Lexikon der Mathematik: quasikonforme Abbildung
eine Verallgemeinerung des Begriffes der konformen Abbildung. Zur genauen Definition sind einige Vorbereitungen notwendig.
Es sei γ : [0,1] → ℂ eine Jordan-Kurve und
\begin{eqnarray}\Gamma :=\{\gamma (t):t\in [0,1]\}.\end{eqnarray}
Dann besitzt ℂ\Γ genau zwei Zusammenhangskomponenten, und zwar eine beschränkte und eine unbeschränkte. Die beschränkte sei mit G bezeichnet. Man nennt G auch das Innere von Γ. Für z0 ∈ G wird durch
\begin{eqnarray}\varphi (t):=\arg (\gamma (t)-{z}_{0})\end{eqnarray}
eine stetige Funktion φ: [0, 1) → ℝ definiert, wobei arg z das Argument Einer Komplexen Zahlz bezeichnet. Es existiert der linksseitige Grenzwert \(\varphi (1-):=\mathop{\mathrm{lim}}\limits_{t\to 1-}\varphi (t)\), und es gilt entweder
\begin{eqnarray}\begin{array}{ccc}\varphi (1-)-\varphi (0)=2\pi & \text{oder} & \varphi (1-)-\varphi (0)=-2\pi.\end{array}\end{eqnarray}
Im ersten Fall nennt man γ eine positiv und im zweiten eine negativ orientierte Jordan-Kurve.
Es seien G, G′ ⊂ ℂ Gebiete und f ein Homöomorphismus von G auf G′. Ist γ : [0,1] → G eine Jordan-Kurve in G, so ist f ○ γ : [0,1] → G′ eine Jordan-Kurve in G′. Man nennt f orientierungserhaltend, falls für jede positiv orientierte Jordan-Kurve γ in G auch die Bildkurve f ○ γ positiv orientiert ist.
Eine quasikonforme Abbildung wird nun mit Hilfe des Moduls eines Vierecks definiert. Dazu sei Q = (Q; a, b, c, d) ein Viereck mit \(\overline{Q}\subset G\) und m(Q) der zugehörige Modul. Dann ist Q’ = (f (Q); f (a), f (b), f (c), f (d)) ein Viereck mit \(\overline{f(Q)}\subset {G}^{\prime}\), und man nennt den Quotienten m(Q’)/m(Q) die Dilatation von m(Q) unter f. Die Zahl
\begin{eqnarray}K(G):=\mathop{\sup }\limits_{\overline{Q}\subset G}\displaystyle \frac{m(\bf{Q}\text{'})}{m(\bf{Q})},\end{eqnarray}
wobei das Supremum über alle Vierecke Q mit \(\overline{Q}\subset G\) gebildet wird, heißt die maximale Dilatation von f in G. Es gilt stets K(G) ≥ 1. Man nennt f eine quasikonforme Abbildung, falls K(G) < ∞. Ist K eine Zahl mit K(G) ≤ K< ∞, so heißt f eine K-quasikonforme Abbildung.
Da der Modul eines Vierecks unter konformen Abbildungen invariant ist, ist jede konforme Abbildung eine 1-quasikonforme Abbildung. Weitere 1-quasikonforme Abbildungen gibt es nicht.
Aus der Definition erhält man folgende Eigenschaften quasikonformer Abbildungen.
(a) Ist f : G → G′ eine K-quasikonforme Abbildung, so gilt dies auch für die Umkehrabbildung f−1 : G′ → G.
(b) Ist f1 : G → G′ eine K1-quasikonforme und f2 : G′ → G′′ eine K2-quasikonforme Abbildung, so ist die Komposition f2 ○ f1 : G → G′′ eine K1K2-quasikonforme Abbildung.
(c) Es sei (fn) eine Folge K-quasikonformer Abbildungen fn : G → Gn, die in G kompakt konvergent gegen einen Homöomorphismus f : G → G′ ist (kompakt konvergente Folge). Dann ist auch f eine K-quasikonforme Abbildung.
Man erhält eine äquivalente Definition des Begriffs quasikonforme Abbildung, wenn man in der obigen Definition den Modul eines Vierecks durch den Modul eines Ringgebietes oder den Modul einer Kurvenfamilie ersetzt.
Neben der obigen geometrischen Definition gibt es noch eine äquivalente analytische Definition quasikonformer Abbildungen. Dazu sind einige Vorbereitungen notwendig.
Zunächst sei f : G → G′ ein orientierungserhaltender Diffeomorphismus, d. h., f ist ein Homöomorphismus, f ist (reell) differenzierbar in G und die Umkehrabbildung f−1 ist differenzierbar in G′.
