Lexikon der Mathematik: Parallelenproblem
Problem der Beweisbarkeit des Parallelenaxioms.
Von der Veröffentlichung der „Elemente“ des Euklid (ca. 325 v. Chr.) an bis in das 19. Jahrhundert hinein versuchten viele Mathematiker, das Parallelenaxiom des Euklid aus den anderen Axiomen und Postulaten der euklidischen Geometrie abzuleiten und damit als Axiom (bzw. Postulat) überflüssig zu machen. In ihren unzähligen Beweisversuchen setzten sie aber immer wieder Aussagen als selbstverständlich voraus, die letztendlich zum Parallelenaxiom äquivalent sind, wie z. B. den Innenwinkelsatz für Dreiecke, die Existenz ähnlicher (aber dabei nicht kongruenter) Figuren oder die Tatsache, daß Abstandslinien Geraden sind.
Begünstigt wurde die lange und erfolglose Suche nach einem Beweis für das Parallelenpostulat unter anderem durch die nicht ganz exakte Formulierung der Axiome und Postulate in den Elementen, zudem sich das Verständnis von mathematischer Strenge und konsequent axiomatisch-deduktivem Aufbau erst im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts rapide entwickelte (u. a. mit der Entwicklung des ersten völlig exakten Axiomensystems der Geometrie durch David Hilbert, Axiome der Geometrie). Die Bedeutung, die dem Parallenproblem beigemessen wurde, verdeutlicht der folgende Ausschnitt aus einem Brief des ungarischen Mathematikers Farkas (Wolfgang) Bolyai an seinen Sohn Janos (1820):
Du darfst die Parallelen nicht auf jenem Wege versuchen; ich kenne diesen Weg bis an sein Ende – auch ich habe diese bodenlose Nacht durchmessen, jedes Licht, jede Freude meines Lebens sind in ihr ausgelöscht worden – ich beschwöre Dich bei Gott – laß die Lehre von den Parallelen in Frieden … sie kann Dich um all Deine Ruhe, Deine Gesundheit und um Dein ganzes Lebensglück bringen. … Wenn ich die Parallelen hätte entdecken können, so wäre ich ein Engel geworden …. Es ist unbegreiflich, daß diese unabwendbare Dunkelheit, diese ewige Sonnenfinsternis, dieser Makel der Geometrie zugelassen wurde, diese ewige Wolke an der jungfräulichen Wahrheit.
Letztendlich gehörte Janos Bolyai neben Carl Friedrich Gauß und Nikolai Iwanowitsch Lobatschewski zu den drei Mathematikern, die (weitestgehend unabhängig voneinander) das Parallenproblem auf eine völlig unerwartete Weise lösten, indem sie zeigten, daß der Beweis des Parallelenaxioms aus den Axiomen der absoluten Geometrienicht möglich ist. Dazu entwickelten sie die nichteuklidische Geometrie, eine Geometrie, in der alle Axiome der absoluten Geometrie und die Negation des euklidischen Parallenaxioms gelten.
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