spinkoordinate des k-ten Elektrons und ni seinen Zustand bezeichnet. Mit dem Ansatz für den Zustand des Teilchensystems wird das Pauli-Verbot automatisch berücksichtigt. Unter Berücksichtigung von Normierungsbedingungen wird aus der Forderung, daß die Energie des Systems minimal sein soll, ein System von Integralgleichungen abgeleitet, in dem ein effektives Potential für die Bewegung des einzelnen Elektrons auftritt. Dieses System von Gleichungen wird mit der self-consistent-field-Methode numerisch gelöst: Man startet mit einem Ansatz für die Einteilchenzustände, berechnet damit das effektive Potential und dann die Einteilchenzustände. Dieses Verfahren wird wiederholt, bis sich die effektiven Potentiale der (n − 1)-ten und n-ten Näherung um einen Betrag unterscheiden, der kleiner als eine vorgegebene Schranke ist.

4. Das Thomas-Fermi-Modell liefert eine Beschreibung von Atomen mit hoher Ordnungszahl, die eine Anwendung des Hartree-Fock-Verfahrens aus rechentechnischen Gründen sehr erschwert. In diesem Fall wird das System der Elektronen näherungsweise als Fermi-Gas (Fermi-Dirac-Statistik) betrachtet, das im Grundzustand alle Phasenraumzellen bis zu einem Maximalimpuls besetzt. Unter Berücksichtigung der zwischen Maximalimpuls und Teilchendichte bestehenden Beziehung und der Energiebilanz der Elektronen wird aus der Poisson-Gleichung das Potential und damit aus der Schrödingergleichung die Zustandsfunktion bestimmt. In Kernnähe und in großer Entfernung vom Kern ist das Modell unbrauchbar.

Die Frage, ob physikalisch interessierende Größen wie z. B. die Eigenwerte des gestörten Systems analytische Funktionen von ∈ sind, wird in der analytischen Störungstheorie [2] behandelt. Wenn \(\hat{V}\) unbeschränkt ist, ist die Analytizität der Eigenwerte nicht immer gegeben. Beispiele dafür sind der anharmonische Oszillator, der Stark-Effekt, der Zeeman-Effekt, und die Hyperfeinstruktur. Bei fehlender Analytizität kann eine divergierende Störungsreihe vorliegen, obwohl Eigenwerte für das gestörte System existieren. Die Reihe kann auch gegen einen falschen Wert konvergieren. Es wird auch versucht, durch Umordnung der Glieder einer divergenten Reihe zur Konvergenz zu kommen. Bei solchen Verfahren bleibt natürlich die Frage, welche Bedeutung die so gewonnenen Ergebnisse haben können.

[1] Landau, L. D.; Lifschitz, E. M.: Lehrbuch der Theoretischen Physik,Teil III, Quantenmechanik. AkademieVerlag Berlin, 1985.
[2] Kato, T.: Perturbation Theory for Linear Operators. Springer-Verlag Berlin/Heidelberg/New York, 1966.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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