Für z ∈ G definiert man die komplexen Ableitungen (Wirtinger-Ableitungen)
\begin{eqnarray}\begin{array}{lll}\partial f(z) & := & \displaystyle \frac{1}{2}[{f}_{x}(z)-i{f}_{y}(z)],\\ \overline{\partial }f(z) & := & \displaystyle \frac{1}{2}[{f}_{x}(z)+i{f}_{y}(z)],\end{array}\end{eqnarray}
und die Richtungsableitung ∂αf (z) in Richtung α durch
\begin{eqnarray}{\partial }_{\alpha }f(z):=\mathop{\mathrm{lim}}\limits_{r\to 0 }\displaystyle \frac{f(z+r{e}^{i\alpha })-f(z)}{r{e}^{i\alpha }}.\end{eqnarray}
Dann gilt \({\partial }_{\alpha }f(z)=\partial f(z)+\overline{\partial }f(z){e}^{-2i\alpha }\) und daher
\begin{eqnarray}\begin{array}{lll}\mathop{\max }\limits_{\alpha }|{\partial }_{\alpha }f(z)| & = & |\partial f(z)|+|\overline{\partial }f(z)|,\\ \mathop{\min }\limits_{\alpha }|{\partial }_{\alpha }f(z)| & = & |\partial f(z)|+|\overline{\partial }f(z)|.\end{array}\end{eqnarray}
Da f orientierungserhaltend ist, gilt für die Jacobi-Determinante
\begin{eqnarray}{J}_{f}(z)=|\partial f(z){|}^{2}-|\overline{\partial }f(z){|}^{2}\gt 0\end{eqnarray}
und daher
\begin{eqnarray}|\partial f(z)|-|\overline{\partial }f(z)|\gt 0.\end{eqnarray}
Nun definiert man den Dilatationsquotienten durch
\begin{eqnarray}{D}_{f}(z):\displaystyle \frac{\mathop{\max }\limits_{\alpha }|{\partial }_{\alpha }f(z)|}{\mathop{\min }\limits_{\alpha }|{\partial }_{\alpha }f(z)|}=\displaystyle \frac{|\partial f(z)|+|\overline{\partial }f(z)|}{|\partial f(z)|+|\overline{\partial }f(z)|}\end{eqnarray}
und erhält Df (z) < ∞ für alle z ∈ G.
Es ist f eine konforme Abbildung genau dann, wenn \(\overline{\partial }f(z)=0\) für alle z ∈ G. Dann ist ∂αf (z) unabhängig von α und
\begin{eqnarray}{\partial }_{\alpha }f(z)=\partial f(z)={f}^{\prime}(z)\end{eqnarray}
für alle z ∈ G. Dies ist äquivalent zu Df (z) = 1 für alle z ∈ G.
Der Dilatationsquotient ist stets konform invariant, d. h., sind g : G1 → G und h : G′ → G2 konforme Abbildungen und w := h ○ f ○ g : G1 → G2, so gilt Df (z) = Dw (g−1 (z)) für alle z ∈ G.
Ist f : G → G′ ein orientierungserhaltender Homöomorphismus und z0 ∈ G ein Punkt, an dem f differenzierbar ist, so sind die Ableitungen ∂f (z0), \(\overline{\partial }f({z}_{0})\) und ∂αf (z0) wie oben definiert. Es kann jedoch vorkommen, daß Jf (z0) = 0. Der Dilationsquotient Df (z0) ist dann nicht definiert bzw. Df (z0) = ∞.
Mit diesen Bezeichnungen gilt folgender Satz.
Es sei f : G → G′ ein orientierungserhaltender Diffeomorphismus und Df (z) ≤ K< ∞ für alle z ∈ G. Dann ist f eine K-quasikonforme Abbildung.
Weiter gilt folgende Umkehrung dieses Satzes.
