Lexikon der Mathematik: Randverhalten konformer Abbildungen
Untersuchung des Verhaltens einer konformen Abbildungf der offenen Einheitskreisscheibe 𝔼 auf ein beschränktes, einfach zusammenhängendes GebietG ⊂ ℂ.
Eine erste einfache Aussage liefert folgender Satz.
Es sei (zn) eine Folge in 𝔼, die keinen Häufungspunkt in 𝔼 besitzt. Dann hat die Bildfolge (f (zn)) keinen Häufungspunkt in G.
Eine wesentlich genauere Aussage für beliebige Gebiete G ist im Primendensatz enthalten.
Es sei P(G) die Menge allerPrimenden von G und \(\widehat{G}\)der topologische Raum G∪P(G). Dann kann f zu einem Homöomorphismus \(\hat{f}\)von \(\overline{{\mathbb{E}}}\)auf \(\widehat{G}\)fort- gesetzt werden.
Mit Hilfe der Primendentheorie lassen sich weitere Aussagen herleiten. Dazu ist der Begriff der cluster set notwendig. (Da es keine treffende Übersetzung dieses englischen Ausdrucks gibt, benutzt man ihn auch im deutschsprachigen Raum. In der älteren Literatur findet man noch die Bezeichnung Häufungsmenge). Für eine beliebige Funktion \(f:{\mathbb{E}}\to \widehat{{\mathbb{C}}}\) und ζ ∈ 𝕋 = ∂𝔼 besteht die vollständige cluster set C(f, ζ) von f an ζ aus allen Punkten \(w\in \widehat{{\mathbb{C}}}\), zu denen eine Folge (zn) in 𝔼 existiert mit zn → ζ und f (zn) → w für n → ∞.
Die radiale cluster set Crad (f, ζ) von f an ζ besteht aus allen Punkten \(w\in \widehat{{\mathbb{C}}}\), zu denen eine Folge (rn) in [0, 1) existiert mit rn → 1 und f(rnζ) → w für n → ∞. Ist f stetig in ℰ, so sind C(f, ζ) und Crad(f, ζ) abgeschlossene, zusammenhängende Mengen. Mit diesen Bezeichnungen gilt folgender Satz.
Es sei f eine konforme Abbildung von 𝔼 auf G, ζ ∈ 𝕋 und \(\hat{f}(\zeta )\)das eindeutig bestimmte zu ζ gehö-rige Primende gemäß des obigen Homöomorphismus \(\hat{f}\). Dann gilt für den Abdruck (Primende) von \(\hat{f}(\zeta )\)
\begin{eqnarray}I(\hat{f}(\zeta ))=C(f,\zeta )\end{eqnarray}
und für die Menge der Hauptpunkte von \(\hat{f}(\zeta )\)
\begin{eqnarray}\Pi (\hat{f}(\zeta ))={C}_{\text{rad}}(f,\zeta ).\end{eqnarray}
Unter den Voraussetzungen dieses Satzes gelten insbesondere die folgenden beiden Aussagen:
(i) f besitzt den Grenzwert a an ζ, d. h. limz→ζf(z) = a genau dann, wenn \(I(\hat{f}(\zeta ))=\{a\}\).
(ii) f besitzt den radialen Grenzwert a an ζ, d. h. limr→1−f (rζ) = a genau dann, wenn \(\Pi (\hat{f}(\zeta ))=\{a\}\).
Die konforme Abbildung f besitzt also genau dann eine stetige Fortsetzung nach 𝔼 ∪ {ζ}, wenn das Primende \(\hat{f}(\zeta )\) punktförmig ist.
Man kann genauere Aussagen erzielen, falls über den Rand von G zusätzliche Eigenschaften vorausgesetzt werden. Dazu ist der Begriff des lokalen Zusammenhangs notwendig. Eine abgeschlossene Menge A ⊂ ℂ heißt lokal zusammenhängend, falls zu jedem ϵ > 0 ein δ > 0 existiert derart, daß es zu je zwei Punkten a, b ∈ A mit |a − b| < δ eine zusammenhängende, kompakte Menge B gibt mit a, b ∈ B ⊂ A und diam B< ϵ. Dabei bezeichnet
\begin{eqnarray}\text{diam}\,B=\mathop{\sup }\limits_{z,w\in B}|z-w|\end{eqnarray}
den Durchmesser von B. Zum Beispiel ist jede Kurve in ℂ eine lokal zusammenhängende Menge. Damit gilt folgender Stetigkeitssatz.
Es sei f eine konforme Abbildung von ℰ auf ein beschränktes Gebiet G. Dann sind folgende Aussagen äquivalent:
(i) f besitzt eine stetige Fortsetzung auf \(\overline{{\mathbb{E}}}\).
(ii) ∂G ist eine Kurve, d. h. es existiert eine stetige, surjektive Abbildungφ : 𝕋 → ∂G.
(iii) ∂G ist lokal zusammenhängend.
(iv) ℂ \ G ist lokal zusammenhängend.
Falls f eine stetige Fortsetzung auf \(\overline{{\mathbb{E}}}\) besitzt, so ist diese im allgemeinen nicht injektiv. Um dies jedoch zu sichern, muß ∂G neben dem lokalen Zusammenhang eine weitere Bedingung erfüllen. Ist A ⊂ ℂ eine zusammenhängende, kompakte Menge, so heißt a ∈ A ein Trennungspunkt (im Englischen: cut point) von A, falls A \ {a} nicht mehr zusammenhängend ist. Bei einem Jordan-Bogen ist, mit Ausnahme der Endpunkte, jeder Punkt ein Trennungspunkt. Hingegen besitzt eine Jordan-Kurve keine Trennungspunkte. Damit gilt folgender Satz von Carathéodory.
Es sei f eine konforme Abbildung von 𝔼 auf ein beschränktes Gebiet G. Dann sind folgende Aussagen äquivalent:
(i) f ist zu einem Homöomorphismus von \(\overline{{\mathbb{E}}}\)auf \(\overline{G}\)fortsetzbar.
(ii) ∂G ist eine Jordan-Kurve.
(iii) ∂G ist lokal zusammenhängend und besitzt keine Trennungspunkte.
Falls ∂G eine Jordan-Kurve ist, so ist f sogar zu einem Homöomorphismus von \(\widehat{{\mathbb{C}}}\) auf \(\widehat{{\mathbb{C}}}\) fortsetzbar.
Setzt man für ∂G gewisse Glattheitseigenschaften voraus, so sind weitere Aussagen über die Fortsetzbarkeit von f möglich, so etwa der Satz:
Es sei f eine konforme Abbildung von 𝔼 auf ein beschränktes Gebiet G. Dann sind folgende Aussagen äquivalent:
(i) f ist zu einerquasikonformen Abbildung von ℂ auf ℂ fortsetzbar.
(ii) ∂G ist einequasikonforme Kurve.
Schließlich gilt folgender Satz von Schwarz.
Es sei f eine konforme Abbildung von ℰ auf ein beschränktes Gebiet G. Dann sind folgende Aussagen äquivalent:
(i) Es existiert ein R > 1 derart, daß f zu einer in {z ∈ ℂ : |z| < R} schlichten Funktion fortsetzbar ist.
(ii) ∂G ist eine analytische Jordan-Kurve.
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