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Lexikon der Mathematik: quantenmechanischer Drehimpuls

in der nichtrelativistischen Quantenmechanik der Operator \(\hat{{\mathfrak{J}}}\) mit den Komponenten \({\hat{J}}_{1},{\hat{J}}_{2},{\hat{J}}_{3},\) die den Vertauschungsrelationen \([{\hat{J}}_{a},{\hat{J}}_{b}]=i{\varepsilon }_{ab}^{c}{\hat{J}}_{c}\) genügen (Kommutator), wobei a, b, c = 1, 2, 3.

Die Eigenwerte von \({\hat{{\mathfrak{J}}}}_{2}\) sind J(J + 1), wobei J alle ganzen und halbganzen nichtnegativen Zahlen 0, 1/2, 1,…durchläuft (Quantisierung des Drehimpulses). \(\hat{{\mathfrak{J}}}\) ist mit nur einer seiner Komponenten vertauschbar, diese Komponente hat die (2J + 1) Eigenwerte −J,−J + 1,…,J − 1, J.

Die Gruppe der Drehungen des dreidimensionalen euklidischen Raums, E3, hat eine unendlichdimensionale Darstellung 𝔇 über den Funktionen in L2 (E3). Sind ψ und ψ′ aus L2 (E3), und ist 𝔵 → 𝔵′ eine Drehung, dann ist die Wirkung der unendlichdimensionalen Darstellung durch ψ′ (𝔵′) = ψ(𝔵) gegeben. Die irreduziblen endlichdimensionalen Bestandteile 𝔇(L), wobei L nicht negativ und ganz ist, wirken auf Unterräumen der Dimension (2L + 1). Jede dieser irreduziblen Darstellungen erscheint unendlich oft: Führt man in E3 statt der kartesischen Koordinaten Kugelkoordinaten r, ϑ, φ ein, dann sind die Basiselemente der Darstellungsräume der irreduziblen Anteile durch Ausdrücke der Form Φn (r)YL (ϑ, φ) gegeben, wobei Φn (r) ein unendliches System von Funktionen sein soll, nach denen die Funktionen Φ(r) entwickelt werden können. Der Index n parametrisiert dann die Darstellungen 𝔇(L). Für ein Elektron im Zentralfeld einer Punktladung durchläuft n die Menge der nicht negativen ganzen Zahlen und charakterisiert seine Energieniveaus.

Wir bezeichnen die Elemente des Darstellungsraums, der das Produkt aus dem Darstellungsraum von 𝔇 und dem Darstellungsraum einer irreduziblen endlichdimensionalen Darstellung 𝔇(S) ist, mit ψσ(𝔵) (S nichtnegativ und ganz, σ durchläuft die (2S + 1) Werte −S,…,+S).

Ferner soll ψnMσ(𝔵) ein Element aus dem Darstellungsraum sein, der ein Produkt aus dem Darstellungsraum eines irreduziblen Teils der unendlichdimensionalen Darstellung mit der Dimension (2L + 1) und dem Darstellungsraum einer endlichdimensionalen Darstellung der Dimension (2S + 1) sei. Diese Struktur hat die Wellenfunktion eines Elektrons im Zentralfeld, wenn sein Energieniveau durch n charakterisiert wird, das Betragsquadrat seines Bahndrehimpulses durch L(L + 1), eine seiner Komponenten durch M, S = 1/2 gegeben ist, und σ einen der Werte +1/2 oder −1/2 annimmt.

Der quantenmechanische Drehimpulsoperator ist im wesentlichen eine Realisierung einer infinitesimalen Drehung in einem Darstellungsraum der Drehgruppe. Man bezeichnet ihn auch als Bahndrehimpulsoperator. Der Spindrehimpuls ist im wesentlichen die Wirkung einer infinitesinalen Drehung in einem endlichdimensionalen Darstellungsraum der Drehgruppe.

In der klassischen Mechanik wird der Drehimpuls eines Teilchens durch durch das Kreuzprodukt 𝔯 × 𝔭 von Orts- und Impulsvektor definiert. Formal kann man den Drehimpulsoperator auch dadurch einführen, daß man in dem Ausdruck der klassischen Mechanik die beiden Vektoren durch ihre Operatoren ersetzt. Man muß aber bedenken, daß der so gebildete Operator vom Standpunkt der Messung keine rechte Bedeutung hat, weil beide Operatoren nicht gleichzeitig gemessen werden können. In der Quantenmechanik erklärt sich der Drehimpulsoperator aus den Eigenschaften physikalischer Systeme bei Drehungen im dreidimensionalen euklischen Raum.

Bisher ist nur der Fall betrachtet worden, daß in dem Eigenwert J(J + 1) die Zahl J ganzzahlig ist. Der Fall, daß J halbganz ist, tritt bei den in der Physik oft so genannten zweiwertigen Darstellungen der Drehgruppe auf. In Wirklichkeit handelt es sich hierbei aber um Darstellungen der Gruppe SU(2), die die universelle Überlagerungsgruppe der dreidimensionalen Drehgruppe ist. Allgemein werden die Elemente der Darstellungsräume Spinoren genannt.

Wenn das betrachtete physikalische System invariant gegenüber Drehungen ist wie im Fall eines Elektrons im zentralsymmetrischen Feld einer Punktladung, dann ist der zugehörige Hamiltonoperator mit dem Drehimpulsoperator vertauschbar, was wiederum die zeitliche Konstanz des Drehimpulses bedeutet.

Der Drehimpulsoperator ergibt sich in der relativistischen Quantenmechanik auf natürliche Weise, weil die Erfüllung der Forderungen aus Quantenmechanik und spezieller Relativitätstheorie bedingt, daß die Wellenfunktion eine vierkomponentige Größe (Spinor) ist, die einem Darstellungsraum der Lorentz-Gruppe beziehungsweise ihrer universellen Überlagerungsgruppe angehört, und diese wiederum die Drehgruppe des dreidimensionalen Unterraums beziehungsweise ihre universelle Überlagerungsgruppe enthält.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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