Es sei f : G → G′ eine K-quasikonforme Abbildung und z0 ∈ G ein Punkt, an dem f differenzierbar ist. Dann gilt
\begin{eqnarray}\begin{array}{cc}\mathop{\max }\limits_{\alpha }|{\partial }_{\alpha }f({z}_{0})|\le K\mathop{\min }\limits_{\alpha }|{\partial }_{\alpha }f({z}_{0})|.\end{array}\end{eqnarray}
Im allgemeinen ist eine K-quasikonforme Abbildung f : G → G′ nicht an allen z ∈ G differenzierbar. Um auch solche Abbildungen analytisch beschreiben zu können, wird ein weiterer Begriff benötigt. Eine in G stetige reellwertige Funktion u heißt absolut stetig auf Linien in G, falls für jedes abgeschlossene Rechteck
\begin{eqnarray}\{x+iy:a\le x\le b,c\le y\le d\}\subset G\end{eqnarray}
die Funktion x ↦ u(x + iy) für fast alle y ∈ [c, d] (bezüglich des eindimensionalen Lebesgue-Maßes) absolut stetig auf [a, b], und die Funktion y ↦ u(x + iy) für fast alle x ∈ [a, b] absolut stetig auf [c, d] ist. Eine in G stetige komplexwertige Funktion f heißt absolut stetig auf Linien in G, falls Re f und Im f absolut stetig auf Linien in G sind. Man schreibt dafür kurz f ∈ ACL(G), wobei die Abkürzung ACL für ”absolutely continuous on lines“ steht. Falls f ∈ ACL(G), so besitzt f endliche partielle Ableitungen fx und fy fast überall in G (bezüglich des zweidimensionalen Lebesgue-Maßes). Ist zusätzlich f eine offene Abbildung (d. h., das Bild jeder offenen Teilmenge von G ist eine offene Menge), so ist f fast überall in G differenzierbar.
Ist f : G → G′ eine quasikonforme Abbildung, so ist f ∈ ACL(G), und daher ist f fast überall in G differenzierbar. Es ergibt sich folgender Satz, den man auch die analytische Definition quasikonformer Abbildungen nennt.
Ein orientierungserhaltender Homöomorphismus f : G → G′ ist eine K-quasikonforme Abbildung genau dann, wenn f ∈ ACL(G) und
\begin{eqnarray}\mathop{\max }\limits_{\alpha }|{\partial }_{\alpha }f(z)|\le K\mathop{\min }\limits_{\alpha }|{\partial }_{\alpha }f(z)|\end{eqnarray}
für fast alle z ∈ G.
Im folgenden wird noch eine weitere wichtige Charakterisierung quasikonformer Abbildungen behandelt. Es sei f : G → G′ eine K-quasikonforme Abbildung. Dann ist f fast überall in G differenzierbar und Jf (z) > 0 für fast alle z ∈ G. Für einen solchen Punkt z ∈ G ist die Dilatationsbedingung (1) äquivalent zu der Ungleichung
\begin{eqnarray}|\overline{\partial }f(z)|\le \displaystyle \frac{K-1}{K+1}|\partial f(z)|.\end{eqnarray}
Weiter ist ∂f (z) ≠ 0, und daher kann man den Quotienten
\begin{eqnarray}{\mu }_{f}(z):=\displaystyle \frac{\overline{\partial }f(z)}{\partial f(z)}\end{eqnarray}
bilden. Die auf diese Weise für fast alle z ∈ G definierte Funktion μf heißt komplexe Dilatation von f. Es ist μf eine Borelmeßbare Funktion, und es gilt
\begin{eqnarray}|{\mu }_{f}(z)|\le \displaystyle \frac{K-1}{K+1}\lt 1\end{eqnarray}
für fast alle z ∈ G.
Es ist f eine konforme Abbildung genau dann, wenn μf (z) = 0 für alle z ∈ G. Sind f : G → G′ und g : G′ → G″ quasikonforme Abbildungen, so gilt für die Komposition g ○ f : G → G″
\begin{eqnarray}{\mu }_{g\circ f}(z)=\displaystyle \frac{{\mu }_{f}(z)+{\mu }_{g}(f(z)){e}^{-2i\arg \partial f(z)}}{1+{\mu }_{f}(z){\mu }_{g}(f(z)){e}^{-2i\arg \overline{\partial }f(z)}}\end{eqnarray}
für fast alle z ∈ G.
Die komplexe Dilatation hat eine einfache geometrische Interpretation. Dazu sei z ∈ G ein Punkt, an dem μf (z) definiert ist, und T : ℂ → ℂ definiert durch
\begin{eqnarray}T(\zeta ):=f(z)+\partial f(z)(\zeta -z)+\overline{\partial }f(z)(\overline{\zeta }-\overline{z}).\end{eqnarray}
Es ist T eine affine Abbildung, die jeden Kreis mit Mittelpunkt z auf eine Ellipse mit Mittelpunkt f (z) abbildet. Das Verhältnis zwischen großer und kleiner Halbachse dieser Ellipse ist gegeben durch
\begin{eqnarray}\displaystyle \frac{1+|{\mu }_{f}(z)|}{1-|{\mu }_{f}(z)|}\le K.\end{eqnarray}
Ist μf (z) ≠ 0, so ist |∂αf (z)| maximal für
\begin{eqnarray}\alpha =\displaystyle \frac{1}{2}\arg {\mu }_{f}(z).\end{eqnarray}
Während also eine konforme Abbildung infinitesimale Kreise auf infinitesimale Kreise abbildet, bildet eine K-quasikonforme Abbildung infinitesimale Kreise auf infinitesimale Ellipsen ab, und deren Verhältnis zwischen großer und kleiner Halbachse ist durch K beschränkt.
