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Lexikon der Mathematik: Proportionenlehre

die Lehre von den Verhältnissen.

Bereits in der vorgriechischen Mathematik wurden, teilweise durch praktische Probleme veranlaßt, Verhältnisse betrachtet, eine Proportionentheorie entwickelten aber erst die Griechen. Ein Element der pythagoräischen Philosophie bildete die Unteilbarkeit der Eins, sodaß in der darauf basierenden pythagoräischen Mathematik keine Brüche auftreten konnten und man ein Äquivalent dafür schaffen mußte. Dieses Äquivalent lieferte die Proportionenlehre. Sie basierte auf der Definition: „Zahlen stehen in Proportion, wenn die erste von der zweiten Gleichvielfaches oder derselbe Teil oder dieselbe Menge von Teilen ist wie die dritte von der vierten“ (Euklid, Elemente Buch VII, Def. 20). Diese Proportionenlehre war eng mit der pythagoräischen Musiktheorie verbunden und enthielt neben den in Sätzen über Proportionen formulierten Regeln der Bruchrechnung auch verschiedene Mittelbildungen.

Mit der Entdeckung inkommensurabler Größen wurde auch die Schaffung einer neuen Proportionenlehre notwendig. Dies wurde von Eudoxos von Knidos geleistet. Seine Theorie bildete die Grundlage von Buch V der „Elemente“ Euklids und ist uns in dieser Form überliefert worden. Demgemäß definierte Eudoxos, daß zwei Größen ein Verhältnis zueinander haben, wenn jede durch Vervielfachung jeweils die andere übertreffen kann. Diese Definition stimmt inhaltlich mit dem Archimedischen Axiom überein und schließt unendlich kleine bzw. unendlich große Größen aus den Betrachtungen aus.

In einer weiteren wichtigen Definition erklärte Eudoxos die Gleichheit zweier Verhältnisse: „Man sagt, daß Größen in demselben Verhältnis stehen, die erste zur zweiten wie die dritte zur vierten, wenn bei beliebiger Vervielfältigung die Gleichvielfachen der ersten und dritten den Gleichvielfachen der zweiten und vierten gegenüber, paarweise entsprechend genommen, entweder zugleich größer oder zugleich gleich oder zugleich kleiner sind. (…) Die dasselbe Verhältnis habenden Größen sollen in Proportionen stehend heißen.“ (Euklid, Elemente, Buch V, Def. 5, 6).

Mit anderen Worten: Zwischen den Größen A, B, C, D gilt A : B = C : D, wenn für je zwei Zahlen m und n stets zugleich gilt: nA >mB und nC >mD oder nA = mB und nC = mD oder nA< mB und nC< mD. Auf dieser Basis baute Eudoxos dann seine Theorie auf, wobei formal in der Proportion A : B = C : D zwar A, B bzw. C, D von gleicher Art sein mußten, nicht aber alle vier Größen.

Nach Aristoteles gab es noch eine weitere Definition der Gleichheit von Verhältnissen, die ein Verfahren benutzte, das dem Euklidischen Algorithmus äquivalent war.

Anwendung fand die Proportionenlehre vor allem bei der Beschreibung funktionaler Zusammenhänge, wie sie in der Kegelschnittslehre oder bei physikalischen Sachverhalten auftraten.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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