Die Definition der komplexen Dilatation legt es nahe, die partielle Differentialgleichung
\begin{eqnarray}\begin{array}{cc}\overline{\partial }f=\mu \partial f & (2)\end{array}\end{eqnarray}
zu betrachten. Ist μ eine in G meßbare Funktion und ∥μ∥∞ = ess supz∈G |μ(z)| < 1, so nennt man (2) eine Beltrami-Gleichung mit Beltrami-Koeffizient μ. Jede quasikonforme Abbildung f erfüllt also eine Beltrami-Gleichung mit μ = μf. Ist f eine konforme Abbildung, so ist μf = 0 in G, und die zugehörige Beltrami-Gleichung ist die Cauchy-Riemannsche Differentialgleichung \(\overline{\partial }f=0\).
Es entsteht die Frage, ob jede Lösung einer Beltrami-Gleichung eine quasikonforme Abbildung ist. Hierzu ist noch folgender Begriff notwendig.
Man sagt, eine Funktion f ∈ ACL(G) besitzt L2-Ableitungen in G, falls die partiellen Ableitungen fx und fy lokal quadratintegrierbar in G sind, d.h für jede kompakte Menge K ⊂ G gilt
\begin{eqnarray}\begin{array}{l}\displaystyle \int \displaystyle {\int }_{K}|{f}_{x}(x+iy){|}^{2}dxdy\lt \infty,\\ \displaystyle \int \displaystyle {\int }_{K}|{f}_{y}(x+iy){|}^{2}dxdy\lt \infty.\end{array}\end{eqnarray}
Ist eine solche Funktion f Lösung einer Beltrami-Gleichung (2), so nennt man f eine L2-Lösung von (2).
Damit können quasikonforme Abbildungen wie folgt charakterisiert werden.
Ein orientierungserhaltender Homöomorphismus f : G → G′ ist eine K-quasikonforme Abbildung genau dann, wenn f eine L2-Lösung einer Beltrami-Gleichung (2) ist, und μ für fast alle z ∈ G die Bedingung
\begin{eqnarray}|\mu (z)|\le \displaystyle \frac{K-1}{K+1}\lt 1\end{eqnarray}
erfüllt.
Weiter gilt folgender Eindeutigkeitssatz für quasikonforme Abbildungen.
Es seien f : G → G′ und g : G → G″ quasikonforme Abbildungen mit μf (z) = μg (z) für fast alle z ∈ G. Dann existiert eine konforme Abbildung w von G′ auf G″ mit g = w ○ f.
Schließlich gilt noch folgender Existenzsatz für Lösungen von Beltrami-Gleichungen.
Es sei μ: G → ℂ eine meßbare Funktion mit ∥μ∥∞< 1. Dann existiert eine quasikonforme Abbildung f : G → f (G) mit μf (z) = μ(z) für fast alle z ∈ G.
Aus diesem Ergebnis kann man folgende Verallgemeinerung des Riemannschen Abbildungssatzes herleiten.
Es seien G, G′ ⊂ ℂ einfach zusammenhängende Gebiete mit G ≠ ℂ und G′ ≠ ℂ. Weiter sei μ: G → ℂ eine meßbare Funktion mit ∥μ∥∞< 1. Dann existiert eine quasikonforme Abbildung f : G → G′ mit μf (z) = μ(z) für fast alle z ∈ G.
Aus den Differenzierbarkeitseigenschaften einer quasikonformen Abbildung f : G → G′ erhält man, daß f absolut stetig bezüglich des zweidimensionalen Lebesgue-Maßes m2 ist. Für jede meßbare Menge E ⊂ G gilt die Formel
\begin{eqnarray}{m}_{2}(f(E))=\displaystyle \int \displaystyle {\int }_{E}{J}_{f}(x+iy)dxdy.\end{eqnarray}
Insbesondere ist das Bild einer Nullmenge E ⊂ G wieder eine Nullmenge. Andererseits kann es vorkommen, daß für einen rektifizierbaren Weg γ : [0,1] → G der Bildweg f ○ γ : [0,1] → G′ nicht rektifizierbar ist, selbst dann, wenn γ z. B. eine Strecke oder ein Kreisbogen ist.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.